Heike Kampe

Freie Wissenschaftsjournalistin, Dipl.-Biologin, Potsdam

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Die Uhrzeit-Diät. Wie der Tagesrhythmus den Stoffwechsel beeinflusst

Potsdam Kaum ist das Weihnachtsmenü verdaut, steht auch schon das Silvesterfondue auf dem Tisch. Oder alles fürs Raclette. Der Dezember hat es kalorienmäßig in sich. Noch dazu verleitet er zu den typischen Ernährungsfehlern, nämlich zu fett, zu süß und zu salzig zu essen. Das erhöht nicht nur das Körpergewicht, sondern auch das Risiko für Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und chronische Entzündungen.

Über die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gesundheit ist bereits viel bekannt. Seit einigen Jahren rückt jedoch ein weiterer Aspekt ins Blickfeld: Der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme könnte entscheidenden Einfluss darauf haben, wie der Körper Fette und Zucker verarbeitet - und damit auch die Entstehung von Erkrankungen steuern. Es ist also nicht nur wichtig, was auf unserem Teller ist, sondern auch, wann wir ihn leeren.

Warum das so ist, kann ein Blick auf die innere Uhr erklären, die Menschen, Tiere und sogar Pflanzen besitzen. Müdigkeit, Blutdruck, Hunger, Körpertemperatur und sogar Schmerzempfindlichkeit - alle diese körperlichen Prozesse unterliegen einem Tagesrhythmus, den Moleküle, Proteine und Gene steuern. Mit seinen Bunkerstudien legte der Forscher Jürgen Aschoff in den 60er-Jahren den Grundstein für ein Forschungsfeld, das sich diesem Phänomen widmet: die Chronobiologie.

Frauen von Studie ausgeschlossen

Wochenlang ließ Aschoff seine Probanden in einer unterirdischen Versuchsstation ausharren - ohne Tageslicht, Uhr, Radio oder Fernseher. Er wollte herausfinden, ob die Rhythmen der inneren Uhr auch ohne äußere Taktgeber aufrecht erhalten bleiben. Die Ergebnisse zeigten: Auch ohne Sonnenlicht und Uhr folgten die Probanden einem inneren Rhythmus aus Schlafen, Wachen und Essen.

Am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (Dife) in Potsdam-Rehbrücke untersucht die Zellbiologin und Ernährungswissenschaftlerin Olga Ramich den Zusammenhang zwischen der inneren Uhr und der Ernährung genauer. Jüngst ließ sie dazu in einer Studie 29 gesunde, männliche Probanden eine spezielle Diät einhalten, um zu untersuchen, wie sich eine tageszeitabhängige Ernährung auf die Blutfette auswirkt. Dass Frauen von der Studie ausgeschlossen waren, hat einen biologischen Grund: Der Menstruationszyklus beeinflusst ebenfalls den Stoffwechsel und kann die Ergebnisse verfälschen.

Vier Wochen lang aßen die Männer ein kohlenhydratreiches Frühstück und Mittagessen - Brötchen, Marmelade, Müsli und Nudeln - und nachmittags und abends stand Fettreiches auf dem Plan, etwa Sahnepudding, Butter, Käse und Salami. Nach einer vierwöchigen Pause drehte sich der Ernährungsplan um. In den folgenden vier Wochen aßen die Probanden viel Fett zum Frühstück und später am Tag viele Kohlenhydrate.

Zusammensetzung der Blutfette interessant

Die gesamte Menge der Fette und Kohlenhydrate blieb gleich, sie wurden lediglich zu unterschiedlichen Tageszeiten aufgenommen. Nach jeweils vier Wochen baten die Forscher ihre Probanden zu einem Untersuchungstag ans Dife, wo sie gemäß ihrem Ernährungsplan entweder ein Marmeladen- oder ein Käsebrötchen frühstückten. Anschließend entnahmen die Forscher ihnen Blut und kleine Gewebeproben aus dem Bauchfett. Nachmittags wiederholte sich die Prozedur.

Die Wissenschaftler interessierten sich vor allem dafür, wie sich die Zusammensetzung der Blutfette im Laufe des Tages änderte und welchen Einfluss der Zeitpunkt der fett- oder kohlenhydratreichen Mahlzeiten dabei hatte. Ein besseres Verständnis des Zusammenspiels zwischen Blutfetten und der inneren Uhr kann wichtige Hinweise auf die Entstehung von Diabetes geben.

Denn wie gut das an der Erkrankung entscheidend beteiligte Hormon Insulin im Körper arbeitet, hängt auch vom Fettstoffwechsel ab. Um dessen Regulationsmechanismen zu ergründen, analysierten die Wissenschaftler außerdem, welche Gene im Fettgewebe zur jeweiligen Tageszeit und in Abhängigkeit von der jeweiligen Diät aktiv waren.

Studie ist Neuland

Mit ihrer Studie betreten die Forscher Neuland. „Bisher hat niemand die Effekte von verschiedenen Mahlzeiten auf die Fettzusammensetzung im Verlauf des Tages untersucht", sagt Olga Ramich. Die Methoden dafür hätten gefehlt. Nun steht den Forschern mit der sogenannten High-Throughput-Shotgun-Plasma-Lipidomics-Methode ein mächtiges Werkzeug zur Verfügung, mit dem erstmals das Lipidom - also die Gesamtheit aller Fette im Blutplasma - rasch und sehr genau bestimmt werden kann.

„Dank unserer Kooperation mit Wissenschaftlern der Firma Lipotype GmbH konnten wir diese innovative Methode in unserer Humanstudie nutzen", sagt Ramich. Mit der neuen Methode identifizierten und quantifizierten die Forscher insgesamt 672 Fette aus 14 Fettklassen im Blut der Probanden. Sie konnten nachweisen, dass sich die Werte von einem Drittel der Fette in Abhängigkeit von der Tageszeit veränderten.

Auch die Analysen des Fettgewebes zeigten, dass die Genaktivitäten ebenfalls vom Zeitpunkt der Mahlzeit beeinflusst werden. Fett- oder kohlenhydratreiche Mahlzeiten werden also tatsächlich unterschiedlich verstoffwechselt, wenn sie morgens oder abends gegessen werden. Das liegt unter anderem an Stoffwechselenzymen, die je nach Tageszeit unterschiedlich aktiv sind. Es könnte also sinnvoll sein, beim Essen auch auf die Uhr zu schauen.

Insulin und Fettwerte sind interessant

Ob fettreiches Essen möglichst nur noch abends oder kohlenhydratreiche Mahlzeiten nur morgens gegessen werden sollten, können die Forscher aber noch nicht sagen. Noch ist es zu früh, die Muster der tages- und diätabhängigen Fettwerte genau zu deuten oder gar Ernährungsempfehlungen zu geben. Das Zusammenspiel von Fetten, Enzymen, Genen und Hormonen ist hochkomplex und bisher ungenügend verstanden.

Die Ergebnisse zeigten aber auch, dass die Wirkung des Hormons Insulin und damit die Kontrolle des Blutzuckerspiegels eng mit den Fettwerten verknüpft ist. „Generell verstoffwechseln wir Glukose nachmittags viel schlechter als morgens", erklärt Olga Ramich. „Wenn man gerne Marmeladenbrötchen isst, sollte man das tatsächlich lieber zum Frühstück machen." Bisher existieren keine Angaben über die Tageszeit in den Ernährungsempfehlungen, die etwa die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gibt. Möglicherweise ändert sich das in der Zukunft, wenn die weiterführenden Forschungen tiefere Einblicke in den Rhythmus unseres Stoffwechsels gewähren.

Viele können von den Erkenntnissen profitieren

Davon könnten nicht nur Diabetiker oder Risikopatienten profitieren. Auch Schichtarbeiter, die ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Stoffwechselerkrankungen besitzen, könnten ihr Risiko mit einer zeitlich angepassten Ernährung vielleicht senken. „Das alles sind wichtige zukünftige Forschungsfragen, die sich aus unseren Ergebnissen ableiten", sagt Olga Ramich.

Künftig sei es vermutlich möglich, ungünstige Ernährungsmuster umzustellen und den Körper mit gutem Timing in seiner Stoffwechselarbeit zu unterstützen. Vielleicht stellt sich dabei heraus, dass Fondue am Abend eine gute Idee ist. Zumindest kann man bis zum Beweis des Gegenteils darauf hoffen.
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