Digitale Bildung braucht schnelle Zugänge zum Internet. Doch hier ist Deutschland nur schlecht aufgestellt.
Peinlich" nannte Kanzlerkandidat Olaf Scholz den Zustand der Digitalisierung im Wahlkampf, und niemand wollte ihm widersprechen. Der Traum von der „Gigabit-Gesellschaft", wie ihn die Bundesregierung gern bemüht, hat sich bislang nicht erfüllt. Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigt eine Untersuchung des Berliner „European Center for Digital Competitiveness". In seinem „Digital Riser Report" wurde untersucht, wie stark Nationen in den zurückliegenden drei Jahren ihre digitale Wettbewerbsfähigkeit vorangetrieben haben. Deutschland landete dabei im europäischen Vergleich auf Rang 36 von 37. Nur Albanien schnitt schlechter ab.
Die Pandemie hat die Versäumnisse unter dem Brennglas sichtbar gemacht. Besonders offensichtlich wird der digitale Rückstand im Bildungssystem. Highspeed-Internet ist in den Klassenräumen zumeist ein Fremdwort. Nur 50 Prozent der Schüler haben WLAN an ihrer Schule, bei den Lehrkräften sind es 70 Prozent. Zwischen Einzelgesetzen und unterschiedlichen Fördermaßnahmen laufen viele Bemühungen ins Leere. Das Ziel der Kulturministerkonferenz, dass bis 2021 alle Schüler eine digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutzen können, wurde verfehlt. Dabei sollte der Digitalpakt Schule, den Bund und Länder vor zweieinhalb Jahren beschlossen haben, der Wegbereiter für zukunftsfähigen Unterricht sein: schnelles Internet, leistungsstarke Server, Clouddienste, Onlinelernplattformen, digitale Endgeräte wie Laptops, Tablets und Smartboards im Klassenzimmer.
Über 100.000 Euro pro Schule sind dafür bereitgestellt. Doch von den insgesamt mehr als sechs Milliarden Euro aus dem Digitalpakt sind bei Weitem nicht alle Fördermittel abgerufen. Das Antragsverfahren sei zu bürokratisch. Oft fehle den Schulen neben der digitalen Infrastruktur auch geschultes IT-Personal, um den geforderten technisch-pädagogischen „Medienentwicklungsplan" aufzusetzen, kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
Ob an Kreidetafeln oder an digitalen Smartboards unterrichtet wird, entscheidet sich nicht zuletzt an Vergabeverfahren und Glasfaserkabeln, deren Kern dünner als ein menschliches Haar ist. Doch die Transformation von der Kupferrepublik hin zum Glasfaserland ist ein Geduldspiel. Weniger als sechs Prozent der deutschen Haushalte waren im Dezember 2020 nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit einem Glasfaserkabel verbunden. Im EU-Durchschnitt sind es 33,5 Prozent. In Vorreiterländern wie Spanien, Schweden und Litauen liegt die Quote bei weit über 70 Prozent.
Auch in Klassenzimmern macht sich bemerkbar, dass der Glasfaserausbau in Deutschland nur schleppend vorankommt. Berlin und Brandenburg machten jüngst von sich reden, weil in beiden Bundesländern keine einzige allgemeinbildende Schule einen Glasfaserzugang über die besonders gute „Fiber to the Building"-Anschlussart (FTTB) hatte. Die FFTB-Architektur sieht vor, dass die Glasfaserkabel bis ins Gebäude oder den Keller verlegt werden und so eine noch höhere Datenübertragungsrate ermöglichen. Positivbeispiele wie Bremen und Hamburg, wo die Glasfaserquote an Schulen bei über 98 Prozent liegt, zeigen: Die Kluft zwischen digitalen Pionierschulen und abgehängten Nachzüglern ist groß.
„In Deutschland digitalisieren wir zwar gern: Dann gibt es ein PDF-Formular statt eines Papierausdrucks. Aber es fehlt oft der ganzheitliche Blick, die nötige Infrastruktur und die Bereitschaft für unbürokratische Lösungen", sagt Sascha Friesike, Professor für Design digitaler Innovationen an der Universität der Künste in Berlin.
Auch die Lehre an Hochschulen ist oft eine Angelegenheit von Papierskript und hölzernem Klapptisch. Vor der Pandemie ließen sich nur zwölf Prozent der Lehrangebote digital abrufen. Im Zuge der Pandemie waren es dann innerhalb weniger Wochen mehr als 90 Prozent der Lehrveranstaltungen. Doch die Umstellung im Rekordtempo forderte ihren Tribut. Mehrere Tausend Studenten, die sich gleichzeitig durch digitale Lernplattformen klickten, zwangen vielerorts Hochschulserver in die Knie. „Bis auf Fernuniversitäten ist hierzulande keine Hochschule ressourcentechnisch auf ein so umfassendes digitales Lehrangebot eingestellt gewesen", sagt Friesike.
In einer Befragung unter 119 Hochschulen und Universitäten gab nur jede fünfte an, einen hohen oder sehr hohen Digitalisierungsgrad zu haben. Der größte Handlungsbedarf besteht nach Selbsteinschätzung der Hochschulen im Bereich E-Gouvernance, sprich der Digitalisierung von Finanz- und Personalverwaltung. „Wir verrennen uns da gerne im Klein-Klein und gründen für alles erst mal einen Arbeitskreis. Andere Länder sind uns da enteilt und deutlich professioneller aufgestellt", sagt Professor Friesike, der mehrere Semester an der VU Universität in Amsterdam lehrte.
Von den 31 größten Hochschulen haben hierzulande nur 13 einen CIO (Chief Information Officer) oder Digitalisierungsbeauftragten mit Leitungsverantwortung benannt. In der Pandemie hing es oft vom Engagement einzelner Lehrkräfte und Dozenten ab, wie gut die Transformation des Bildungsangebots in eine digitale Umgebung funktionierte.
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