Hannah Lesch

Freie (Wissenschafts-)Journalistin, Hamburg

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Nahostkonflikt: Schüler begegnen sich beim Programmieren in Jerusalem - DER SPIEGEL - Panorama

"Warum funktioniert das nicht?" Die 17-jährige Adi klickt mehrfach auf das Touchpad ihres Laptops, doch nichts passiert. "Du musst es erst freischalten", erklärt Nadia ihr und zeigt auf ein kleines Fenster auf dem Bildschirm. "Ach ja, stimmt", sagt Adi lachend, "danke!"

Auf den ersten Blick scheint die Situation völlig normal: Zwei Teenager sitzen vor einem PC und besprechen ihr letztes gemeinsames Projekt. Doch dass Adi und Nadia zusammenarbeiten, ist alles andere als gewöhnlich: Adi ist Israeli - Nadia Palästinenserin. Beide leben in Jerusalem, doch unter normalen Umständen hätten sie sich nie kennengelernt.

Zusammengebracht hat die beiden Mädchen die Initiative "Meet". Das steht für die "Middle East Entrepeneurs of Tommorow". Durch das außerschulische Programm begegnen sich junge Israelis und Palästinenser zwischen 14 und 17 Jahren. Sie lernen in gemeinsamen Projekten praktische Informatik und Unternehmertum, aber auch gegenseitiges Verständnis.

"Bevor ich zu 'Meet' gekommen bin, hatte ich noch nie Kontakt zu Palästinensern. Ich habe sie auf der Straße gesehen, aber habe noch nie mit einem gesprochen", sagt Adi. Die junge Jüdin hat "Meet" im letzten Sommer abgeschlossen.

Python und Konfliktlösung

Drei Jahre lang ging sie nach der Schule zum Coden und Programmieren. Wöchentlich treffen sich Schülerinnen und Schüler, um JavaScript, Python und AJAX zu lernen. Außerdem verbrachte Adi ihre Ferien gemeinsam mit Palästinensern in einer Sommerschule: Hier sollen die Jugendlichen ein tieferes Verständnis von Konflikten, Stereotypen und Lösungen entwickeln. "Ich will später Botschafterin werden und das kann ich doch nicht, wenn ich nie andere Meinungen als meine eigene gehört habe", sagt Adi.

Die Palästinenserin Nadia hat aus anderen Gründen teilgenommen: "Ich wollte hier Informatik lernen, diese Möglichkeit habe ich an meiner Schule nicht", erzählt sie in nahezu perfektem Deutsch. Seit der dritten Klasse lernt sie an der Schmidt-Schule in Ostjerusalem Deutsch. "Ich kannte schon vorher Israelis, aber hier habe ich das erste Mal mit ihnen über Politik sprechen können", sagt die 17-Jährige. "Ich hätte nie geglaubt, dass ich mal mit Israelis zusammenarbeiten könnte. Aber jetzt mache ich es gerne", sagt Nadia nach ihrer Zeit bei "Meet".

Im Video: Nadia und Adi über das gemeinsame Programmieren

Auch Adi hat ihre Einstellung zu den palästinensischen Mitschülern geändert: "Natürlich sehen sie viele Dinge anders als wir. Aber das heißt nicht, dass wir nicht zusammenarbeiten können oder dass sie schlechter arbeiten als wir." Nach eigenen Angaben sind 95 Prozent der Alumni von "Meet" bereit, mit Menschen eines anderen Glaubens zusammenzuarbeiten.

Investition in die Zukunft

Adi und Nadia haben als Abschlussprojekt gemeinsam ein Start-Up konzipiert, das Touristen und Einheimische zusammenbringen soll. Anstatt an einer normalen Stadtführung teilzunehmen, sollten die Urlauber gemeinsam mit Einheimischen die Stadt erkunden. Adi und Nadia haben ein Konzept geschrieben, eine Website programmiert und eine Marketingstrategie entwickelt.

Umgesetzt haben sie ihre Idee nicht. "Wir hätten es versuchen sollen", sagt Nadia, als sie mit Adi über ihre Webseite scrollt. "Ich habe euch damals gleich gesagt, macht damit weiter", tönt eine lachende Stimme aus dem Hintergrund. Haim Erlich ist Leiter der NGO und schaut mit väterlichem Stolz auf seine beiden Alumni.

"Was die beiden auf die Beine gestellt haben, war wirklich großartig", sagt er. Erlich ist seit vier Jahren bei "Meet" und überzeugt von der Idee: "'Meet' ist eine Investition in die Zukunft. Wir bilden hier die Führungskräfte von morgen aus. Und wenn die bereits frühzeitig Freundschaften mit Israelis oder Palästinensern geknüpft haben, werden sie neue Ideen und Lösungen für den Nahostkonflikt finden."

Mehr als 1000 Bewerber gibt es jedes Jahr für das Projekt - nur 100 werden angenommen. Die Aufnahmekriterien sind hart, drei Auswahlrunden müssen die Jugendlichen überstehen. Dabei wird das logische Denken genauso wie die Teamfähigkeit getestet. Israelis und Palästinenser werden zu exakt gleichen Teilen angenommen. Außerdem wird darauf geachtet, dass genauso viele Jungen wie Mädchen dabei sind. "Nach drei Jahren 'Meet' ist es für unsere Teilnehmer ganz normal, mit Leuten eines anderen Glaubens zusammenzuarbeiten. Und genauso normal, dass Mädchen programmieren können", sagt Erlich.

"Ich hatte Angst vor den Reaktionen"

"Meet" wurde 2004 von einigen israelischen und palästinensischen Studierenden gegründet. Zwei der Gründer haben am Massachusetts Institute of Technology (MIT) studiert und die Idee dort entwickelt. Sie wollten verhindern, dass sich die beiden Konfliktparteien immer weiter voneinander entfernen. Stattdessen setzten sie darauf, Jugendliche wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Bis heute besteht eine Kooperation mit dem MIT, dadurch wirkt "Meet" für beide Seiten attraktiv.

Im Video: "Meet"-Gründer Haim Erlich

"Aus meiner Schule haben sich viele für 'Meet' beworben", sagt Nadia. "Doch nur drei wurden genommen." Um für das Programm zu werben, gehen Mitarbeiter an Schulen und stellen die Initiative vor. Doch nicht bei allen stößt das Konzept auf Begeisterung.

"Als ich angefangen habe, habe ich meinen Klassenkameraden nichts davon erzählt", erinnert sich Adi. "Meine Schule ist sehr konservativ und ich hatte Angst vor den Reaktionen der anderen, wenn sie erfahren, dass ich mit Palästinensern zusammenarbeite. Aber heute bin ich froh, dass ich es gemacht habe."

Am Ende jedes Jahrgangs wird gemeinsam gefeiert. Für Erlich ist die Abschlussparty der beste Moment am ganzen Programm: "An diesem Abend töten sich Israelis und Palästinenser nicht gegenseitig, sondern sie lachen zusammen und feiern ihre Kinder. Für mich ist das schon ein großartiger Erfolg."

Auch für Adi war die Absolventenfeier der schönste Tag bei "Meet": "Natürlich war ich traurig, weil es vorbei war. Aber ich war so stolz, dass ich es durchgezogen hatte. Zwischendurch wollte ich aufgeben, weil es so anstrengend war. Aber am Ende haben wir ein tolles Projekt auf die Beine gestellt und ich habe wundervolle Freunde gefunden."

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