Katrin Pircher und ihr Vater hatten beide . Sie ist 43 Jahre alt, er über 70. Eine Krankheit, zwei völlig unterschiedliche Verläufe. Während der Vater mit schwerem Verlauf im Krankenhaus lag, verlief die Krankheit bei Katrin Pircher zunächst scheinbar harmlos. "Um meinen Vater haben wir uns große Sorgen gemacht", sagt Pircher. Drei Wochen lang habe er im Krankenhaus gelegen, bis die Ärzte das Fieber in den Griff bekamen. Die Tochter selbst hatte Muskel- und Gelenkschmerzen, erhöhte Temperatur und Kopfschmerzen, aber nach zwei Wochen war alles vorbei. Zumindest dachte sie das damals.
Die Panikattacken sollten erst später folgen.
Während ihr Vater sich erholte, körperlich und geistig wieder ganz der Alte wurde, so erzählt es Pircher, fühlte sie sich zunehmend seltsam. An Treffen mit Freundinnen hatte sie kein Interesse mehr, auch nicht an der Nähe zu ihrem Partner, kaum etwas machte ihr noch Freude.
Ihre Covid-Diagnose lag acht Wochen zurück, Pircher hatte gerade wieder angefangen in ihrem Job als Arztsekretärin zu arbeiten, als sie eines Tages kam, die Krise. "Ich war gerade dabei Dokumente zu scannen, da spürte ich eine tiefe Verzweiflung in mir aufsteigen", erzählt Pircher. "Ich rannte in einen Nebenraum, schloss die Tür hinter mir und begann zu hyperventilieren. Ich habe so geschluchzt und geheult, dass ich kaum noch Luft bekommen habe." Eine Kollegin wurde darauf aufmerksam und brachte sie in die Notaufnahme.
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Es war die erste von vielen Panikattacken. Es folgten Albträume, Appetitlosigkeit und Rückzug. "Ich begann Antidepressiva zu nehmen und regelmäßig zu einer Psychiaterin und einer Psychotherapeutin zu gehen", sagt Pircher. Vorher habe sie nie psychische Probleme gehabt. "Plötzlich hatte ich das volle Programm. Die Albträume wurden immer schlimmer, ich habe davon geträumt mich schwer zu verletzen, einmal sogar davon, mir das Leben zu nehmen."
Long Covid und die PsycheViel ist zurzeit von der Erkrankung zu lesen, die im allgemeinen Sprachgebrauch als Long Covid oder als Post Covid bezeichnet wird. Längst nicht alle Menschen, die eine Corona-Infektion überstehen, fühlen sich hinterher wirklich gesund. Einer aktuellen Studie zufolge leidet jeder Dritte Monate später noch an Folgesymptomen (Plos Medicine: Taquet et al., 2021). Viele berichten über Atembeschwerden, ein anhaltendes Erschöpfungsgefühl ( Fatigue), Brust-, Kopf- oder Muskelschmerzen und kognitive Probleme wie Konzentrationsschwäche oder Gedächtnisstörungen. Aber auch psychische Leiden wie Angst und Depression gehören zu den Symptomen von Post Covid, wie bei Katrin Pircher.
Corona-Langzeitfolgen
Symptome, die nach einer Corona-Infektion anhalten oder neu auftreten, werden häufig unter dem Namen Long Covid zusammengefasst. Dabei ist dieser Begriff nicht klar definiert. Gemäß den NICE-Leitlinien, an denen sich Ärztinnen wie Carmen Scheibenbogen orientieren, werden alle Beschwerden innerhalb von vier Wochen nach einer Corona-Infektion zu akutem Covid-19 gerechnet.
In einem Zeitraum von bis zu zwölf Wochen spricht man von anhaltend symptomatischem Covid-19. Und wenn Symptome während oder nach einer Corona-Infektion auftauchen, mehr als zwölf Wochen anhalten und sich nicht durch eine andere Diagnose erklären lassen, spricht man vom Post-Covid-19-Syndrom.
Wenn Menschen noch sechs Monate nach ihrer Corona-Infektion unter Fatigue leiden und zusätzlich noch andere Beschwerden hinzukommen, diagnostizieren Ärztinnen ein Chronisches Fatigue Syndrom, auch als Myalgische Enzephalomyelitis oder kurz ME/CFS bezeichnet.
Das ist noch nicht klar. Zwar gibt es immer mehr Langzeitstudien, doch die lassen sich oft schwer vergleichen, weil sie unterschiedliche Patientengruppen untersuchen. In einer Studie aus Seattle berichteten von etwa 180 zufällig ausgewählten Patientinnen und Patienten mit meist milder Infektion nach einem halben Jahr noch etwa 30 Prozent von anhaltenden Symptomen. Am häufigsten waren Fatigue, Geruchs- oder Geschmacksstörungen, dann folgten Atembeschwerden, Muskel- und Kopfschmerzen (JAMA Network Open: Logue et al., 2021).
In einer Studie aus Köln, die als Preprint erschien, hatten etwa 13 Prozent der Patientinnen und Patienten sieben Monate nach einer milden Covid-Erkrankung noch mindestens ein Symptom, in dem Fall Fatigue, Kurzatmigkeit, Geruchs- oder Geschmacksstörungen (MedRxiv: Augustin et al., 2021).
Es ist schwierig, solche psychischen Symptome einzuordnen: Gehen sie wirklich auf Folgeschäden einer Corona-Infektion zurück? Sind sie eine Reaktion auf den seelischen Stress, der mit einer Covid-19-Erkrankung samt Isolation einhergeht? Oder haben sie gar nichts mit der Infektion zu tun, sondern resultieren aus der anhaltenden psychischen Belastung während der Pandemie und des Lockdowns?
Um sich einer Antwort zu nähern, hilft es, auch das Hintergrundrauschen zu beachten, also die allgemeine Gemütslage der Bevölkerung sowie den Einfluss der Pandemie auf die seelische Gesundheit.
Mit den Folgen der Pandemie auf das psychische Wohlbefinden haben sich zum Beispiel Forscherinnen vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz beschäftigt. In ihre internationale Analyse bezogen sie über 40 Studien mit mehr als 70.000 Teilnehmern ein. Ihre Ergebnisse zeigen, dass auch in der Allgemeinbevölkerung seit Beginn der Pandemie vermehrt Ängste und depressive Symptome aufgetreten sind (Globalization and Health: Kunzler et al., 2021). Eine andere Studie kommt sogar zu der Einschätzung, dass es pandemiebedingt im vergangenen Jahr weltweit etwa 53 Millionen zusätzliche Fälle von Depression und 76 Millionen zusätzliche Fälle von Angststörung gab (The Lancet: Santomauro et al., 2021). Und eine Umfrage unter Psychotherapeutinnen und -therapeuten deutete schon im Februar darauf hin, dass auch in Deutschland mehr Menschen als sonst wegen seelischer Nöte Hilfe in Psychotherapiepraxen suchten.
Während der Pandemie ging es vielen Menschen also insgesamt schlechter. Die Frage ist nun, ob eine Infektion mit Covid-19 noch zusätzlich psychische Probleme auslösen kann. Eine kürzlich veröffentlichte Studie deutet darauf hin. Sie untersuchte, wie viele Personen sechs Monate nach ihrer Corona-Infektion eine neurologische oder psychiatrische Diagnose erhielten (Lancet psychiatry: Taquet et al. 2021). Dafür verglichen die Forschenden Daten von mehr als 236.000 Covid-Patienten mit zwei Kontrollkohorten, nämlich mit Personen, die im gleichen Zeitraum entweder an der Grippe oder einem anderen Atemwegsinfekt erkrankt waren.
Tatsächlich erhielten etwas mehr als 13 Prozent der Covid-19-Patienten später die Diagnose einer affektiven Störung wie etwa Depression, bei 17 Prozent wurde eine Angststörung diagnostiziert. In den Kontrollgruppen traten solche psychischen Probleme signifikant seltener auf. Doch die Autoren machten noch eine wichtige Probe: Sie überprüften, ob die Patienten womöglich auch schon in den Jahren vor ihrer Covid-Erkrankung die Diagnose Depression oder Angststörung erhalten hatten. Und diese Daten relativieren das Bild zum Teil: Echte Erstdiagnosen waren deutlich seltener - sie lagen bei knapp über vier Prozent für Depression und bei sieben Prozent für Angststörungen. Der Unterschied zu den Patienten mit Grippe und anderen Atemwegsinfektionen blieb aber signifikant.
Diese Daten geben zwei Hinweise: Erstens bestätigen sie, dass Menschen, die bereits psychische Probleme haben, sich häufiger mit dem Coronavirus infizieren. Ein Befund, der sich schon aus früheren Studien ergeben hatte (Lancet Psychiatry: Taquet et al. 2020). Zweitens deuten die Daten darauf hin, dass psychische Beschwerden nach einer Covid-19-Erkrankung tatsächlich häufiger auftreten als nach anderen Infekten.