Iris Milde, Sonntagsspaziergang, 26.7.2020
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Atmo
Garten, Schritte, Haustür
Autorin
Die Eingangshalle ist ein nach oben offener, lichter Raum. Zu beiden Seiten eröffnen große Fensterfronten Blicke in den Garten.
Bojaryn
Die Verbindung von Haus und Natur ist ein ganz zentrales Thema. Charlotte Schminke, die Bauherrin, die war eine große Pflanzenfreundin. Gleichzeitig war ihr die alte Wohnung zu dunkel, sie brauchte mehr Licht, mehr Freiheit.
Autorin
Julia Bojaryn arbeitet für die „Stiftung Haus Schminke“. Die kümmert sich um den Erhalt der von Architekt Hans Sharoun entworfenen Ikone. Denn das Haus Schminke gehört wie auch die Villa Tugendhat zu den vier wichtigsten Wohnhäusern der klassischen Moderne.
Bojaryn
Hans Sharoun gilt in der Kunstgeschichte als Vertreter des organischen Bauens, was impliziert, dass sich am Menschen orientiert wird. Und der war nicht in Dessau am Bauhaus, sondern in Breslau an der Akademie. Und dort war allgemein das Entwerfen eben ein anderes als in Dessau.
Autorin
Während Mies van der Rohe oder Le Corbusier streng nach gestalterischen Gesichtspunkten entwarfen, richtete sich Sharoun vor allem nach den Bedürfnissen seiner zukünftigen Nutzer. Mit der Familie Schminke verband den Architekten eine Freundschaft. Er war oft in Löbau zu Besuch. So konnte er seine Entwürfe genau an die Gewohnheiten der Familie anpassen. Auch deshalb gilt das Haus als Höhepunkt in seinem Schaffen.
Bojaryn
Im Endeffekt hat Hans Sharoun auch relativ viel Zeit gehabt, um auch viele Details sehr genau durchzuplanen, was daran liegt, dass die Weltwirtschaftskrise bewirkte, dass Fritz Schminke eine ganze Weile kein frisches Geld bekommen hat. Eigentlich wollten Schminkes ausziehen, weil sich das dritte Kind ankündigte. Als sie dann hier eingezogen sind, waren es schon vier.
Atmo
Schiebetür, Vorhang
Autorin
Das Wohnzimmer ist von der Eingangshalle nur durch eine Schiebetür aus Glas getrennt.
Bojaryn
Im Wohnzimmer merkt man schon ganz wunderbar, dass das Haus sich vor allem durch seine fließende Raumabfolge auszeichnet, also man merkt, dass ein Raum in den anderen übergeht. Es gibt nicht so richtig getrennte Zimmer hier im Erdgeschoss, es ist so der Lebensbereich.
Atmo
Fenster, Sofa
Autorin
Im Wohnzimmer, gegenüber dem Panoramafenster mit Blick in den Garten, steht ein gewaltiges Ecksofa von etwa acht Metern Länge.
Bojaryn
Die jüngste Schminke-Tochter erzählt immer, dass sie da alle zusammen drauf Mittagsschlaf machen mussten. Sie und ihre drei Geschwister.
Atmo
Kinder
Autorin
Die Schminkes wollten ein Haus, in dem sich Kinder und Erwachsene gleichermaßen wohlfühlen. Statt einem Spielzimmer gab es im Erdgeschoss einen großzügigen Spielbereich. Nämlich dort, wo auch das gesamte Familienleben stattfand.
Bojaryn
Eins der schönsten Details, wahrscheinlich auch das meist fotografierte Detail im Haus Schminke sind diese kleinen, bunten Bullaugen in den Terrassentüren. Die sind in allen Terrassentüren integriert. Das ist ein Detail, das hat Hans Sharoun explizit für die Kinder der Schminkes eingebaut. Und das war so gedacht, dass die Kinder da durchschauen können, es ist genau auf Kinderaugenhöhe eingebaut, und die Welt in anderen Farben sehen können. Und das funktioniert wunderbar. Hier ist orange, es gibt noch blau und rot.
Atmo
Schritte, Schiebetür
Autorin
Von der Wohnstube gehen wir in den daneben liegenden Wintergarten. In der Mitte steht ein Tisch, rundherum Korbstühle nach Entwürfen von Mies van der Rohe. Julia Bojaryn deutet auf die Terrassenlampe vor der Glasfront und drückt ein paar Schalter.
Atmo
Schalter
Bojaryn
Die Schminkes haben das ihren Mond genannt. Den konnte man tatsächlich auch damals schon in drei unterschiedlichen Farben anschalten, also je nach Laune, wie man sich gerade so fühlt gelb, weiß oder rot. So konnten die sozusagen ihre Terrasse beleuchten.
Atmo
Laufen im Beet, Lüftungsfenster
Autorin
Damit die exotischen Pflanzen möglichst viel Licht bekamen, ist die südliche Glasfassade schräg gestellt. Mit einer Kurbel konnte man wie in einem Gewächshaus Lüftungsfenster öffnen.
Bojaryn
Industrielle Technik. Das sind so Maschinenbauerdetails, die irgendwie Fritz Schminke und Hans Sharoun, glaube ich, sehr gut gefallen haben. Es gibt hier unheimlich viele Details, die an Schiffe erinnern und gleichzeitig auch an diese Betonung von technischem Fortschritt.
Autorin
Akkordeonmusik, Schilf, Schritte
Autorin
Die Verwendung von Formen aus dem Schiffsbau war das Markenzeichen des geborenen Bremers Sharoun. Die gesamte Struktur des Hauses erinnert an ein Kreuzfahrtschiff. Im Erdgeschoss sorgen die Salons mit großen Panoramafenstern für den bestmöglichen Blick auf den Garten mit seinen alten Gehölzen, dem scheinbar wogenden Steingarten und sich wiegendem Schilf am Teich. Im Obergeschoss dagegen führt ein langer Gang zu den Schlafkabinen. Die Kinderzimmer sind tatsächlich so eng wie Schiffskojen.
Bojaryn
Der Witz dahinter ist aber, das ist kein Kinderzimmer, sondern das ist ein Kinderschlafzimmer. Die Kinder haben unten gespielt und hier oben wurde wirklich nur geschlafen.
Atmo
Schritte, Tür
Autorin
Ganz am Ende des langen Gangs liegt das Elternschlafzimmer.
Bojaryn
Hier oben ist dann tatsächlich auch die Kommandobrücke. Hier steht der Kapitän am Steuerrad. Sie gucken vorne über die Bugspitze aufs Meer.
Autorin
Der Blick gleitet in den Garten und die dahinterliegende Landschaft.
Atmo
Balkontür öffnen
Bojaryn
Das Elternschlafzimmer ist gar nicht so ein kleiner Raum wie die Kinderschlafzimmer. Es ist eigentlich ein sehr schöner Raum. Bisschen verrückt kommt einem die Stelung der Betten vor. Die Betten standen tatsächlich ausgerichtet nach den Himmelsrichtungen. Denn Frau Schminke war Frühaufsteherin, guckt nach Osten, wird also von der Morgensonne wach gekitzelt und wenn sie aufwacht, schaut sie ins Grüne. Und an muss sich vorstellen, dass die Betten jeweils am Kopfende so eine raumhohe Holzplatte nochmal hatten. Bei Herrn Schminke war auf der Rückseite noch ein Spiegel drauf. Das heißt, das Sonnenlicht a Morgen wird gleich wieder rausgeschmissen. Und Herr Schminke, wenn er aufsteht, guckt als erstes aus dem Fenster auf seine Fabrik.
Atmo
Originalaufnahmen Machtergreifung, Marschmusik
Autorin
Als die Schminkes in ihr „Lebensschiff“, wie Sharoun es nannte, einzogen, waren die Nationalsozialisten schon an der Macht. Fritz Schminke wurde zum Kriegsdienst einberufen und geriet in Gefangenschaft. Der einzige Sohn, Harald, fiel 1943, erzählt Julia Bojaryn.
Bojaryn
Die Mutter war mit den Töchtern dann noch kurzzeitig in Löbau. Zeitweise mussten sie kurz in die Fabrik ausziehen, weil das Haus erstmal besetzt wurde von der Roten Armee. Aber sie durfte dann wieder zurück ins Haus, ist aber Anfang der 50er Jahre aus Löbau weggegangen. Die Schminkes sind alle im Westen gelandet.
Autorin
Fritz Schminke konnte nicht in der DDR bleiben, weil er als Kriegsverbrecher galt. Seine Fabrik hatte die Wehrmacht mit Nudeln beliefert. Es gab erste Pläne Sharouns für ein neues Haus der Schminkes in Celle, die aber nicht realisiert wurden, da die Ehe zerbrach. Und das Haus selbst?
Atmo
Lied: Geh voran Pionier
Bojaryn
Das Haus war sehr lange Kreis-Pionierhaus, wurde dadurch immer genutzt, aber man muss schon sagen, dass von der Inneneinrichtung relativ viel damals verloren gegangen ist.
Atmo
Schritte, Küchentür, Schütten
Autorin
Das Schiff lag auf dem Trockenen. Obwohl es schon in den 70er unter Denkmalschutz gestellt wurde. Glücklicherweise ist das frühere Aussehen auf Fotos gut dokumentiert und alle festen Einbauten, wie Schränke oder auch die Küche, angelehnt an das Prinzip der legendären Frankfurter Küche, sind weitestgehend erhalten geblieben. Spätestens in der Küche wird klar, dass Hans Sharoun nichts dem Zufall überlassen hat, alles sollte so praktisch wie möglich sein.
Bojaryn
Und hier ganz besonders schön die Gewürzgläser. Ich ziehe mal eins raus. Die Gewürzgläser, die man also am Deckel rauszieht, den Deckel gleich in der Hand hat, dann öffnen kann. Es ist ein Bajonettverschluss, das heißt, es reicht eine Vierteldrehung, um es aufzumachen, dass man nicht umgreifen muss. Und Sie sehen hier, die hatten wirklich eine Gummidichtung drin, sodass die Gewürze luft- und feuchtigkeitsdicht gelagert sind und dadurch, dass man dieses ganze Glas in der Wand versenkt, sind die auch lichtgeschützt.
Atmo
Schränke, Schubladen, Arbeitsfläche
Autorin
Statt Griffen sind nur einfache Löcher in Schubladen oder Schranktüren gebohrt, damit das Hausmädchen nicht mit der Schürze hängen bleibt. Die Arbeitsfläche ist dunkelgrün, weil Grün keine Fliegen anzieht.
Bojaryn
Vielleicht noch mein persönliches Lieblingsdetail. Das ist diese Türklinke an den Schiebetüren, Schiebetüren sparen Platz. Und wenn sie ein Tablett in der Hand haben und eigentlich die Türklinke runterdrücken müssten, ist mit einem Tablett ungünstig, weil sie das Tablett schief halten müssten. Deshalb hier diese Spezialtürklinke, die sich mit vollen Händen, mit dem Ellbogen öffnen lässt, weil die einfach um 90 Grad gedreht ist. Wir nennen sie liebevoll die Schminke-Klinke, weil sich das so schön reimt.
Atmo
Klinken, Schritte Haustür, draußen
Autorin
Nach 1990 verzichteten die Töchter der Schminkes auf eine Rückübertragung zugunsten der Stadt Löbau. Die ließ das Haus sorgfältig sanieren und öffnete es für Besucher. Die Nudelfabrik stellte 1992 die Produktion ein. Kürzlich habe Löbau das Gelände erworben, erzählt die studierte Bauingenieurin Julia Bojaryn begeistert. Eines Tages soll dort das Stadtmuseum einziehen.
Bojaryn
Haus und Fabrik gehören auf eine ganz spannende Art zusammen. Fritz Schminke hätte das Haus nie gebaut, wenn er die Fabrik nicht besessen hätte, aber ganz spannend ist, dass es in der Fabrik auch Umbauten von Hans Sharoun gibt. Und Hans Sharoun hat eigentlich keine Industriebauten in seinem Portfolio. Das lag einfach daran, dass der nach 1933 nicht emigriert ist, der ist in Berlin geblieben, hat aber keine öffentlichen Aufträge mehr bekommen. Im Endeffekt hat er sich über Wasser gehalten mit privaten Bauvorhaben für Freunde und Kollegen und so weiter.
Autorin
Sharoun entwarf später noch zahlreiche Bauten, wie die Berliner Philharmonie oder das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven. Aber das Haus Schminke blieb unübertroffen, das Haus, das ihm, wie er selbst sagte, „das liebste war.“
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