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Milch aus der Erbse

Niklas Katter, Moritz Braunwarth und Nicolas Hartmann (von links) tüfteln an Alternativen zur Milch.

Die Gründer von Vly haben knapp eine Millionen Euro investiert, um einen Drink zusammenzumischen, der nicht nach Erbsen schmeckt. Können die gelben Hülsenfrüchte eine grüne Alternative zur Milch sein?

Wenn man Testerinnen und Tester fragt, woran sie das Getränk aus Wasser, isoliertem Erbsenprotein, Reis und einem Schuss Rapsöl erinnert, dann fallen die Antworten ganz unterschiedlich aus. Manche wollen Vanillepudding herausschmecken, andere Kokosmilch oder Erdnüsse. „Erst hatte der Drink einen sehr bitteren Beigeschmack und dann hatten wir das Kaffeeproblem", beschreibt Nicolas Hartmann das Experiment.

Mit „wir" meint der Unternehmer sich und seine Mitstreiter Niklas Katter und Moritz Braunwarth, mit denen er 2019 das Start-up Vly (Wortneuschöpfung aus vegan und fly) gründete. Beim sogenannten Kaffeeproblem bilden viele pflanzliche Milchalternativen kleine Wölkchen auf dem heißen, säurehaltigen Kaffee. Die drei Jungunternehmer verbrachten fast zwei Jahre im Labor der TU Berlin und investierten eine hohe sechsstellige Summe, bis sie mit dem Geschmackserlebnis und Nährstoffgehalt zufrieden waren: wenig Kohlenhydrate, viel Eiweiß und cremige Konsistenz - aber bloß keinen erdigen Erbsengeschmack. In drei Varianten ist der Drink verfügbar, darunter eine ohne Zucker und eine für Kaffeetrinker:innen. Die Bilanz seit Markteinführung: Von null auf vier Millionen Liter in anderthalb Jahren.

In jüngerer Vergangenheit hat die Kuhmilch Gesellschaft von Drinks bekommen, die nicht Milch heißen dürfen, weil sich nicht aus einem Euter gewonnen werden: Ersatzprodukte aus Soja, Hafer, Reis oder Mandeln. Und die Erbse? Die schaute lange Zeit noch als geschälte Hülsenfrucht von der Konserve aus zu. Schon seit geraumer Zeit verarbeiten Back- und Süßwarenhersteller die Fasern und Stärke der Erbse. Das überzählige Erbsenprotein hingegen wurde vor allem als Fischfutter verwendet. Erst der Trend zu regionalem Anbau und veganer Ernährung hat die Erbse zur beliebt gemacht. Hinzu kommen Subventionen vom Bund und der EU. Erbsen gelten als eiweißreich und gut für den Boden, weil sie Stickstoff binden. In den letzten zehn Jahren hat sich die Fläche, auf der in Deutschland Erbsen angebaut werden, mehr als verdoppelt.

Die Unternehmensgründer von Vly experimentierten mit verschiedenen Hülsenfrüchten. Die Erbse kristallisierte sich schnell als überlegen heraus. Im Vergleich zu tierischen Produkten kommt der Pflanzendrink ganz ohne die ungesunden gesättigten Fettsäuren aus. Der Proteingehalt liegt zwischen 2,5 und 6,2 Prozent und damit ähnlich hoch wie bei Kuhmilch. Pro Gramm Protein benötigen Erbsen 15-mal weniger CO2 als Kuhmilch - diesen Satz hat das Start-up auf jede ihrer Verpackung drucken lassen.


Der Erbsendrink hat seinen Preis. Mit 2,49 Euro pro Liter liegt er doppelt so hoch wie bei konventioneller Bio-Milch. Dafür verspricht Vly eiweißreiche, gelbe Spalterbsen, die in Frankreich angebaut und im Ruhrgebiet abgefüllt werden. „Vor zehn Jahren, wären wir mit unserer Idee wohl noch zu früh gewesen", meint Hartmann. Heute finde der Milchersatz auch außerhalb vom Szenekiez Prenzlauer Berg seinen Absatzmarkt.

Als Jugendlicher träumt der Unternehmer noch nicht von gelben Spalterbsen, sondern von NBA-Duellen mit Dirk Nowitzki. Als ambitionierter Basketballer bremste ihn kurz vor der Jugendweltmeisterschaft ein entzündeter Ellenbogen schmerzhaft aus. „Da habe ich vieles hinterfragt - auch meine Ernährung", sagt Hartmann. Mit einer Masterthesis zu „Hydrolysiertes Erbsenprotein - Eine kritische Reflexion" schließt er später sein Studium der Mikronährstofftherapie und Regulationsmedizin ab. Als Hartmann eine Großmolkerei beraten soll, wie sie die Überproduktion nach China noch effektiver abwickeln kann, folgt die Rolle rückwärts: „Ich war geschockt von der Massentierhaltung. Kuhmilch, das klingt so gesund. Aber das System dahinter ist schon lange nicht mehr gesund." Mit Niklas Katter (ehemals Unternehmensberater) und Moritz Braunwarth (Sternekoch) findet er zwei Freunde, die ihn bei der Firmengründung unterstützen.

Eine Absage vor Millionenpublikum ist im Herbst 2020 der finale Durchbruch. Mit Protestschildern, auf denen Botschaften stehen wie „Vlyheit für alle Kühe", laufen sie vor die Jury der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen". Das Prinzip der Show: Mit innovativen Geschäftsideen die Gunst von Investor:innen gewinnen. Die Vly-Idee bekommt gute Geschmacksnoten, aber am Ende ist niemand bereit, für 500 000 Euro acht Prozent der Firmenanteile zu erwerben. „Wir hatten zwar keinen Investor, aber die Reichweite der Sendung. Das ist im Zweifel sogar mehr wert", sagt Hartmann. Vor der TV-Ausstrahlung wurden die Lagerbestände wohlweislich aufgestockt, der Umsatz verzwanzigfachte sich in den Wochen nach der Sendung. Auf Instagram beantworteten sie die eingehende Nachrichtenflut oftmals persönlich. Der Marke ein Gesicht geben, das Produkt zu einem Lifestyle machen. Auf jeder Vly-Packung ist der Instagram-Account aufgedruckt, online gibt es das Merchandise-Shirt mit der Aufschrift „No milk today". Damit wollen sich die drei von Konkurrenten wie Nestle abheben, die auch mit einem Erbsendrink auf dem Markt sind.

Aktuell stehen die Unternehmer wieder häufiger im Labor. Es geht nicht mehr nur um die Erbse, sondern auch um die Sonnenblume. Sonnenblumen-Protein, ein Abfallprodukt des Öls mit starkem Eigengeschmack, auch daraus könne man noch ein Produkt entwickeln. Einen Drink? Einen Joghurt? „Puh, weiß ich noch nicht", sagt Hartmann und schiebt hinterher: „Noch ist das eine grüne Masse. Und grün geht gar nicht. Das kommt nicht gut beim Endverbraucher an."

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