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Reportage

Ohne Tabu

Der vierachsige Actros 4144 mit dem braunen Führerhaus scheint sich vorsichtig an die kleine Steigung in einer Rechtskurve des Feldwegs heranzutasten. Wie es aussieht, haben sich dort haben bereits andere Zwillingsreifen tief dien Boden eingegraben, denn es liegt viel lose Erde am Fuß des kleinen Hangs. Langsam schieben sich die beiden vorderen Doppelachsen des Actros das zwei Meter lange Wegstück hinauf. Während die Vorderräder kräftig eingeschlagen werden, heult der Motor auf. Der Fahrer gibt mächtig Gas. Vergeblich. Der Vierachser bleibt an der kleinen Steigung hängen. „Fast alle machen sie dieselben Fehler. Dabei sind es doch Profis!“ stöhnt Ausbilder Laurent Pasquier. „Erster Fehler“, doziert er, „der Lenkeinschlag erfolgte viel zu früh, zweiter Fehler: viel zu viel Gas. Jedes Mal wenn du im Gelände Gas gibst, verlierst du an Bodenhaftung. Also eine konstante leichte Beschleunigung und erst dann mit der Kurvenfahrt beginnen, wenn du schon zu fast Dreiviertel über der Kuppe bist.“ Und siehe da, plötzlich klappt es. „Die meisten Fahrer, die viel im Gelände unterwegs sind,hauen alle Differentialsperren rein, stehen voll auf dem Gaspedal und steuern mit abrupten Lenkradbewegungen“, hat Laurent Pasquier immer wieder festgestellt. Mit anderen Worten, sie fahren viel zu schnell und viel zu brutal. Die Folge: Federung und Fahrerhausaufhängung werden über Gebühr beansprucht und die 480 PS des Motors ständig voll ausgereizt. „Selbst mittelmäßige Fahrer können aber mit den richtigen Hinweisen unsere Trainingsstrecke mit nur 200 PS und sogar völlig ohne Differentialsperren bewältigen“, betont der Fahrtrainer. Dann stehen dem Fahrer, wenn das Gelände einmal richtig schwierig wird, immer noch eine ganze Palette technischer Alternativen zur Verfügung, um sich aus Situation wieder herauszumanövrieren, dort wo andere schon auf den Radlader oder die Planierraupe warten müssen. Außerdem spart das natürlich Kraftstoff. Es geht also nicht nur um die Beherrschung von schwierigen Fahrsituationen im Gelände, sondern auch um Ökonomie im weitesten Sinne. Denn auch für das Fahren im Gelände gilt dasselbe wie für das Fahren auf der Straße: Wer sein Fahrzeug nicht kennt, wird dessen Möglichkeiten nie optimal nutzen. Das führt zu vorzeitigem Verschleiß und Produktivitätseinbußen. Ziel der Schulung ist also, das Fahrzeug zu schonen und seine Lebensdauer zu erhöhen sowie Kraftstoff zu sparen. Aber auch der Sicherheitsaspekt wird nicht vernachlässigt. Trainiert wird daher auch Schrägfahrt am Hang oder die Bewältigung von starken Steigungen. „Für Berufsfahrern ist ihre Fahrweise häufig ein Thema, das Tabu ist“, weiß Laurent Pasquier. Das wird sich nach dieser Schulung aber wohl ändern.