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Olof Palme war schwedischer Ministerpräsident. Und zwar zweimal: von 1969 bis 1976 und von 1982 bis 1986
Stockholm - Der letzte Weg von Olof Palme war 320 Meter lang.
Es war der 28. Februar 1986 und ein kalter Winterabend. Der sozialdemokratische Regierungschef ging mit seiner Frau Lisbet, seinem Sohn Mårten und dessen Freundin ins Kino. Gemeinsam sahen sie im Stockholmer „Grand"-Kino den Film „Die Mozart-Brüder". Regisseurin Susanne Osten hatte gehofft, dass Palme in dem Film eine Nebenrolle übernehmen wird, aber er hatte abgelehnt. Nun wollte sich die Familie zumindest gemeinsam den Film ansehen.
Olof Palme war zu diesem Zeitpunkt umstrittener Ministerpräsident Schwedens. Er hatte - als er bereits Minister war - gegen den Vietnam-Krieg demonstriert. Für viele war er ein Idol, andere hassten ihn. Täglich gingen Drohbriefe bei ihm ein.
Sein Freund Thage Peterson erzählte später, dass Palme deshalb Panik-Attacken bekommen habe und aus Angst um seine Familie weinte. Bodyguards lehnte er trotzdem so weit wie möglich ab.
Er wollte ein „normales" Leben führen, auch als Regierungschef. Auch an diesem Abend hatte er auf die Begleitung von Leibwächtern verzichtet. Der Mord auf der StraßeNach dem Kinobesuch verabschiedete sich das Ehepaar Palme von Sohn Mårten und dessen Freundin. Es war kurz nach 23 Uhr. Olof und Lisbeth Palme gingen die Straße Sveavägen entlang. 320 Meter weiter, an der Ecke Tunnelgatan, ist eine U-Bahn-Station. Das Paar wollte heim in ihre Stadtwohnung in „Gamla Stan", der Altstadt von Stockholm.
An der Ecke Tunnelgatan tritt ein Mann aus der Dunkelheit. Es fallen zwei Schüsse. Es ist 23:21 Uhr.Olof Palme bricht zusammen, eine zweite Kugel fliegt knapp an Lisbet Palme vorbei. Im Krankenhaus finden die Krankenschwestern später auf ihrem Rücken einen dünnen, langen Kratzer, den der Streifschuss hinterlassen hatte.
Die erste und tödliche Kugel traf Olof Palme in einer Höhe von 140 Zentimetern direkt in der Brust.Der Mörder lief die Tunnelgatan hoch und verschwand über die steilen Treppen, die von dort aus zur David-Bagares-Gata führen. Zwei Zeugen beobachteten ihn.
Um Lisbet und ihren sterbenden Mann versammeln sich Passanten, die Schwesternschülerin Ane Hage leistet erste Hilfe, ein Taxifahrer schlägt Alarm, ein Krankenwagen kommt zufällig vorbei und hält an.Um 23:28 Uhr geht bei der Polizei der erste Notruf ein. Aber jede Hilfe kommt zu spät. Olof Palme stirbt. Sein Tod wurde über den Rundfunk offiziell am 1. März, um 01:10 mitgeteilt.
Die unendlichen NachforschungenDamit begannen Nachforschungen, die sich in den letzten 30 Jahren zur größten Mord-Untersuchung in der Kriminalgeschichte entwickelt haben. Würde man alle Ordner der Ermittlungsarbeiten nebeneinander stellen, würden sie eine Länge von 230 Metern ergeben. 10 225 Personen wurden verhört, insgesamt 87 318 verschiedene Namen tauchen in den Unterlagen auf. 4296 Fahrzeuge wurden untersucht. 133 Personen haben den Mord sogar gestanden.
Die Mordwaffe wurde allerdings nie gefunden, sie wird bis heute gesucht.Die sechsköpfige „Palme-Gruppe" der Polizei geht täglich neuen Hinweisen nach, musste aber am Donnerstag bei einem Presse-Gespräch in Stockholm zugeben: „Wir haben keinen konkreten Verdächtigen."
Dabei wirkte es einmal fast so, als sei der Fall geklärt. Die Polizei dachte, sie habe den Mörder. Er hieß Christer Pettersson. Der Verdächtige Christer PetterssonAchtzig verschiedene Personen haben am Mordabend Beobachtungen gemacht und den Mörder geschildert. Einige sagten, er habe einen Hut getragen, andere sprachen von einer Mütze. Die Beschreibungen hätten unterschiedlicher nicht sein können. Aber sie liefen in einigen Punkten auf das gleiche hinaus: Der Mann war um die 40, etwa 1 Meter 85 groß, hatte ein vierkantiges Gesicht und er ging gebeugt. Es entstand ein Phantombild.
Der drogensüchtige Christer Pettersson war am Mordabend in der Nähe des Tatorts gewesen und stand von Anfang an im Visier der Polizei. Er ähnelte dem Phantombild, und er schien in das Bild eines „einsamen, verwirrten Täters" zu passen, nach dem die Polizei suchte.
Die Polizei machte eine Gegenüberstellung. Christer Pettersson wurde zusammen mit anderen, ähnlich aussehenden Männern, gefilmt. Dieser Film wurde dann Palmes Sohn und Palmes Witwe gezeigt. Beide erkannten in Christer Pettersson den Täter. Im Juli 1989 wurde er wegen Mordes verurteilt.Allerdings war das Gericht von Anfang an nicht ganz einig, es kam zu einer Berufung, und während dieser Berufungsverhandlung wurde Pettersson freigesprochen. Der Grund: Die Polizei hatte Lisbet Palme gesagt, dass sie einen „Alkoholiker" verhaftet habe. Und Lisbet Palme deutete bei der Gegenüberstellung auf Pettersson mit der Begründung, dass man ja wisse, wie Alkoholiker aussehen. Genau diese Situation führte im November 1989 dazu, dass Pettersson von allen Anklagen freigesprochen wurde.
Er verkaufte anschließend seine Geschichte an verschiedene Zeitungen. Für die Medien war klar, dass er immer noch der Hauptverdächtigte war. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Hinweise, die auf Pettersson als Täter hinwiesen.Das höchste Gericht Schwedens wies allerdings 1998 alle Untersuchungsergebnisse zurück. Christer Pettersson gilt offiziell als von jedem Verdacht befreit.
2004 starb Christer Pettersson nach einem Sturz, bei dem er sich am Kopf verletzte.
Palmes Sohn Mårten ist bis heute davon überzeugt, dass die Polizei damals den Täter hatte. „Ich glaube, es war Christer Pettersson", sagt er in einem Interview mit der norwegischen Zeitung „Dagbladet" Mitte Februar 2016. Auch Lisbet Palme hat in früheren Interviews daran festgehalten, dass sie von der Schuld Petterssons überzeugt sei.
Auf die Öffentlichkeit wirkte es mehr als verwirrend, dass Pettersson offensichtlich gegenüber einigen Freunden die Tat gestanden hatte, gegenüber anderen die Tat jedoch leugnete. Die Antwort auf die Frage, ob er Palme wirklich ermordet hat, kannte nur er und er nahm sie mit ins Grab. Wer beging den Mord?Da der Mord nie geklärt wurde, entstanden seit der Tat eine Vielzahl von Theorien. Einige wirken äußerst logisch, andere erinnern mehr an Verschwörungstheorien.
Nahrung bekamen die Gerüchte auch dadurch, dass eine Reihe von Augenzeugen am Mordabend Männer mit Walkie-Talkies auf der Sveavägen beobachteten. Wer waren diese Männer, mit wem sprachen sie?Seit dem Mord sind alleine in Schweden über zwanzig Bücher erschienen, die sich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten beschäftigen.
Die „Polizei-Spur"Laut einer Theorie waren die Walkie-Talkie-Männer Polizisten, und Olof Palme wurde von einer Gruppe rechtsextremer Polizisten ermordet.
Eine solche Gruppe gab es damals wirklich innerhalb der Stockholmer Polizei.Der ersten Palme-Sondereinheit wurde immer wieder vorgeworfen, diese Spur nicht ernst genug genommen zu haben, aber bei einem Pressetreffen am 25. Februar 2016 sagte die verantwortliche Staatsanwältin Kerstin Skarp (62): „Die Betreffenden wurden verhört, sie waren an diesem Abend im Dienst oder wo anders. Es gibt keine Polizei-Spur."
Die „PKK-Spur"Die kurdische Terrororganisation PKK geriet sehr schnell in den Mittelpunkt des Interesses, da sie in den 80er Jahren für einige Morde in Schweden verantwortlich war.
Es wurden sämtliche bekannte PKK-Mitglieder in Schweden vernommen, keiner von ihnen war auch nur in der Nähe des Tatortes gewesen. Die „PKK-Spur" beschäftigte Schweden sehr lange und führte sogar dazu, dass eine Justizministerin zurücktreten musste, weil es zu illegalen Abhörungen gekommen war.
Staatsanwältin Kerstin Skarpl sagte nun: „Die PKK-Spur verfolgen wir schon seit 2001 nicht mehr."
Die „Südafrika-Spur"Olof Palme galt als einer der führenden Politiker im Kampf gegen das Apartheid-Regime und hatte nur eine Woche vor dem Mord die Apartheid mit der Politik Hitlers verglichen. Es ist bekannt, dass kurz nach dem Mord zwei Südafrikaner vom Stockholmer Flughafen Arlanda aus Schweden verließen und heimflogen. Es gibt hier sehr widersprüchliche Aussagen. Die Staatsanwaltschaft arbeitet bis heute mit der Möglichkeit, dass der damalige südafrikanische Geheimnisdienst eventuell dahinterstecken könnte. Man versucht auch immer noch herauszubekommen, wer die beiden Männer auf dem Flughafen Arlanda waren, die damals Stockholm verließen.
Die Spur des „33-Jährigen"Schon am Tag nach dem Mord informierte eine Frau die Polizei darüber, dass sie mit einem 33-Jährigen essen gewesen war, der sich als Palme-Hasser entpuppt hatte. Er hieß Victor Gunnarsson, wurde festgenommen und verhört. Er war in der Mordnacht in der Nähe des Tatorts, ging dort in eine Bar und in ein Kino und hätte die Möglichkeit gehabt, Palme zu erschießen. Allerdings konnte ihm nie etwas nachgewiesen werden. Er ging schließlich in die USA und wurde dort 1994 von einem Polizisten ermordet. Sein Motiv: Eifersucht. Verschwörungstheoretiker sehen darin jedoch einer Fortsetzung ihrer „Polizei-Spur".
Der „Doppelgänger"Christer Pettersson soll einen Doppelgänger gehabt haben. Die Polizei suchte lange nach ihm und fand ihn 1998. Er besaß eine Waffenlizenz für eine Smith & Weston 357 Magnum. Mit einer solchen Waffe wurde Palme erschossen, sie wurde jedoch nie gefunden. Der „Doppelgänger" lebte nahe der Sveavägen. Er wurde mehrere Male verhört, konnte aber nie erklären, was mit der Waffe geschehen war.
Er wies alle Vorwürfe zurück und behauptete immer wieder, mit dem Mord nicht das Geringste zu tun zu haben. Obwohl er die Waffe nicht vorzeigen konnte, reichten die Beweise gegen ihn nicht aus.
2008 wollte ihn die Polizei erneut zu einem Verhör abholen. Als sie an seiner Tür klingelte, nahm er eine Schrotflinte und beging damit Selbstmord. Bei der gründlichen abschließenden Hausdurchsuchung wurde kein Revolver bei ihm gefunden. Bis heute ist die Polizei daran interessiert, diese Waffe zu bekommen. Es gilt als eines der großen Rätsel, was aus der Smith & Weston 357 Magnum des „Doppelgängers" geworden ist.
Andere TheorienEs gibt noch eine Unzahl von anderen Mord-Theorien. Der KGB stecke dahinter oder auch die CIA. Palme habe irgendwelche geheimen, dunklen Geschäfte gemacht und sei deshalb ermordet worden. Einige Zeit stand die RAF unter Verdacht, dann hieß es, die SÄPO, die schwedische Sicherheitspolizei, habe Palme erschossen. Es gab auch das Gerücht, der Sohn einer früheren Geliebten habe ihn erschossen oder dass es gar kein Mord war, sondern ein Selbstmord. Palme sei verzweifelt gewesen und habe sich mitten auf der Straße selbst getötet und versucht, seine Frau mit in den Tod zu reißen.
War doch Pettersson der Mörder?Lennart Gustafsson (64) ist seit 1986 in der „Palme-Gruppe" und kennt jedes Detail der umfassenden Nachforschungen. Viele Schweden glauben heute, dass Christer Pettersson der Mörder war. Lennart Gustafsson ist anderer Ansicht. „Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich das nicht glaube. Aber ich möchte darüber keine Vermutungen äußern. Ich bin Optimist, und ich glaube, dass es immer noch interessante Fakten gibt, die wir noch nicht kennen. Ich hoffe, dass wir das Rätsel einmal lösen werden."
Um der Lösung einen Schritt näher zu kommen, wird das gesamte Team der „Palme-Gruppe" am Jahrestag des Mordes - am Sonntag, den 28. Februar - im Polizeipräsidium von Stockholm sitzen und Hinweise aus der Bevölkerung entgegennehmen. PS: Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan von BILD.de-News!