Der Münchner Kommissar Andreas H. wusste lange nicht, welche Gabe in ihm schlummert: Als Super-Recognizer hilft ihm sein Talent zur Gesichtserkennung dabei, Verbrechen aufzuklären.
ZEIT Verbrechen: Angenommen, es gibt einen Banküberfall in der Münchner Innenstadt. Die Überwachungskamera hat Aufnahmen vom Täter gemacht. Wie kommen Sie dabei ins Spiel?
Andreas H.: Ich schaue mir das Bildmaterial an und versuche mich zu erinnern: Ist der Typ mir in der Vergangenheit schon mal begegnet? Kommen mir die Gesichtszüge bekannt vor? Wenn ja, woher? Dazu vergleiche ich die Aufnahmen mit anderen Fotos von Tätern und Verdächtigen, die bei uns in der Datenbank liegen. Ich habe Zugriff auf mehrere Millionen Fotos, auf denen Menschen erkennungsdienstlich von der erfasst wurden. In den meisten Fällen, weil sie mit Straftaten in Zusammenhang gebracht werden. Viele Personen kommen mehrfach vor. Wer einmal eine Bank ausraubt, macht das oft auch ein zweites oder drittes Mal. Deshalb ist es sinnvoll, sich auch Bildmaterial von anderen Banküberfällen rund um München anzuschauen.
ZEIT Verbrechen: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
H.: Die meiste Zeit des Tages verbringe ich am Computer und schaue mir aktuelle Fahndungsfotos, verwackelte Aufnahmen von Banküberfällen oder Bilder von Kneipenschlägern an. Wenn ich konzentriert bin, dann scrolle ich in einer Viertelstunde durch tausend Fotos. Mit der Zeit habe ich einen großen Pool an Gesichtern im Langzeitgedächtnis abgespeichert, auf den ich jederzeit zurückgreifen kann.
ZEIT Verbrechen: In so vielen Gesichtern verliert man sich ja schnell.
H.: Darum gehe ich immer zielgerichtet vor. In der Datenbank kann ich filtern. In dem Fall nach Tatort: . Art des Delikts: Banküberfall. Geschlecht: männlich. Auch nach Körperbau, Größe, Haarfarbe kann ich sortieren und so den Personenkreis eingrenzen. Ich habe zwei PC-Bildschirme vor mir stehen, oft 40 Tabs geöffnet, ich schließe Täter aus, treffe eine Vorauswahl, spreche mit unseren beiden anderen Super-Recognizern. Kann es der sein? Oder spricht das kantige Gesicht doch für den anderen? Es kommt auch vor, dass ich meinen Schreibtisch verlasse, beispielsweise wenn aktuelle Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen, wie ein gesuchter Täter eine Konzerthalle betritt. Dann begebe ich mich in die Menschenmasse und versuche, ihn dort zu finden. "Spotting a face in a crowd" heißt das Vorgehen.