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Elisa Chirino: "Ein letztes Zucken ging durch meine Finger, dann war Schluss"

Elisa Chirino arbeitete hart für ihren Traum: einmal zu Olympia. Bis sie mit 16 Jahren vom Barren stürzte. Seitdem ist sie querschnittgelähmt. Wie hat sie sich ihr Leben neu aufgebaut?  Sport hat mich schon früh begeistert. Meine mittlere Schwester war Leichtathletin, und meine älteste Schwester hat geturnt. Ich habe ihr als kleines Mädchen oft beim Training zugeschaut. Das Turnen hat mich seitdem fasziniert. Deswegen wollte ich Kunstturnerin werden, also kam ich in eine Turngruppe für Kleinkinder. Zur dritten Klasse wechselte ich von einer normalen Schule auf eine Sportschule, welche auch meine mittlere Schwester längst besuchte. Ich hatte ernste Ambitionen: Tagsüber lernte und trainierte ich, nachts träumte ich von . Mit 16 schaffte ich den Anschluss zur Nationalmannschaft und durfte zu meinem ersten internationalen Einsatz nach Frankreich. Ich war so stolz, Deutschland vertreten zu dürfen. Sport war mein Leben. Bis ich vom Barren stürzte.

Vor dem zweiten Training am Nachmittag rief ich meine Mutter noch an, um ihr von meinem bisherigen Tag zu erzählen: Der 25. März 2014 war ein Dienstag, ein regnerischer Tag. Ich war fast 17 Jahre alt und trainierte gerade für die EM-Qualifikation. Die Qualifikationsanforderungen wurden noch einmal Schritt für Schritt durchgegangen: Im Wettkampf würde ich vier Übungen turnen, mit den ersten dreien war ich durch, nur der Barren fehlte noch. Es lief gut bis dahin, ich war fit. Dann stieg ich auf den Barren, turnte meine letzte Übung, setzte zum Abgang an, aber etwas ging schief: Ich stürzte und schlug mit der Stirn hart auf dem Hallenboden auf.

Ich war die ganze Zeit bei Bewusstsein. Ich weiß noch, wie ich da lag, auf dem Bauch und mein Kopf zur rechten Seite gedreht, den Blick auf meine ausgestreckte Hand gerichtet. Eine letzte Bewegung ging durch meine Finger, ein Zucken, dann war Schluss. So, als hätte man mir den Strom abgestellt. Auch meine Beine konnte ich nicht mehr spüren, konnte nicht mehr aufstehen, nichts. Ich hatte riesige Angst und dachte immer wieder: Scheiße, scheiße, scheiße, da ist gerade etwas ganz Schlimmes passiert. Das war mein letzter Tag als Sportlerin.

Ich kam ins Krankenhaus und nach längerer Wartezeit endlich in den Operationssaal. Da wusste ich noch nicht, dass ich mir den vierten und den fünften Halswirbel gebrochen hatte; auch nicht, dass ich querschnittgelähmt bin, dass ich nie wieder in mein altes Zuhause zurückkehren, Arme und Beine nicht oder kaum mehr benutzen konnte und das Krankenhaus zwei Jahre nicht mehr verlassen würde.

Für die OP wurde mein Turnanzug aufgeschnitten - ich hatte ihn in Frankreich beim Wettkampf bekommen und liebte ihn sehr. Er war weiß, schwarz und ein bisschen golden. Manchmal, wenn ich in Bildern denke, um mir all das zu erklären, was passiert ist, ergibt das mit dem Zerschneiden des Turnanzugs Sinn: Das war ein einschneidendes Erlebnis.

Warum ich? Diese Frage habe ich mir in der Vergangenheit oft gestellt, auch wenn ich darauf nie eine Antwort bekommen werde und es am Ende sowieso nichts bringt, außer dass es einen fertigmacht. Kurz nach dem Unfall dachte ich manchmal, dass ich nicht mehr möchte. Ich war 16 damals, hatte noch so viel vor. Plötzlich war alles anders. Wie sollte mein Leben jetzt weitergehen?

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