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Norwegen: Plötzlich riss der Boden auf - die Opfer des Erdloch-Dramas

Die Ortschaft Gjerdrum hat nur 6890 Einwohner. Das Loch in der Erde ist rund 300 Meter breit und 700 Meter lang, rund 30 Häuser wurden zerstörtFoto: AP

Oslo - Es war die vorletzte Nacht des Jahres - und sie endete in Gjerdrum (Norwegen), nordöstlich von Oslo, mit einer Katastrophe. Morgens um 4 Uhr riss plötzlich die Erde auf und begrub mehrere Menschen unter sich. Sieben Tote konnten die Rettungsmannschaften bisher bergen, fünf der Opfer wurden identifiziert, darunter ein 2-jähriges Mädchen. Zehn Menschen wurden bei dem Unglück verletzt, einer von ihnen schwer.

Das sind die Opfer des Norwegen-Dramas

Zu den Toten gehört Eirik Grønolen (†31). Er war ein Freund des norwegischen Weltklasse-Tennisprofis Casper Ruud (22). „Ich habe einen Freund, Kollegen und einen wichtigen Mitstreiter in meinem Team verloren", schrieb Ruud auf Instagram.

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► Besonders tragisch: Es ist zu befürchten, dass eine ganze Familie ums Leben kam.

Vater Bjørn-Ivar Grymyr Jansen (†40) und seine 2-jährige Tochter Alma wurden tot geborgen. Alma wurde von den Rettungsmannschaften am späten Sonntagnachmittag gefunden.

Ob Almas Mutter Charlot gefunden und noch nicht identifiziert wurde oder ob die Rettungsmannschaften noch nach ihr suchen, war Montagmorgen nicht bekannt. Charlot war hochschwanger und freute sich auf ihr zweites Kind, das im Februar zur Welt kommen sollte.

► Ebenfalls tot geborgen wurden Lisbeth Neraas (†51) und ihr Sohn Marius Brustad (†29)

Diese Menschen gelten noch als vermisst

► Als vermisst gelten Irene Ruud Gundersen (69) und Rasa Lasinskiene (49). Rasa musste am 30.12. in die Frühschicht. Deshalb war sie um 4 Uhr morgens vorher noch mit ihrem Hund unterwegs. Sie telefonierte gerade mit ihrem Mann, als sich die Erde öffnete.

► Ebenfalls vermisst werden Ann-Mari Olsen-Næristorp (50) und ihre 13-jährige Tochter Viktoria. Ann-Maris Ehemann Odd Steiner konnte sich aus dem Haus retten, verletzte sich aber und kam in ein Krankenhaus. „Viktoria war krank, deshalb schlief meine Frau bei ihr im Zimmer. Meine Frau kam ins Schlafzimmer und sagte, dass wir aus dem Haus müssen. Ich dachte, es brennt. Ich lief hinter ihnen die Treppe hinunter. Sie waren schon draußen, als das Haus über mir einstürzte. Ich schaffte es noch hinaus, aber alles schwankte. Komischerweise hatte ich das Gefühl, auf dem Dach des Hauses zu stehen. Ich habe gedacht, meine Frau und meine Tochter seien in Sicherheit."

Erdrutsch in den frühen Morgenstunden

Zu dem heftigen Erdrutsch in der Kommune Gjerdrum rund 40 Kilometer nordöstlich von Oslo war es am frühen Morgen des 30. Dezembers gekommen: Plötzlich sackte ein ganzer Hügel weg, riss ein 300 Meter breites und 700 Meter langes Loch ins Erdreich. Dutzende Häuser und Wohnungen wurden zerstört.

Glück im Unglück hatten vier junge Männer. Bendik Anders (19) und seine Kumpel wollten in der Unglücksnacht einen Freund nach Hause bringen.

„Wegen des Wetters fuhren wir sehr langsam, als Felix nach Hause musste. Da hat sich der Weg vor uns auf einmal geneigt und dann verschwand er. Wir haben erst gar nicht begriffen, was passiert ist. Aber dann checkten wir es."

Die vier sprangen aus dem Auto und liefen - so schnell es ging - in die entgegengesetzte Richtung. Am nächsten Tag konnten sie auf Fotos erkennen, dass sie nur einen Meter vor der abgesackten Erde den Wagen gestoppt hatten.

Bendik und seine Freunde wurden bei ihrer Flucht vor dem Abgrund Zeugen, wie Anwohner schreiend und verzweifelt aus ihren Häusern rannten: „Sie hatten nichts an und liefen so schnell es ging. Alle schrien und alle liefen den Berg hoch." Königsfamilie besuchte den Unglücksort

Auch die norwegische Königsfamilie zeigte ihre Anteilnahme. König Harald V. (83), Königin Sonja (83) und Kronprinz Haakon (47) reisten am Sonntag in die Kommune Gjerdrum, um sich mit Vertretern der Gemeinde, Einsatzkräften und Betroffenen zu treffen.

In der Kirche der Kommune zündeten sie in Gedenken an die Opfer Kerzen an. „Das ist völlig schrecklich", sagte König Harald V. über das Unglück. „Es ist sehr schwer, das in Worte zu fassen."

„Quickton" als Ursache? Rund 1000 Anwohner waren sofort nach dem Erdrutsch evakuiert worden. Die Ursache des Norwegen-Dramas ist noch nicht eindeutig geklärt. Man weiß jedoch, dass es genau in dieser Gegend „Quickton" gibt, eine geologische Besonderheit, die man auch in Kanada und Russland kennt. „Quickton" ist unstabile Erde, in Küstennähe kennt man das Phänomen als Quick- bzw. Treibsand. Ob in Gjerdrum Wohnhäuser auf instabilem Untergrund gebaut wurden, ist jedoch noch nicht klar. Die zuständige Behörde gab an, dass ein Gebiet von insgesamt etwa 280 000 Quadratmetern ins Rutschen geraten sei. Einige Häuser wurden um 400 Meter verschoben.
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