Irene Steindl

Schreibtrainerin und freie Journalistin, Wien

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Artikel

Machtfaktor Bildung

(C) Markus Zahradnik

Seit Jahren weht ein rauer Wind durch die Betriebsratszimmer. Die Sozialpartnerschaft im Betrieb wird brüchiger, der Druck auf Betriebsrät:innen steigt. Gewerkschaften und VÖGB wollen nun gegensteuern - mit guter Bildung.

Gegenmacht - das Wort geistert seit zwei Jahren durch die Bildungsprogramme der Gewerkschaften und des Verbands österreichischer gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB). Dabei ist der Begriff alles andere als glücklich gewählt, denn er weckt Bilder von Streik, Konflikt, Kampf. Streik ist aber die letzte Eskalationsstufe. Vielmehr meint Gegenmacht, Betriebsrät:innen zu rüsten, um im eigenen Betrieb wieder mehr Machtfaktor zu sein. Die Belegschaft hinter sich zu bringen. Sich Kompetenzen anzueignen, um zu verhandeln, mitzugestalten und mitzubestimmen. Kurzum: die Position der Arbeitnehmer:innen auf betrieblicher Ebene zu stärken. Denn das, davon sind Bildungsverantwortliche überzeugt, wird notwendig werden.

Der Wind wird rauer

Das Ziel, Gegenmacht zu bilden, kommt nicht von irgendwo. „Der große politische Rahmen war die Veränderung innerhalb der Sozialpartnerschaft in den letzten Jahren", so Sabine Letz, Leiterin des VÖGB. Mit der Pandemie sei die Rolle der Sozialpartner zwar wieder gestärkt, Stichwort Kurzarbeit, diesem Waffenstillstand sei aber nicht zu trauen. Die türkis-blaue Regierung hat Institutionen des Wohlfahrtsstaats sukzessive angegriffen und Rechte der Arbeitnehmer:innen abgebaut, etwa bei den Leistungskürzungen in der Sozialversicherung oder dem 12-Stunden-Tag. Dass der Wind rauer wird, zeigt sich auch in der deutlich härteren Kollektivvertragspolitik. Zukünftig wird es mehr Konflikte geben, da sei es wichtig, Kante zu zeigen, ist auch Wolfgang Greif überzeugt, der Leiter der GPA-Bildungsabteilung. Aus dieser politischen Situation heraus ist die Diskussion entstanden: Welche Bildungsangebote brauchen Betriebsrät:innen, um handlungsfähiger und konfliktfähiger zu sein? Denn gut ausgebildete Betriebsrät:innen sind besser gerüstet, bei Angriffen auf Arbeitnehmer:innen dagegenzuhalten.

Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist ein umfangreicher Strategieprozess: Wen wollen wir mit unseren Bildungsangeboten (neu) erreichen? Welche Formate eignen sich dafür? Was müssen wir inhaltlich umstellen, neu denken? „Wir haben zum Beispiel unseren einwöchigen Grundkurs BR 3 umgebaut", erzählt Peter Schissler, Bildungsleiter der Gewerkschaft PRO-GE. „Nachdem die Kolleg:innen gelernt haben, welche rechtlichen Möglichkeiten sie haben, sollen sie nun Instrumente erproben, wie sie selbst Auseinandersetzungen im Betrieb führen können." Rechtliche Auseinandersetzungen werden gern an ein Gericht ausgelagert, das wollen viele Betriebsrät:innen nicht selbst machen. „Wir zeigen ihnen in unseren Kursen, welche Eskalationsstufen es gibt, damit sie den Konflikt selbst ausfechten und nicht auslagern. Das ermächtigt sie und stärkt ihre Position im Betrieb." Die Instrumente dafür beginnen bei der routinemäßigen Abhaltung von Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen und gehen im Ernstfall bis zu großen Mobilisierungen. „Wir planen viel neuen Aktionismus ein, das macht Betriebsrät:innen in den Kursen auch Spaß. Es muss ja nicht immer das Flugblatt sein", so Schissler. Wichtig sei, dass Betriebsrät:innen ins Gespräch kommen mit „ihren Leuten" und Diskussionen führen.

Rauer wird der Wind auch innerhalb der Betriebe. Betriebsrät:innen werden zunehmend eingeschüchtert, wenn sie eine Weiterbildung besuchen wollen. Eine beliebte Methode von Arbeitgeber:innen sei, so Schissler, die Arbeitskolleg:innen gegen den Betriebsrat aufzubringen. Etwa: „Wenn du auf Kurs fährst, verlieren wir unsere Gruppenprämie." Oder die Betriebsrät:innen so sehr mit Arbeit einzudecken, dass eine mehrtägige Weiterbildung zulasten der Kolleg:innen geht. Betriebsrät:innen quälen sich dann mit Fragen wie: „War das notwendig, dass ich so lange wegfahre?" Oder: „Was bin ich für eine Vertreterin, wenn ich jetzt meine Leute im Stich lasse?" Die Methoden seien viel feiner geworden, psychologischer, weniger direkt.

Immer schneller, immer kürzer?

Der Druck im Betriebsratsalltag führt zum Wunsch nach kürzeren Seminaren. Viele Bildungsabteilungen haben darauf mit kürzeren Angeboten reagiert, so werden etwa Vier-Tages-Seminare auf zweieinhalb Tage verkürzt usw. Auch die Mobilität innerhalb Österreichs ist deutlich weniger geworden. Wochenseminare in einem anderen Bundesland waren lange begehrt, heute sind viele Betriebsrät:innen froh, wenn sie nicht weit wegfahren müssen. Es wird immer enger mit der Zeit. „Wir kommen diesen Bedürfnissen entgegen, weil wir sonst keine Anmeldungen mehr haben", so Sabine Letz. In dieser Dynamik gehe aber viel verloren. Bildung verkomme zur Ware, werde gern schnell mal zwischendurch gesnackt. Lernen brauche aber Zeit zum Verarbeiten, zum Austauschen. Wo sonst kommen Betriebsrät:innen zusammen, um ihre Erfahrungen zu teilen? Abends beim gemütlichen Zusammenhocken wird oft weiterdiskutiert. „Wie machst du das bei dir im Betrieb?" - „Wie bist du die Betriebsvereinbarung angegangen?" - „Echt, das Problem hast du auch?" Die große Herausforderung werde darin liegen, so Letz, auf der einen Seite Rahmenbedingungen für kompakte und flexible Bildungsangebote zu bieten und andererseits Räume zum Austausch und zur Reflexion zu schaffen. Aktualisierungen im Arbeitsrecht etwa müssen keine mehrtägigen Präsenzseminare sein, das geht auch in Form digitaler Bildungshäppchen.

Mehr Vielfalt bei den Zielgruppen

Aus der Diskussion zur Gegenmacht ist die Idee entstanden, mehr Angebote für politisch interessierte Gewerkschaftsmitglieder zu schaffen. Derzeit können Mitglieder die zweijährige Gewerkschaftsschule sowie Kulturangebote besuchen, die meisten Seminare und Lehrgänge des VÖGB sind Betriebsrät:innen vorbehalten. „Es gibt viele politisch interessierte Gewerkschaftsmitglieder, die sich gerne engagieren würden, ohne gleich eine Funktion zu übernehmen. Für diese Gruppe brauchen wir noch mehr Angebote", so Letz. An Angeboten für Gewerkschaftsmitglieder arbeitet derzeit auch die GPA-Bildungsabteilung, vor allem online. „Bildungsangebote sind auch eine Frage von Ressourcen. Online können wir kostengünstig viel mehr in die Breite gehen und auch bei Gewerkschaftsmitgliedern sichtbarer werden", so Greif.

Ohne Corona-Krise würden wir vielleicht immer noch über Webinare reden, ohne je eines gehalten zu haben.

Wolfgang Greif, Leiter der GPA-Bildungsabteilung

Was das anbelangt, habe die Pandemie durchaus Gutes gebracht. Die Pandemie war ein Innovationsschub. „Ohne Corona-Krise würden wir vielleicht immer noch über Webinare reden, ohne je eines gehalten zu haben", meint Greif. Was der Schub gebracht hat, zeigt die Statistik: 35 Prozent jener, die zu Beginn der Pandemie ein Online-Seminar bei der GPA besucht haben, waren seit fünf Jahren in keinem Präsenzseminar mehr. Unter den Teilnehmer:innen sind tendenziell mehr Frauen, Jüngere, Kolleg:innen außerhalb Wiens und aus kleineren Betrieben als bei Präsenzseminaren. Sprich: Online schafft tendenziell mehr Diversität. Und die ist wichtig, soll die Interessenvertretung im Betrieb auf breite Füße gestellt werden.

„In der Bildung Online-Formate zu entwickeln, ist eine Investition in die Zukunft", ist Wolfgang Greif überzeugt. „Kinder und Jugendliche, die jetzt groß werden, sind ganz andere Schulungen gewohnt. Und erwarten von uns, dass wir da mitgehen. Wir müssen schon jetzt an die next generation denken und uns vorbereiten für die generation after next."

Das Persönliche mit dem Politischen verzahnen

Verändert habe sich in den letzten fünf, zehn Jahren auch die Nachfrage nach Kursinhalten. Während Seminare in Richtung Persönlichkeitsentwicklung, strategische Gesprächsführung, Burnout und Suchtprävention boomen, sind die Anmeldungen bei klassisch kollektiven Themen wie etwa Sozialstaat rückläufig. „Dabei wäre gerade hier so viel zu diskutieren", meint Peter Schissler von der Produktionsgewerkschaft. Etwa: Was bedeutet der Vorschlag, die Lohnnebenkosten zu senken, für Arbeitnehmer:innen? Wer finanziert wie unser Gesundheitssystem? Welche Folgen hat es, wenn der Staat weniger Einnahmen hat? Das sind keine Themen für einen schnellen Konsum. Dass das Interesse an politischen Inhalten weniger geworden ist, hätten die Gewerkschaften zum Teil durchaus selbst zu verantworten, so Wolfgang Greif. „Wir hatten mit unseren Bildungsangeboten über Jahrzehnte zu Recht eines im Fokus: gut qualifizierte Betriebsrät:innen auszubilden, damit sie vor Ort ihre Kolleg:innen gut unterstützen können. Wir haben sie auf Augenhöhe mit dem Management gebracht - mit hoher rechtlicher Kompetenz und ökonomischem Know-how." Auf der Strecke geblieben sei dabei mitunter die politische Sensibilisierung, die interessenpolitische Aufladung der Bildungsangebote. Zukünftig kommt die Bildungsarbeit nicht umhin, neben Wissen auch Haltung zu vermitteln. Dazu braucht es auch neue und innovativere Inhalte und Formate. Die sogenannten Soft Skills wie Kommunikation oder Verhandlungstaktik müssen mit dem Politischen verzahnt werden. Zum Beispiel, indem das Argumentationstraining mit Fragen zur Sozialversicherung verknüpft wird.

Den digitalen Wandel gestalten

Mit Bildung den Wandel in der Arbeitswelt zu gestalten heißt auch, den Fokus vermehrt auf Digitalisierung zu legen. Wie gelingt es durch Bildungsarbeit, Betriebsrät:innen zu Begleiter:innen des digitalen Wandels zu machen? Etwa im Bereich des Datenschutzes oder der digitalen Kommunikation. Mit welchen Tools können Betriebsrät:innen gut mit ihrer Belegschaft kommunizieren, wenn die Arbeit immer mobiler und dezentraler wird, das persönliche Gespräch nicht immer möglich ist? „Der digitale Wandel überrascht nicht, er ist kalkulierbar", so Greif. In der gewerkschaftlichen Bildung gehe es darum, Entwicklungen abzusehen und mitzugestalten. Also den digitalen Wandel im Betrieb einzuschätzen und darauf reagieren zu können. Wie ändern sich dadurch Geschäftsmodelle? Wie wirkt sich das auf die Belegschaft aus? Welche Qualifikation brauchen die Mitarbeiter:innen? Wer droht auf der Strecke zu bleiben? All das sind Aufgaben, die Betriebsrät:innen aus der Rolle der Anwält:innen locken und zu einem Machtfaktor im Betrieb machen. Und Bildung ist ein wichtiger Schlüssel dafür.

Vier Fragen zum Thema

Im Herbst 2022 startet der frauenpolitische Lehrgang des VÖGB unter dem Motto „Frauen auf die Überholspur". Tina-Bianca Ennikl leitet den Lehrgang in enger Abstimmung mit den ÖGB Frauen.

Warum ein frauenpolitischer Lehrgang?

Frauen sind innerhalb von Betriebsratskörperschaften, Personalvertretungen und Gewerkschaften unterrepräsentiert. Wir möchten mit dem Lehrgang Arbeitnehmer:innenvertreterinnen stärken und mehr Frauen in Führungspositionen bringen. Das erfordert viel Bewusstseinsarbeit. Dieses Empowerment gelingt besser in geschlossenen Räumen als in gemischten Gruppen.

Wie ist der Lehrgang aufgebaut?

In vier Modulen à drei Tage lernen die Teilnehmerinnen über gewerkschaftliche Frauengeschichte, Gleichstellung, Einkommensberichte, Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen, Frauenbilder in den Medien u.v.m. Mit sehr viel Praxis in Kommunikation, Storytelling, Verhandlungstraining und Aktionismus. Sie lernen, unterschiedliche Werkzeuge und Strategien für die eigene Arbeit zu nutzen und den eigenen Ausdruck zu stärken. Im Vordergrund stehen die Persönlichkeitsentwicklung und die Vernetzung mit Kolleginnen. Der Lehrgang geht über ein halbes Jahr und endet mit einem Zertifikat.

An wen richtet sich der Lehrgang?

An aktive Betriebsrätinnen, Personalvertreterinnen und Frauensekretärinnen aus den Gewerkschaften. Die Gruppen sind sehr heterogen - einige haben ganz frisch im Betriebsrat angefangen, andere sind seit vielen Jahren dabei.

Was ist heuer besonders?

Wir haben mehr Praxis in den Lehrgang eingebaut und das Rüstzeug für mehr Gegenmacht und Durchsetzungskraft erweitert. Die Idee: Wie kann ich das Gelernte umsetzen? Wie kann ich Botschaften gut argumentieren und vermitteln? Wie erreiche ich die Belegschaft am besten? Wie setze ich gewerkschaftliche Ziele durch und werde kampagnenfähig im Betrieb?

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