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Wegen Sanktionen: „Das tut sehr weh" - Viele Russen verlieren ihre Arbeit - WELT

Die internationalen Sanktionen beginnen in Russland zu wirken - vom Finanzsektor bis zum Export von Metallprodukten. Manche Russen treffen sie hart. Vor allem die junge Generation hätte gern andere Perspektiven.

Für Pawel ist sein Traum erst einmal geplatzt. Der 22 Jahre alte Student lebt in der Region Saratow, bis Mitte Januar arbeitete der junge Mann, der eigentlich anders heißt, in einer Fabrik: drei Schichten tagsüber, drei Schichten nachts, dann drei Tage frei. Dafür erhielt er monatlich etwa 35.000 Rubel (rund 400 Euro). Das alles nur, weil er eine Vision hatte: Er wollte Flugbegleiter werden.

Eine passende Ausbildungsstelle fand er im Januar bei einer russischen Fluggesellschaft. Nach einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch und einer Gesundheitsprüfung bei einer Flugkommission kündigte Pawel seinen Job in der Fabrik. Nun sollte ein neuer Lebensabschnitt beginnen.

„Das Gehalt wäre gut gewesen, rund 100.000 Rubel im Monat (rund 1.190 Euro)", sagt Pawel. Aber dann griff am 24. Februar Russland die Ukraine an, ausländische Unternehmen begannen, den russischen Markt zu verlassen, westliche Länder verhängten eine harte Sanktion nach der anderen.

Die Sanktionen betreffen viele Bereiche: vom Finanzsektor bis zum Export von Metallprodukten, vom Lieferverbot für Drohnen bis zur Sperrung des deutschen Luftraums für russische Flugzeuge. Der Westen verbot auch den Verkauf, die Lieferung oder den Transfer von Flugzeugen und Ersatzteilen nach Russland.

Pawel wurde mitgeteilt, dass das Unternehmen aufgrund der Sanktionen bis auf Weiteres niemanden einstellen oder ausbilden würde. „Es ist jetzt einfach unrealistisch, es bei anderen Fluggesellschaften zu versuchen." Richtig Lust habe er auch keine mehr. Die Flugzeuge würden nicht mehr sorgfältig überprüft, Ersatzteile nicht mehr geliefert - „Es ist also nicht klar, in welchem Zustand die Flieger sind. Das ist mir persönlich ein zu großes Risiko", sagt er.

Sanktionen könnten zu einem allmählichen Niedergang Russlands führen

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Tatjana Mikhailowa, Dozentin an der Russischen Wirtschaftsschule in Moskau, prognostiziert einen Rücklauf der russischen Wirtschaft auf das Niveau der 90er-Jahre. Ihrer Meinung nach werden die langfristigen Auswirkungen der Sanktionen erst zu einer Isolierung, dann zu einer technologischen Rückständigkeit und letztlich zu einem allmählichen Niedergang führen.

Doch auch schon jetzt beobachtet Mikhailowa die Folgen der Sanktionen: Viele Russen haben ihre Arbeit verloren und finden kurzfristig keine neue, weil die Nachfrage nach allen Fachkräften sinkt. „Bald wird es Branchen treffen, die für die Produktion Teile aus dem Ausland brauchen: zum Beispiel die Automobilbranche, die Pharmaindustrie und die Landwirtschaft, weil Saatgut auch im Ausland gekauft wird." Unternehmen werden schließen und Mitarbeiter entlassen müssen. „Die Gesamtbevölkerung wird ärmer werden."

Für Pawel bedeutet der Verlust seines Arbeitsplatzes eine große emotionale Krise: „Wenn ich eine Prüfung nicht bestanden hätte, wäre ich selbst schuld. Doch, dass ich meine Ausbildung wegen des Krieges nicht beginnen kann, konnte ich weder vorhersehen noch ändern. Das tut sehr weh." Momentan konzentriere er sich auf sein Studium und möchte erst nach dem Abschluss wieder nach einem Job suchen.

Schon vor dem Krieg dachte Pawel daran, Russland zu verlassen. Er ist gegen den Krieg und fühlt sich jetzt dadurch noch mehr ausgeschlossen und perspektivlos. Aber das Auswandern sei viel schwieriger geworden. „Dafür braucht man viel Geld." Genau wie der Traum, Flugbegleiter zu werden, ist der Traum vom Auswandern erst einmal vertagt.

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