1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Kann ein Park gerecht sein?

Foto: Rolf Oeser

Ja, sagt Margareta Lemke. "Gerechtigkeit spielt auch beim Planen und Nutzen von städtischen Freiräumen eine Rolle." Die Studentin der Landschaftsarchitektur hat den Frankfurter Ostpark daraufhin untersucht.


Im Frankfurter Ostpark teilen sich ganz unterschiedliche Besucher tagtäglich Wiesen und Wege. Rentner gehen spazieren, Schulen machen Sportunterricht, ältere Damen Gymnastik. Geschäftsmänner joggen, Kinder spielen, Jugendliche feiern, Großfamilien grillen, und Singles führen ihren Hund Gassi. Auch Wohnungslose finden in einem Heim am Parkrand ein Obdach.

Doch so unterschiedlich Bedürfnisse und Nutzungsverhalten auch sind - jedem Besucher sollte ein Park als städtischer Freiraum gerecht werden. Das sagt Margareta Lemke, Landschaftsarchitekturstudentin an der Hochschule Geisenheim. Sie untersuchte für ihre Bachelor-Arbeit, ob und inwiefern der Ostpark nach den unterschiedlichen Bedürfnissen der Frankfurter geplant und ausgeführt wurde. Mit anderen Worten: ob er gerecht ist.

Um herausfinden zu können, inwiefern städtischer Freiraum überhaupt an Gerechtigkeit gemessen werden kann, führt die Studentin „soziale und gesellschaftliche Funktionen" auf, die erfüllt sein sollten. Dazu gehören Freizeitgestaltung und Erholung, etwa durch Ruhebereiche und Sportstätten. Zudem sollte der Park als Begegnungsstätte, die gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration fördert, dienen. Kaum weniger wichtig ist die Natur-Erfahrung an solchen Orten. „Vegetation und Tierwelt geben die Chance, sich als Teil dessen zu erleben", sagt Lemke.

Zudem diene ein Park der Identitätsbildung, indem er indirekt von Geschichte und gesellschaftlichen Hintergründen einer Stadt erzähle. Die Summe dieser Faktoren zeige, „welch positive Wirkung städtische Freiräume auf die physische und psychische Gesundheit der Bewohner haben". Deswegen sei es wichtig, ob Parks so geplant und angelegt werden, dass sie für alle Besucher gleichsam zugänglich und nutzbar sind: „Dabei dürfen sozialer Status, Alter und Nationalität keine Rolle spielen."

Die Bedeutung gleichberechtigter Nutzungsmöglichkeiten ist etwa an den aufwendigen Vorbereitungen zur Erneuerung des Ostparks zu sehen. Das Frankfurter Grünflächenamt versucht, ihn seit 2009 nach den heterogenen Bedürfnissen aller Besuchergruppen zu gestalten. Um dabei möglichst fair zu sein, wurden vorab verschiedene Untersuchungen in Auftrag gegeben. Die Analysen decken viele Bereiche der von Lemke definierten Funktionen ab. Man befasste sich etwa mit der historischen Substanz, deren Bedeutung und Erhaltungszustand. Der Landschaftsarchitekt Jobst Seeger etwa sammelte Daten zu individueller Nutzung, Gruppenstärken, Alter, Geschlecht und Nationalität. Die Deutsche Sporthochschule Köln (DSHS) befragte sportlich aktive Besucher zu genauen Tätigkeiten und ihrer Zufriedenheit.

Diese Einbindung stellt für Lemke einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung von Gerechtigkeit dar. „Beteiligungsprozesse bilden das Fundament einer bedürfnisgerechten Planung von Menschen für Menschen", betont sie. Doch das war nicht immer so. Parks waren früher auf die Elite ausgerichtet, Freiräume kaum vorhanden. Erst mit der Industrialisierung rückten die soziale Orientierung und somit Gerechtigkeit in den Fokus.

1898 entwarf der Frankfurter Gartenarchitekt Andreas Weber das erste Konzept für den Ostpark. Es entsprach alten Planungsidealen und war „nicht besonders nutzerfreundlich", wie Lemke es nennt. Nach Webers Tod wurde das Projekt an Gartenbaudirektor Carl Heicke übergeben. Er schaffte es, sich gemeinsam mit seinem Kollegen Willy Rosenthal von der Idee eines konventionellen und rein dekorativen Parks zu lösen. Nun stand der „Nutzungsgedanke" bei den Planungen und der anschließenden Ausführung im Vordergrund.

1911 wurde der Ostpark offiziell eröffnet. Von Beginn an zeichnete er sich durch eine breit ausgelegte Nutzbarkeit aus, die immer mehr ausgebaut wurde. Sportstätten und Gärten für Schulen entstanden. Bald wurde auch das - zuvor strikt verbotene - „Liegen, Spazieren und Spielen" auf den Wiesen erlaubt.

Auch im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich der Park wieder ein Stück weiter. Es gab einen Kiosk, bald eine Minigolfanlage, hinzu kam ein Wasserspielplatz. In den 70ern wurden die ersten Freiluftkonzerte gegeben. Die Stadt baute eine Bocciabahn und Grillplätze. Der Ostpark bot der Bevölkerung somit immer umfassendere Nutzungsmöglichkeiten.

Zu einem wichtigen Schritt zur sozialen Gerechtigkeit kam es 1980 mit dem Bau einer Notunterkunft für Wohnungslose direkt am Park. Das Quartier Ostpark 16, das vom Verein für soziale Heimstätten geführt wird, gibt es noch heute. „Die Anwesenheit der Obdachlosen ist ein weiteres Indiz für die Besuchervielfalt im Park", betont Margareta Lemke.

Christine Heinrichs, Bereichsleiterin des Obdachlosenheims, sieht das ähnlich: „Gerechtigkeit ist für mich, wenn jeder den Park ungehindert nutzen kann, ohne andere zu stören." Wohnungslose sollten ihn besuchen können, so wie die Anwohner Bornheims. „Ohne negative Assoziationen in den Park gehen und die Gänse angucken" - darum gehe es.

Heute, 103 Jahre nach der Eröffnung des Ostparks, arbeitet die Stadt an einer umfassenden Umgestaltung. Es soll bessere Wege und ein größeres Spielangebot für Kinder geben. Man will historische Elemente wiederherstellen und sorgt für Verbesserungen für Jogger, Grillfreunde, Pflanzenfans. Viel wird erneuert, von der Beleuchtung über Parkbänke bis zu Fahrradständern. Das zeige den Versuch, allen Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden, analysiert Lemke. „Ein wichtiger Hinweis sind außerdem die Untersuchungen zu Stimmungsbildern in der Bevölkerung." Ihre eigene Definition von Gerechtigkeit in städtischen Freiräumen besagt, dass sich die „Planung nach den Bedürfnissen des Menschen richtet, ohne Flora und Fauna außer Acht zu lassen." Ziel solle ein für alle zugänglicher Ort der Begegnung und des Ausgleichs zur bebauten Stadt sein.

Holger Fuhrmann, der die Umfrage für die DSHS durchführte, stimmt zu: „Wenn man möglichst viele Perspektiven möglichst vieler Nutzer berücksichtigt, dann ist das ein Teil Gerechtigkeit." Ein Park sei zugleich „wichtig für Bewegungsaktivitäten, als grüne Lunge und Ort der Ruhe". Die Untersuchungen von Margareta Lemke zeigen, dass das weitgehend erfüllt ist. „Die Entwicklung des Ostparks erzählt die Geschichte einer wachsenden sozialen Orientierung bei Planungen städtischer Freiräume." Seine Offenheit mache ihn zu einer wichtigen Begegnungsstätte im Ostend.

„Die parallele Nutzung und das friedliche Nebeneinanderher verschiedener Besuchergruppen fördert die gegenseitige Toleranz", betont die Studentin. Sie weist aber auch darauf hin, dass Toleranz gegenüber einer Gruppe besonders gefragt sei: den Menschen ohne festen Wohnsitz. Denn nicht alle Besucher sind dem Ostpark 16 gegenüber positiv eingestellt.

Es sei dann die Aufgabe von Planern und Betreibern mit dem Anspruch der sozialen Gerechtigkeit, Lösungen zu finden und Interessenkonflikte zu verringern, so die angehende Landschaftsarchitektin. Und das geschehe sogar, etwa durch die Idee eines Familiencafés ohne Alkoholausschank in unmittelbarer Nähe zum Ostpark 16. Hier sollen die Besucher des Parks gemeinsam mit den Wohnungslosen verweilen können - in Normalität und Gemütlichkeit. Im Großen und Ganzen, so Lemke, machten und machen Frankfurt und die beauftragten Planer einen guten Job. Der Ostpark könne besonders vor dem Hintergrund der 2009 begonnenen Neuerungen als ein „gerechter Park" gesehen werden.

Zum Original