Hanns-J. Neubert

Wissenschafts- & Technikjournalist, Autor, Hamburg

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Artikel

Entwicklungshilfe auf Chinesisch

Inga-Staudamm, Demokratische Republik Kongo (CC_By_2.0_Radio Okapi)


China finanziert immer mehr neue technische Megaprojekte in Afrika. Ist das Neokolonialismus? Nicht ganz.

Der Kongo, die Lebensader Mittelafrikas, fließt über weite Strecken seines 4374 Kilometer langen Laufs träge in seinem Bett auf die beiden Hauptstädte Brazzaville in der Republik Kongo und Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo zu. Doch dann ändert er schlagartig sein Gesicht: In den Livingstone-Katarakten am Unterlauf des Flusses stürzen in jeder Sekunde 41000 Kubikmeter Wasser auf 350 Kilometern Länge in Kaskaden 275 Meter bis hinab zum Kongodelta. Am Ende der gefällereichsten Strecke, den Inga-Fällen 150 Kilometer vor der Mündung, sind es auf 30 Kilometern Strecke sogar 90 Fallmeter.


Hier soll Grand-Inga entstehen, der größte Staudammkomplex der Welt, doppelt so groß wie der Drei-Schluchten-Damm in China. Wenn er mal rund 44000 Megawatt Strom liefert, könnte er die Hälfte des derzeitigen Energiebedarfs Afrikas decken. Voraussichtliche Kosten: gigantische 80 Milliarden Dollar.


Nach jahrzehntelangen Verhandlungen mit Nachbarländern, Bergbaukonzernen und Investoren ist nun für das Jahresende die Grundsteinlegung für den Inga-3-Staudamm angekündigt, den ersten von sechs Bauabschnitten des Gesamtprojekts. Der Damm soll 4800 Megawatt liefern und 14 Milliarden Dollar kosten. Nach dem derzeitigen Plan wollen die Demokratische Republik Kongo und Südafrika jeweils zehn Prozent der Baukosten tragen.


Den Löwenanteil, die verbleibenden 80 Prozent, teilen sich private Investoren und die chinesische Entwicklungsbank. Auch bei den ins Auge gefassten Bauunternehmen stellt das Reich der Mitte einen der beiden Player: Die staatliche China Three Gorges Corporation wird sich die Aufgabe mit dem spanischen Baukonzern Grupo ACS teilen. Wie so oft, wenn China sich mit viel Geld an Großprojekten beteiligt, bleiben genauere Finanzpläne jedoch im Dunkeln.


Chinas Interesse an Afrika ist seit Jahren bekannt. Schon heute leben weit über eine Million Chinesen auf dem Schwarzen Kontinent, mehr als 10000 Firmen sind dort aktiv. China baut Flughäfen, Straßen, Eisenbahnen und Energietrassen und schafft damit eine Infrastruktur, die es selbst braucht für seine dortigen Aktivitäten. Dafür bringen die chinesischen Baufirmen ihre eigenen Experten mit, hochspezialisierte Ingenieure, die sie in Afrika nicht finden. Das Geld stellte die Volksrepublik ebenfalls - andernfalls wären die meisten Vorhaben gar nicht realisierbar gewesen. So lieh sie den Subsahara-Ländern zwischen 2000 und 2016 rund 125 Milliarden Dollar. Damit das Ganze nicht zu einer Schuldenfalle gerät, hat der chinesische Ministerpräsident Xi Jinping den 53 im September 2018 in Peking versammelten afrikanischen Staatsoberhäuptern versprochen, den ärmsten Ländern die Schulden vollständig zu erlassen. Gleichzeitig stellte er 60 Milliarden Dollar an Investitionen für die nächsten drei Jahre in Aussicht, 15 Milliarden davon als Hilfen und zinslose Kredite.


Was aber bewegt das Reich der Mitte, sich finanziell wie strukturell so stark in Afrika zu engagieren? Will es dort zur neuen Kolonialmacht werden? Vor allem aus amerikanischer und europäischer Perspektive wird diese Frage diskutiert. Und auf den ersten Blick lautet die Antwort tatsächlich „Ja". China sieht Afrika als wachsenden Absatzmarkt für seine Produkte. Schließlich wird nach Voraussagen der Weltbank die kaufkräftige afrikanische Mittelschicht bis 2030 von heute 150 Millionen auf 600 Millionen Menschen ansteigen. Und sicherlich spielte zumindest lange Zeit Rohstoffhunger eine ganz entscheidende Rolle: Seine Investitionen ließ sich China bisher vor allem mit Öl und Erzen bezahlen.

( Hanns-J. Neubert)


Dieser Artikel-Ausschnitt ist der Print-Ausgabe 12/2018 von Technology Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie die aktuelle Ausgabe, im heise-Shop bestellt werden. Heft im heise-Shop kaufen



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