Dr. Helga Wäß

Freie Journalistin, Kunst, Kultur Trends und mehr, München

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Artikel

50 Years of Photographs by Jerry N. Uelsmann [1]

Symbolbild, München Nationaltheater-Tympanon, Foto: Helga Waess

50 Years of Photographs by Jerry N. Uelsmann


"Jerry Uelsmanns Arbeiten entstehen in der Dunkelkammer und jede Photographie kann als eine bzw. als seine ganz persönliche Neuschöpfung gewertet werden, da jedes Motiv und jeder Abzug vom vorherigen abweichen kann - und sei es nur in der Überlappung der Negative, die hinterher auf dem fertigen Abzug sichtbar wird. Betrachtet man die ausgestellten Arbeiten, der letzten 50 Jahre, so wird klar, dieser Photograph hat die Möglichkeiten der 'Digitalen Photographie' und 'Digitalen Bildbearbeitung', lange vor ihrer Entstehung mit seiner eigenen Technik, mit der 'Alchemie der Dunkelkammer', so Uelsmann, "vorweggenommen und perfektioniert."


Alle Werke entstehen in seinem Studio in Gainsville, Florida.


Die zunächst perfekt ausgeleuchtete Phototechnik hält 'Fragmente der Wirklichkeit' fest und so steht eine erste Motivauswahl am Anfang eines jeden Werkprozesses - aber bis zum fertigen Abzug ist der schöpferische Weg noch lang und spannend: denn es handelt sich um außergewöhnliche Bildkompositionen, die erst in der Dunkelkammer zueinander finden. Uelsmann's Aufnahmen werden zu einer schier unerschöpflichen Materialsammlung, die in Form von Negativen weiterverarbeitet werden.


In der Abgeschiedenheit der Dunkelkammer beginnt der eigentliche Werkprozess, in dem Jerry Uelsmann eigenhändig unterschiedliche Motive zu neuen, künstlerischen Bildschöpfungen komponiert und so andere, neue, innere und surrealistische Welten entdeckt. Dieses künstlerische Vorgehen mit den Materialien der Photographie wurde in den etablierten Prinzipien der Photographischen Lehre kaum ausgebildet, weshalb Jerry Uelsmann bislang einer der wenigen Photograph ist der diese Form der Komposition von Motiv und Licht - ohne Digitale Medien - perfektioniert hat.


Im Prinzip sind es mehrere Arbeitsmethoden, welche Uelsmann für sich entdeckt hat:


1. Er begann im Jahr 1959 mit der, wie er sie nannte 'Sandwich-Methode', als er in der Dunkelkammer stand und begriff, wie das Negativ funktionierte: nicht nur schwarz und weiß, sondern schwarz und klar - wobei die schwarzen Flächen, das Licht blockieren und die klaren es passieren lassen. Im fertigen Foto werden dann die schwarzen Flächen weiß und die klaren schwarz. Zwei oder auch mehr Negative wurden sandwichartig übereinander gelegt und ließen einander durchscheinen, wobei die schwarzen Bereiche des einen Negativs die klaren des anderen blockierten, im Gegenzug ließen die klaren Flächen alle anderen Motive passieren.


2. Hinzu kam additive Verwendung von Negativen: hierbei wird das Photopapier nacheinander mit den unterschiedlichen Bereichen der verschiedenen Negative belichtet. Mehrere Negative werden also nacheinander zu einem Photo komponiert.


3. Auswahl des Photopapiers (Silverprints, metallenes Photopapier, farbiges Photopapier): dieses kann zu unterschiedlichen Effekten führen, ebenso wie die Länge der Entwicklungs- oder die Länge der Belichtungszeiten.


Jerry N. Uelsmann steht mit seinen Werken ganz in der Tradition der 'Pioniere der Surrealistischen Photographie' der Avantgard-Photographen und Maler


 Wie diese, so ist auch Uelsmann schon immer davon überzeugt gewesen, dass unser Gehirn mehr wahrnimmt als unsere Augen sehen. In seinen Werken ist daher, wie im menschlichen Gehirn, alles möglich. Motive wie Wasserfälle, Bilderrahmen, Tische, Bäume, Augäpfel und menschliche Körper können sich vereinen, überlagern und schließlich sogar ergänzen. Vor unseren Augen entstehen Traumwelten. Das motivische Vokabular Uelsmann's zeigt Parallelen zu den europäischen Surrealisten der 20er und 30er Jahre wie Max Ernst (1891-1976) oder Man Ray (1890-1976) - Symbole wie Lippen, Augen, Uhren oder Hände erhielten eine neue Bedeutung. Aber Jerry N. Uelsmann ist nicht einfach Surrealist, sondern er 'sympathisiert mit deren Vokabular'. Er lässt seine Motive schweben oder gar in den Himmel fliegen. Seine Geschichten gehen in die Tiefe und lassen Wahrnehmung, Realität und Traum verschmelzen. Alles scheint Durchlässig - Vordergrund und Hintergrund verlieren an Bedeutung. Verwandlung, Wechsel, Zeit und Raum werden dehnbare Begriffe.


Oder wie André Breton in seinem "Manifest des Surrealismus" (1924) schrieb: das die Tiefe der Wahrnehmung, im räumlichen Sinne, den Traum in Rechnung stellen müsse.

So lassen sich auch Jerry N. Uelsmanns Arbeiten mit Titeln wie 'Symbolic Mutation' (1961), oder 'The minds eye' lesen. Vor unseren Augen entstehen 'Photo-Skulpturen', die dreidimensional im Bild zu schweben scheinen - wie gerade photographiert. Beim Durchwandern der Ausstellung stellt sich einmal mehr die Frage nach: Abbild und Wahrheit mit den Mitteln und der Technik der Photographie; denn, war das Abwenden von der Gegenständlichen Malerei nicht auch durch die Erfindung der Photographie, die die Realität so gut wie kein Maler darzustellen wusste, begründet?" 


(Pressetext: Dr. Helga Wäß, Kunsthistorikerin)

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