Irene Steindl

Schreibtrainerin und freie Journalistin, Wien

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Nebensache "Gesund in der Lehre"

Gesundheit ist nicht Thema Nummer eins unter Lehrlingen. Warum auch? Erstens: Gesundheit ist nicht sonderlich cool. Zweitens: Österreichs Lehrlinge sind mit ihrer Gesundheit großteils sehr zufrieden. Drittens: Lehrlinge sind noch wenig prominent als Zielgruppe für betriebliche Gesundheitsförderung. Dennoch ist Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz von Lehrlingen Thema, ein großes noch dazu. Denn die wahren Krankmacher liegen in der Arbeitssituation, sind ExpertInnen überzeugt. Für das Wohlbefinden und die Gesundheit von Lehrlingen sei wesentlich, ob im Betrieb respektvoll mit ihnen umgegangen wird, ob sich Lehrlinge integriert fühlen und Sinn in ihren Aufgaben sehen, ob die Ausbildung dem Berufsbild entspricht oder Arbeitszeiten eingehalten werden. Schlichtweg: ob die Qualität der Ausbildung passt.

Wie gesund sind Jugendliche?

2014 hat die Gesundheit Österreich GmbH die Gesundheit von 17-jährigen Lehrlingen mit gleichaltrigen SchülerInnen verglichen, basierend auf dem Österreichischen Arbeitsklima Index für 2012/2013 und einer lehrlingsspezifischen Auswertung des Österreichischen Arbeitsgesundheitsmonitors durch die Arbeiterkammer Oberösterreich. Die Ergebnisse: Im Großen und Ganzen bewerten Lehrlinge ihre Gesundheit als sehr gut. Dennoch äußern sie bereits vermehrt und häufiger als SchülerInnen körperliche Beschwerden wie Kopf-, Kreuz- oder Rückenschmerzen sowie Erschöpfung und Mattigkeit, die oftmals auf die Arbeit zurückgeführt werden. Im Gesundheitsverhalten unterscheiden sich Lehrlinge stärker von gleichaltrigen SchülerInnen. Mehr als die Hälfte der Lehrlinge raucht täglich, der Alkoholkonsum ist ausgeprägter und die Leberkäsesemmel mit Cola ist schmackhafter als ein Vollkornriegel und ein Glas Wasser. Übergewicht kommt daher bei Lehrlingen häufiger vor. „Schwierig ist es, wenn jungen Menschen erst ein Purzelbaum beigebracht werden muss, damit wir Fallübungen durchführen können", erzählt AUVA-Geschäftsführer Georg Effenberger. Körperlich sind Jugendliche heute nicht so fit wie noch vor zehn, zwanzig Jahren. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) steuert mit spezifischen Kampagnen dem höheren Unfallrisiko von Jugendlichen und Lehrlingen am Arbeitsplatz entgegen. „Lehrlinge haben ein um 50 Prozent höheres Unfallrisiko als ältere ArbeitnehmerInnen. Sie sind im Umgang mit Betriebsmitteln weniger erfahren, körperlich nicht voll entwickelt, risikofreudiger und sie überschätzen sich auch gerne mal", beschreibt Effenberger das besondere Schutzbedürfnis von Lehrlingen. Die Unfallrisiken sind von Branche zu Branche unterschiedlich. Rund 27.000 Verletzungen verzeichnet die AUVA jährlich bei 15- bis 25-jährigen unselbstständig Erwerbstätigen. Die Hälfte davon sind Handverletzungen, zwei Drittel der Verunfallten sind männlich. „Das geht sehr schnell. Ein Lehrling schneidet zum Beispiel Kartons mit einem billigen Stanleymesser auf, rutscht ab, und schon hat er eine Schnittwunde", berichtet Michael Trinko, Bundessekretär der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ). „Hier sparen etliche Betriebe leider an der falschen Stelle und schneiden sich damit ins eigene Fleisch. Denn der Ausfall eines Lehrlings kostet mehr als gutes Arbeitsmaterial."

Erstaunlich selten

„Gesundheitsprävention beginnt bei den Jungen" lautet der Ansatz fast aller betrieblichen Gesundheitsprogramme und -kampagnen. Klares Statement, unzureichende Umsetzung. Gerade auf Betriebsebene, wo Gesundheitsschutz am meisten Sinn macht, ist Gesundheitsförderung speziell für junge Menschen erstaunlich selten. Die Lehrwerkstätte der Siemens AG in Graz ist eine von wenigen Ausnahmen. Seit den 1990er-Jahren bietet sie ihren Lehrlingen Outdoor-Teamtrainings, Seminare zu Ernährung, Jugendschutz oder Drogenprävention an. Lehrlinge haben tägliche Bewegungspausen und können aus einem breiten Angebot an Betriebssport auswählen. Für diese Maßnahmen wurde die Lehrwerkstätte der Siemens AG in Graz heuer mit dem Staatspreis für betriebliche Gesundheitsförderung für „Young Professionals" ausgezeichnet. Um auf Gesundheitsförderung und Gesundheitsschutz von Lehrlingen aufmerksam zu machen, veranstaltete die ÖGJ Anfang Oktober eine Konferenz gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium. Die rund 150 JugendvertrauensrätInnen sollten in Workshops zu Suchtprävention, zu Verhütung und Ernährung ihre Erfahrungen austauschen und ihr Wissen in die Betriebe tragen. 2014 hat auch der Fonds Gesundes Österreich einen Schwerpunkt auf die Lehrlingsgesundheitsförderung gelegt, „da Lehrlinge eine Zielgruppe darstellen, die bislang noch kaum mit Gesundheitsförderungsmaßnahmen erreicht wurde".

Lehre im Gesundheitscheck

Würde man die Berufsausbildung einem Gesundheitscheck unterziehen, wären die Ergebnisse zum Teil unerfreulich: übergewichtige Arbeitszeiten und wenig fit im fachgerechten Anlernen und Ausbilden der Lehrlinge. Wiederkehrende Überstunden, berufsfremde Tätigkeiten und eine Ausbildung, die nicht alle Aspekte des Berufsbildes umfasst, sind die häufigsten Beschwerden von Lehrlingen bei der ÖGJ und in der AK. Nach einer Lehrlingsumfrage der AK Wien von 2010 lernt nur die Hälfte der Befragten, was im jeweiligen Berufsbild vorgesehen ist. Die Hälfte bis drei Viertel der Lehrlinge leisten Überstunden - zum Teil auch unter 18-Jährige, die gar keine Überstunden machen dürfen. Jugendliche befinden sich noch im Wachstum und sind weniger belastbar als Erwachsene. Gerade zu Beginn des Berufseinstieges können schon wenige Stunden Arbeit ermüden. Jugendliche sind dadurch weniger leistungsfähig, unkonzentrierter und anfälliger für Fehler. Peter Schlögl, Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für Bildungsforschung (ÖIBF), sieht die wahren Krankmacher im System: in der Qualität der Ausbildung. Nur gibt es derzeit keine Qualitätssicherung, kein Qualitätslabel. Das einzige Qualitätskriterium in der Lehre ist die Lehrabschlussprüfung, bei der Lehrlinge am Ende ihrer Ausbildung beweisen müssen, dass sie entsprechend dem Berufsbild ausgebildet sind. Die Verantwortung liegt damit bei ihnen - und auch das Risiko, wenn sie die Lehrabschlussprüfung nicht schaffen. Das betrifft immerhin ein Fünftel aller österreichischen Lehrlinge beim ersten Prüfungsantritt. „Für den Erfolg der Ausbildung dürfen nicht nur Jugendliche verantwortlich gemacht werden, sondern auch der Betrieb. Das fehlt in Österreich", so Schlögl.

Qualitätslabel für Lehre

Gesundheitsförderung ist noch viel mehr als „an apple a day" oder ein paar Stunden pro Woche auf dem Sportplatz. Gesundheitsförderung junger Menschen heißt, eine gesunde Arbeitssituation zu schaffen, ein Umfeld, in dem Lehrlinge sich entwickeln und vor allem lernen können. „Es wird immer unterschätzt, dass die Phase der Sozialisation das ganze Erwerbsleben mitprägt", so Peter Schlögl. Die Entwicklung von Selbstvertrauen, Selbstständigkeit und Konfliktfähigkeit werde von den Erfahrungen der Lehre geprägt. Zum Teil sind junge Menschen auf die bedeutenden Veränderungen im Übergang von Schule in die Arbeitswelt nicht vorbereitet. Die Produktionsbedingungen üben zunehmenden Druck aus und lassen immer weniger Raum zum Erproben oder um Routinen zu entwickeln. Das kann bei Jugendlichen zu Überforderung führen und den positiven Bezug zur Arbeit beeinträchtigen. Irgendwann schlagen diese Bedingungen auf den Magen und die Gesundheit. In Österreich fehle es laut Schlögl vielerorts am professionellen Umgangston mit Lehrlingen. „Wennst einen Führerschein hast, kannst auch Palatschinken machen", wie ein Ausbildner zu einem Lehrling sagte, machen das Problem deutlich. Schlögl: „Wenn wir wollen, dass Menschen länger in Beschäftigung bleiben, dann müssen Betriebe umdenken. Der erste Schritt ist ein Qualitätslabel für die Berufsbildung. Das ist die nachhaltigste Gesundheitsförderung."

Internet: Gesundheit von Lehrlingen in Österreich (Factsheet vom Fonds Gesundes Österreich, 2014) tinyurl.com/olzotrb

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Von Irene Steindl, Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/14.

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