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Stockholm: Mutter isolierte Sohn (41) für 28 Jahre - hier sagt sie, warum

In diesem Wohnblock in Stockholm hauste die Mutter mit ihrem SohnFoto: imago images/TT

Ein Mann (41) wurde letzten Sonntag abgemagert und zahnlos in einer vermüllten Wohnung bei Stockholm gefunden. Seine Mutter (70) hatte ihn 28 Jahre von der Außenwelt abgeschirmt. Sie wurde festgenommen, nun aber wieder freigelassen. Begründung: Sie habe den Sohn nur psychisch an sich gebunden, nicht aber eingesperrt ... Während der 41-Jährige nach einer Not-Operation noch im Krankenhaus liegt, kehrte seine Mutter am Donnerstag in ihre Wohnung zurück. Dort sprach sie - anonym - mit der schwedischen Zeitung „Expressen".

Ihre Geschichte ist traurig und schwer nachzuvollziehen. Warum holte sie nie Hilfe? Warum hat ihr nie jemand Hilfe angeboten? Auf diese Fragen wusste sie keine Antworten, aber sie zeigen einen kleinen Blick in das zerstörte Leben von zwei Menschen. Eine Tragödie, die vor einem halben Jahrhundert begann und erst jetzt zu Ende ist.

„Mein Mann hat mich schwer misshandelt"

„Wir brauchen dringend Hilfe", sagt sie der Zeitung, als sie in die Wohnung zurückkehrt. „Mein Sohn und ich brauchen das schon lange. Aber heute Nachmittag soll jemand kommen und mir beim Aufräumen helfen." Die Küche leer. Es gibt nichts zu essen, nichts zu trinken. Nur eine Dose Energy-Drink. Am Boden liegen einige Decken - hier hatte ihr Sohn die letzten Jahre immer geschlafen.

„Es begann, als die Kinder klein waren. Mein Mann hat mich schwer misshandelt, und meine Kinder mussten zuschauen", berichtet sie. „Wir hatten ein hartes Leben".

Ihr Mann war ein Tyrann, der einmal sogar die Möbel aus der Wohnung trug und sie verbrannte. Er starb Anfang der 90er Jahre. Sie blieb alleine und traumatisiert mit ihrem Sohn und zwei Töchtern zurück. Mit einer Tochter besteht schon lange kein Kontakt mehr, die andere hat sich jahrelang bemüht, Mutter und Bruder aus der Misere herauszuholen. Aber niemand bei den Behörden glaubte ihr.

▶︎ Die 70-Jährige hatte eigentlich vier Kinder. Ihr ältester Sohn starb als Kleinkind an Krebs. Zwei Jahre nach seinem Tod kam der heute 41-Jährige zur Welt. Sie glaubte, ihr verstorbenes Kind sei zurückgekehrt. Sie sagte es so oft und so überzeugend, dass der Junge es selbst glaubte. Er war der verstorbene große Bruder, der zurück zu seiner Mama gekommen war. Er wurde ängstlich und unsicher und hatte nie Freunde. Als er 13 war, schmiss er die Schule.

Seine Mutter sagt heute: „Es ging ihm dort schlecht. Wegen seiner Kindheit, wegen allem, was er schon durchgemacht hatte. Er hatte psychische Probleme. Meine Töchter zogen aus, aber er fühlte sich nur bei mir geborgen und sicher."

Rückblickend scheint ihr ihr zurückgezogenes Leben mit dem Sohn immer noch einigermaßen normal vorzukommen. „Eigentlich lief es ganz gut, nur das letzte halbe Jahr war schwierig. Es war psychisch hart für mich und meinen Sohn." Warum das letzte halbe Jahr besonders schwierig war? Sie kann es nicht erklären. Mutter: „Ich will einfach meine Ruhe haben"

Ob sie jemals wieder mit ihrem Sohn zusammenleben wird, weiß sie nicht. „Vielleicht sehe ich ihn nie wieder. Ich vermisse ihn so sehr. Aber ich hatte noch keinen Kontakt zu ihm."

▶︎ Sie hofft, dass er zurückkehrt und dass sie weiterhin in der Wohnung bleiben darf. Wenn sie nicht länger Krankengeld für ihren Sohn bezieht, wird das jedoch schwierig. Das weiß sie selbst. Aber auch dafür hat sie eine Lösung. „Meine Geschwister und ich besitzen ein Grundstück. Wenn sie mich auszahlen, kann ich hierbleiben. Dann habe ich genug Geld. Ich will hier einfach bleiben und meine Ruhe haben."

Da sich nun endlich die Sozialbehörden um die Familie kümmern, kann es sein, dass der Sohn einen Betreuer oder eine Betreuerin bekommt und ihm eine eigene Wohnung zur Verfügung gestellt wird. Es kann auch sein, dass beide gemeinsam in einem Wohnprojekt für psychisch Kranke untergebracht werden. Am Freitag war noch nicht bekannt, wie es nun mit Mutter und Sohn weitergehen wird.

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