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Kunst auf der Haube

Die Raubkatze ist verschwunden. Jaguar-Modelle ab Werk gibt es ausnahmslose ohne die 12 Zentimeter große Kunstfigur.

In den Anfangstagen des Automobils gab es mehr als 6000 Kühlerfiguren. Doch inzwischen sind die kleinen Skulpturen nahezu verschwunden. Einzig eine tapfere Britin hält noch ihren Kopf in den Fahrtwind

Elefanten, Pferde und Bulldoggen sind in dieser Welt längst ausgestorben. Der Jaguar galt lange Zeit als der letzte Vertreter seiner Spezies. Doch auch für die springende Raubkatze ist kein Platz mehr auf dem Kühlergrill. Leaper, das zwölf Zentimeter große Statussymbol des britischen Autoherstellers Jaguar, gibt es nur noch im Zubehörhandel.

Nicht nur die Tierwelt reckt ihren Kopf nicht mehr gen Himmel, sondern auch alle anderen Figuren, Fabelwesen und Formen verschwinden zunehmend vom Kühlergrill. Allein auf Oldtimertreffen oder in den Vitrinen von Sammlern haben die schmucken Skulpturen eine feste Heimat. Das verwundert: Schließlich gibt es die kleinen Kunstfiguren fast genauso lange wie das Automobil, das sie zieren. Jeder Hersteller, der in den zwanziger und dreißiger Jahren etwas auf sich hielt, dekorierte sein Auto mit einer Kühlerfigur.

Dabei waren die Autohersteller keineswegs Pioniere. Eine Galionsfigur am Bug ist in der Seefahrt seit Jahrhunderten Brauch, und schon die alten Römer schmückten ihre Streitwagen mit Figuren. Als das Auto auf dem Vormarsch, aber noch ein Luxusgefährt der Oberklasse war, konnten die Käufer noch selbst kreativ werden. Den Anfang machte 1899 Lord Montagu of Beaulieu, der einen Christophorus für seinen Daimler anfertigen ließ. Der Schutzpatron der Reisenden gilt als erste Kühlerfigur. Kitsch und Kunst erhielten in den Folgejahren auf der Karosserie eine Bühne, ehe eine Frau alle anderen Figuren in den Schatten stellte: „Spirit of Ecstasy", Geist der Verzückung, taufte Rolls-Royce seine 223 Gramm schwere Frontfrau. „Emily" wird die Dame, um deren wahre Identität sich zahlreiche Mythen ranken, von deutschen Autoliebhabern genannt.

Bildhauer Charles Sykes entwarf die wohl berühmteste Figur

Allerdings hatte auch die wohl bekannteste Kühlerfigur anfangs mit Vorbehalten zu kämpfen. Henry Royce, Mitbegründer der britischen Luxusmarke, hätte gerne auf sie verzichtet. Derlei Zierrat lenkte in seinen Augen nur von der schönen Linienführung des Wagens ab. Doch Royce ließ sich überreden. Der Bildhauer Charles Sykes entwarf 1911 die erste aus Metall gegossene Kühlerfigur, die serienmäßig mitgegeben wurde. Zeitlebens hüllte sich der Künstler in Schweigen, wer genau Vorbild für sein berühmtestes Werk war. Am hartnäckigsten hält sich die Erzählung, dass Eleanor Thornton, die Sekretärin und Geliebte des britischen Adligen John Walter Edward Douglas-Scott-Montagu bis heute jeden Kühler eines Rolls-Royce ziert. „Wenn Sie glauben wollen, dass sie meine Inspiration war, dann tun Sie das eben. Es wäre doch eine schöne Geschichte", soll der Künstler auf Nachfragen stets geantwortet haben.

Als die Figur bei neuen Rolls-Royce-Modellen das Sichtfeld einschränkte, wurde die dynamische Dame etwas kleiner. Zwischen 1932 und 1950 kniete sie. Doch ganz weg war sie nie. Die „Lady of Ecstasy" ist heute die letzte verbliebene Kunstfigur, die serienmäßig auf dem Kühlergrill eines namhaften Herstellers prangt. Den Leaper von Jaguar oder das „Flying B" von Bentley gibt es nur noch auf ausdrücklichen Kundenwunsch. „Mercedes-Benz - ihr guter Stern" - die Daimler AG hat sich den Markenclaim ihrer berühmten Kühlerfigur sogar markenrechtlich schützen lassen. Seit 1925 schmückt der dreizackige Stern die Karosserie eines jeden Neuwagens. Doch still und heimlich wurde aus dem aufgerichteten Stern aus Edelstahl ein Emblem auf der Haube. Einzig die S-Klasse und die Maybach-Modelle verlassen heute noch serienmäßig mit freistehendem Stern die Fabrikhallen.

Andere Figuren verschwanden zusammen mit ihren Herstellern. Horch (Flügel und Pfeil), Hispano Suiza (Kranich) oder Packard (unter anderem Pelikan und Amazone) sind ein Blickfang auf Oldtimertreffen, aber gehen schon lange nicht mehr vom Band. Hersteller von Weltrang wie Opel (Zeppelin), Ford (Vogel) oder Peugeot (Löwe) trennten sich wiederum früh von ihren Kühlerfiguren.

Die Massenmotorisierung bedeutete das Ende der Kühlerfiguren

Eine Motorhaube ohne Kunstfigur – für Ruth Schumacher ist das ein ziemlich trostloser Anblick. „Die Modelle gleichen sich immer an. Es fehlt ein Hingucker, ein Unterscheidungsmerkmal“, meint die Autoliebhaberin. Rund 1500 Embleme und Kühlerfiguren hat die Siebenundsechzigjährige in ihrer privaten Sammlung zusammengetragen. Darunter sind Schnecken, Indianerhäuptlinge, Tanzpaare und knieende Schulmädchen. „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, sagt sie. Besonders die britischen und französischen Unikate haben es ihr angetan. In beiden Ländern gab es Künstler, die sich in den dreißiger Jahren auf Design und Produktion von Kühlerfiguren spezialisierten. Das französische Unternehmen Lejeune bot allein 60 verschiedene Hundefiguren an.

Das Zeitalter der Massenmotorisierung bedeutete jedoch das Aus für viele Figuren. Das hat auch damit zu tun, dass die Kühlerfiguren zunehmend ihre Nebentätigkeit verloren. In den Anfangsjahren des Automobils waren sie nämlich nicht allein Zierde, sondern oft auch mit einem Thermometer versehen, das bis ins Kühlwasser reichte. So konnte der Fahrer die Wassertemperatur mittels einer roten Quecksilbersäule an der Kühlerfigur bestimmen. Da nur Luxuswagen eine Temperaturanzeige auf dem Armaturenbrett besaßen, war das sogenannte Calormeter ein nützlicher Helfer. Als die Kühlsysteme zunehmend unter der Motorhaube verschwanden, verschwand der externe Kühlerverschluss, an dessen Ende die Kunstfigur emporragte, mit ihnen.

Ein Verletzungsrisiko für Fußgänger

Wenig zuträglich war es da, dass die Kühlerkunst in den Folgejahren mit Negativschlagzeilen von sich reden machte. Bei Unfällen mit Fußgängern verursachten die hervorstehenden Figuren schwere Verletzungen. In Deutschland wurden starre Kühlerfiguren deshalb von 1959 an vorübergehend verboten. Für den Mercedes-Stern war das kein Grund, einzuknicken, aber ein Grund umzuklappen. Mercedes-Benz brachte von nun an nur noch Modelle auf die Straße, deren Stern dank Kugelgelenk bei einem Aufprall nach hinten wegklappte.

Doch der stolze Stern war häufiger verschwunden, als es seinen Besitzern lieb war. Als Statussymbol des Establishments verunglimpft, wurde das Markensymbol zum begehrten Souvenir in der linken Szene. Kaum ein Ersatzteil wurde in Mercedes-Werkstätten so häufig nachgefragt wie der Stern. Mit Vandalismus und Diebstahl hat auch die edle Lady von Rolls-Royce zu kämpfen. Schon bei der zärtlichsten Berührung verabschiedet sich die „Spirit of Ecstasy“ unter die Haube.

Figuren für bis zu 50.000 Euro

Dabei sieht jede „Emily“ ein klein bisschen anders aus. Mal ist die Haarsträhne dünner, mal dicker. Die Figuren werden in Handarbeit und als Gussteil im sogenannten Wachsausschmelzverfahren produziert. In einem kleinen Betrieb bei Southampton sind acht Kunsthandwerker mit jeder Kühlerfigur rund zwei Wochen beschäftigt. Bei der Materialauswahl bietet der Hersteller mehrere Optionen an. Standard ist Edelstahl. Auf Wunsch wird die Figur auch versilbert oder vergoldet. In der Blütezeit der Kühlerfiguren zeigten sich die Autobauer noch experimentierfreudiger. Zink war als billiges Massenprodukt zwar beliebt, aber bekam schnell Risse. Messing, Chrom oder Bronze erwiesen sich da als witterungsbeständiger. Der Juwelier René Jules Lalique ging noch einen Schritt weiter und bevorzugte Glas als Material für seine Unikate.

Je seltener die Kühlerfiguren auf der Straße zu bewundern sind, desto umkämpfter ist der Sammlermarkt. Der aufgerichtete Elefant, den Rembrandt Bugatti als Persiflage auf Rolls-Royce für den Bugatti Royale seines Bruders Ettore Bugatti entwarf, gilt unter Sammlern als eine Art Blaue Mauritius der Kühlerfiguren. Weltweit gibt es nur sechs Originale, die zu Preisen von bis zu 50.000 Euro gehandelt werden. Deutlich preisgünstiger bietet Rolls-Royce sein bekanntestes Markengesicht an. Für knapp 1600 Euro wechselt die Figur aus dem Fahrtwind auf den Marmorsockel und kann als Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch bewundert werden. Dann bleibt auch genug Zeit, um über die wahre Identität der ewigen Schönheit zu rätseln.


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