Die Oberlausitz ist nicht nur bekannt für schöne Städte wie Görlitz und Bautzen. Sondern auch für einen Baustil, den man außerhalb dieser Region kaum findet. Das Umgebindehaus. Umgebindehäuser sind eine Kombination aus Fachwerkhaus und Blockhaus und oft mehrere hundert Jahre alt. Nach der Wende haben viele Menschen der Oberlausitz den Rücken gekehrt und sind in die alten Bundesländer gegangen. Doch in den letzten Jahren dreht sich der Wind. Immer mehr Menschen kommen zurück und immer mehr junge Leute entdecken die kleinen, urigen Umgebindehäuser für sich. Iris Milde hat sich in der Region umgehört.
So, das ist dieses alte Haus, wir haben hier also den Hausflur mit der sogenannten schwarzen Küche. Dann sehen wir hier in dem Hausflur links und rechts beidseitig: Einmal haben wir den Stubenbereich, einmal haben wir den Stall- oder Werkstattbereich, wo die Utensilien des Scharfrichters lagen.
Autorin
Arnd Matthes führt durch das ehemalige Scharfrichterhaus in Lissahora bei Bautzen. Mit dem Finger fährt er Rillen in der Lehmwand nach.
Das ist eine Sense. Wir sehen auch hier die Sensenklinge ganz deutlich und hier eine Rundung, das kann auch ein Kopf sein.
Autorin
Das Scharfrichterhaus von 1710 ist ein Haus mit Geschichte - und ein Umgebindehaus. Herzstück eines Umgebindehauses ist die Blockstube im Erdgeschoss aus mächtigen Stämmen. Das Fachwerk-Obergeschoss steht auf Ständern, die durch Holzstreben verbunden sind, das namensgebende Umgebinde.
Matthes
„Es gibt hier in dem Dreiländereck, Oberlausitz, Polen und Tschechien noch an die 20.000 Häuser, die geschätzt werden. Wir können aber auf deutscher Seite sagen: Es gibt 6.000 Häuser, die unter Denkmalschutz stehen.“
Autorin
Arnd Matthes ist Leiter der Stiftung Umgebindehaus, die sich seit 2004 um die Bewahrung der seltenen Häuser bemüht, von denen es einzelne Exemplare auch in Westsachsen und Thüringen gibt, den dichtesten und größten Bestand aber im Dreiländereck Deutschland, Polen und Tschechien.
Matthes
„Den Schätzungen zufolge kann man sagen, dass an die 65 Prozent saniert sind, heute nach 1990 muss man dazu sagen.“
Autorin
Doch wer durch die Oberlausitz fährt, sieht, dass viele der Kleinode, von denen keines dem anderen gleicht, dringend auf einen neuen Besitzer warten. Manche von ihnen sind vom Einsturz bedroht. So wie das Scharfrichterhaus von Lissahora.
Das Dach ist mit Planen abgedeckt, der Wind pfeift durch die Gefache. Der jetzige Besitzer will das Haus loswerden. Deshalb hat ein lokaler Verein beschlossen, das Haus abzubauen und auf einem gemeindeeigenen Grundstück wieder zu errichten. Es soll ein Bildungszentrum für traditionelle Bauweisen darin entstehen.
Matthes
„Umgebindehäuser waren schon früher fahrende Habe. Man kann die also zurückbauen, kann die Holznägel ziehen, das Fachwerk aufladen und dann kann man das mit dem Fuhrwagen woanders hinschaffen.“
Autorin
Doch das sei wirklich nur die allerletzte Rettung. In den kommenden Jahren werden viele Umgebindehäuser frei werden, meint Arnd Matthes. Grund sei, dass viele dieser Häuser von älteren Menschen bewohnt werden.
Matthes
„Wir haben viele Objekte, wo nur noch eine Person drinnen wohnt. Die Häuser sind aber zur Zeit sehr gefragt. Wir haben eine Warteliste von über zehn Personen, die unbedingt jetzt ein Haus kaufen wollen. Und wir haben eine Börse über die Webseite gestellt und dort ist sehr viel Bewegung in den letzten zwei Jahren zu beobachten.“
Autorin
Die Gründe für das aufkeimende Interesse an den einstigen Ladenhütern auf dem Land sind vielfältig. Mieten und Kaufpreise sind für viele auch in den ostdeutschen Großstädten immer weniger erschwinglich. Seit Corona wächst das Bedürfnis, der Enge der Stadt entfliehen, einen eigenen Garten zu besitzen.
Matthes
„Die Leute wollen was Individuelles haben, wo sie sich selber verwirklichen können. Das Ökologische ist natürlich ein großer Aspekt, also ökologische Baustoffe stehen an erster Stelle.“
In Seifhennersdorf steht das frisch sanierte Umgebindehaus der Familie Brugger. Die siebenjährige Paula sitzt auf der Schwelle.
Autorin
Findest du es gut hier zu wohnen?
Paula
Ja!
Autorin
Was gefällt dir an dem Haus?
Paula
Dass es alt ist. Weil's gut riecht!
Autorin
Das Haus der Bruggers ist vorbildlich saniert. Das Umgebinde musste fast komplett ersetzt werden und erstrahlt in hellem Holz. Das Fachwerk mit seinen charakteristischen Andreaskreuzen wurde feinsäuberlich mit Lehm herausgearbeitet. Darin sitzen winzige, quadratische Fenster. Durch eines schiebt der Familienvater zur Begrüßung vorsichtig den Kopf. Markus Brugger stammt ursprünglich aus dem Schwarzwald.
Markus Brugger
„Meine Frau ist ja aus Großschönau, das ist ja ein Ort weiter. Wir haben vorher in München gewohnt und gearbeitet und sind dann im Zuge der Familienwerdung nach Großschönau gezogen und haben zur Miete gewohnt in einem Umgebindehaus. Und da hat man sich relativ schnell in diese Wohn-/Lebensweise verliebt gehabt und nach einem Jahr haben wir schon nach Häusern geschaut.“ (lacht)
Autorin
Sie suchten ein besonders ursprüngliches, unverbautes Haus und fanden es an der Dorfstraße in Seifhennersdorf.
Markus Brugger
„Das ist genau das, was wir haben wollten: Ewig alt, urig, Oberlaube, Andreaskreuze.“
Autorin
Vier Jahre habe die Sanierung gedauert, länger als gedacht. Vieles haben sie selbst gemacht.
Markus Brugger
„Es ist ja eine Arbeit, die einem auch was wiedergibt. Man schafft ja auch bleibende Werte dadurch.“
Autorin
Allein 11.000 alte Dachziegel haben sie von Hand abgebürstet. Aber die Mühe hat sich gelohnt, sagt Anja Brugger.
Anja Brugger
„Wir wollen es nicht missen. Wir merken auch, wenn wir im Fertighaus zum Beispiel sind, wir kriegen alle verstopfte Nasen. Also vom Raumklima her ist ein Umgebindehaus einfach fantastisch. Im Sommer ist es kühl. Im Winter ist es schön muckelig warm.“
Autorin
Anja Brugger ist Schulleiterin der örtlichen Grundschule. Markus Brugger hält Online-Vorlesungen an der Uni Mainz und der Hochschule Zittau.
Markus Brugger
„Ja, das Internet wird ja auch immer schneller...“
Autorin
Internetanschluss, Schule, Kita, eine Einkaufsmöglichkeit in erreichbarer Nähe. Das sind für junge Familien die wichtigsten Standortfaktoren, wenn sie sich entscheiden, aufs Land zu ziehen. Natürlich sei der Umzug von der Großstadt aufs Dorf eine Umstellung gewesen, gibt Anja Brugger zu.
Anja Brugger
„Mit Kindern verändert sich aber auch das Leben und man kann gar nicht mehr so viel nutzen, was in der Stadt angeboten wird. Aber wir wohnen ja hier ganz fantastisch international. Besonders ganz an der Grenze zu Tschechien. Wenn wir in die Oper gehen wollen, dann können wir in Zittau ins Theater gehen, nach Görlitz oder auch nach Liberec.“
Autorin
Das Umgebindehaus wurde von der Interessengemeinschaft Bauernhaus als Bauernhaus des Jahres 2020 ausgewählt. Außerhalb der Oberlausitz ist der Architekturtyp kaum bekannt. Und auch der neuerliche Zuzug von jungen Menschen aus den Städten sowie von Rückkehrern aus den westdeutschen Bundesländern können die demographische Entwicklung nicht umkehren. Deshalb sollten die Umgebindehäuser auch im geplanten Programm „Strukturwandel Lausitz“, für den die Bundesregierung 40 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, berücksichtigt werden, findet Joachim Mühle, Kultursekretär des Kulturraums Oberlausitz-Niederschlesien.
Mühle
„Ich denke, man muss darüber nachdenken, wie man, auch durch den Strukturwandel, diese besondere und wertvolle Hauslandschaft erhält.“
Autorin
Schließlich seien die Häuser das Gesicht der Oberlausitz und ziehen auch Touristen an.
In Obercunnersdorf ist Jens Nieders damit beschäftigt, ein Schild neben der Haustür seines frisch sanierten Umgebindehauses anzubringen.
Nieders
„Es wehrt sich gegen Modernes. Aber es ist nur das Schild. Das ist das einzige Moderne an dem Haus. So, jetzt ist es dran!“
Autorin
Aber auf dieses Schild ist Jens Nieders stolz. „Deutscher Fachwerkpreis 2020“ steht darauf. Jedes Bauteil hat er in mühevoller Kleinarbeit aufgearbeitet oder ersetzt. Im September ist er endlich fertig geworden. Eigentlich stammt der junge Volkswirt aus Berlin. Mit dem Umgebindehaus in Obercunnersdorf hat sich Jens Nieders einen Kindheitstraum erfüllt.
Nieders
„Meine Großeltern haben bei Kamenz/Königsbrück gewohnt. Und wir hatten öfters Ausflüge nach Bautzen und in die Oberlausitz. Und da habe ich meine ersten Umgebindehäuser gesehen und das hat sich mir so ein gebrannt, dass ich irgendwann selbst mal eines haben wollte.“
Autorin
Nieders lässt den Blick über die Umgebindehäuser in der Nachbarschaft streifen. Hier in Oberscunnerdorf reiht sich ein Umgebindehaus ans nächste. Ein Blumenstrauß aus Farben, Formen, kunstvollen Fensterumrahmungen und verzierten Türportalen. Er würde sich durchaus mehr Nachahmer wünschen.
Nieders
„Es gibt noch sehr viele Häuser, die auf einen Bauherren warten, und das sind auch sehr schöne Stücke, sehr schöne Originale, die man erhalten kann und wo man sich ein sehr schönes Wohnumfeld für seine Familie schaffen kann.“
Autorin
Nach der Wende galten die Umgebindehäuser zunächst als altmodisch, ärmlich und schäbig. Doch in den letzten Jahren gab es eine Rückbesinnung auf diese regionale Besonderheit, sagt der sächsische Landeskonservator Alf Furkert.
Alf Furkert
„Ich denke, dass das Thema Umgebindehaus als solches nicht mehr existenziell in Frage steht, sondern dass man es als identitätsstiftende Bauweise erkannt und fixiert hat.“
Jana und Daniel Lindner hat es eher zufällig in ein Umgebindehaus verschlagen. Die Wirtsleute kündigten ihren Pachtvertrag für ein Restaurant in der Nähe von Dresden und machten sich auf die Suche nach etwas Eigenem. In Friedersdorf wurden sie fündig. Die alte Grenzschänke stand zum Verkauf. Ein dunkelgrünes Umgebindehaus direkt am Fluss, mit kleinem Bauerngärtchen davor.
Daniel Lindner
„Bei uns im Gastraum sitzt man in Oberfriedersdorf und kriegt sein Essen in Niederfriedersdorf gekocht und rübergebracht. Weil die Ortsgrenze früher durch die Grenzschänke ging.“
Autorin
Der Charme des alten Hauses habe sie überzeugt.
Jana Lindner
„Es ist gemütlich, es ist urig, Es ist einfach nur – ja - schön.“
Jana und Daniel Lindner führen das Lokal zu zweit. Er kocht, sie kellnert. „Herzlich und gemütlich“ ist ihr Motto. Vier Monate haben sie umgebaut.
Daniel Linder
„Das Hauptding war die Küche. Desto mehr man irgendwas aufgehackt hat, desto großer wurden die Probleme.“
Autorin
Daniel Lindner steht vor der großen Scheibe, hinter der die neue Kücheneinrichtung silbern blitzt.
Daniel Lindner
„Ein altes Haus verträgt auch eine moderne Küche.“
Autorin
Der Gastraum hängt voll mit alten Bildern, Hufeisen, Töpfchen und Krügen. Dabei hätten sie schon ordentlich aussortiert, erzählen die Lindners. Einen modernen Touch reingebracht. Inzwischen können sie zu jedem Bild im Gastraum eine Geschichte erzählen. Das hat ihnen den Respekt der Einheimischen verschafft.
Daniel Lindner
„Ja, na klar. Wir sind nach Friedersdorf gekommen. Das soll unsere neue Heimat werden, also beschäftigen wir uns auch damit.“
Jana Lindner
„Ja, wir gehören einfach schon dazu, weil wir auch dem Ort einfach die Möglichkeit bieten, dass die Grenzschänke halt weiter lebt.“
Autorin
Jana und Daniel Lindner zeigen, dass ein moderner Lebensstil und ein altes Haus sich nicht ausschließen, sondern ergänzen können. Nach der Neueröffnung Mitte Oktober wurde Lindners Grenzschänke förmlich überrannt. Nach nur zwei Wochen kam der Lockdown. Trotzdem haben die beiden ein Lächeln im Gesicht. Sie haben ihre neue Heimat gefunden.
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