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25 Jahre Quiz bei RTL: Darum ist der Erfolg von „Wer wird Millionär" unkaputtbar - WELT

Seit 25 Jahren läuft „Wer wird Millionär?" mit Günther Jauch bei RTL. Während die meisten Quizshows kommen und gehen, ist das Format mit den Wahlmöglichkeiten A, B, C oder D in Deutschland ein Erfolg ohne erkennbares Ende. Medienexperten erklären das Phänomen.

„Quizshows? Nein, das geht ja gar nicht!" So oder so ähnlich war in den 90er-Jahren die Auffassung in vielen Redaktionsstuben von ARD und ZDF. Einstige Dauerbrenner wie „Der Große Preis" oder „Erkennen Sie die Melodie?" waren längst eingestellt.

Bis sich der Fernsehsender RTL Ende der 90er traute, dieses verstaubte Format neu zu beleben. Der Mut sollte belohnt werden: „Wer wird Millionär?" feiert am 3. September seinen 25. Geburtstag. Seit einem Vierteljahrhundert bietet Günther Jauch, einer der prominentesten Moderatoren der Republik, so etwas wie betreutes Quizzen. Aber nicht immer. Nicht bei allen Kandidaten. Die Freiheit nimmt er sich. Denn das Format verträgt's.

„Quiz hat in der Prime Time in Deutschland lange nicht mehr stattgefunden", erinnert sich Matthias Alberti, der Ende der 90er-Jahre Programm-Manager bei RTL war und - neben der „Traumhochzeit" und „7 Tage - 7 Köpfe" - auch die deutsche Version des britischen Formats „Who wants to be a millionaire?" entwickelte. Heute ist Alberti Manager bei der Produktionsfirma Constantin Entertainment. „Wir bekamen das englischsprachige Original zu sehen und dachten, das könnte auch bei uns in der Prime Time funktionieren."

Und so habe RTL erst einmal vier Pilotfolgen produziert, um die Quotenentwicklung zu beobachten. Die Testballone wurden am Freitag-, Samstag-, Sonntag- und Montagabend hintereinander auf die Zuschauer losgelassen, und zwar live. „Bei dieser Eventprogrammierung ergab sich eine Quotensteigerung von 3,6 auf 7,6 Millionen Zuschauer", erinnert sich Alberti. „Damit war das Votum der Zuschauer ganz eindeutig."

Das Format wurde mittlerweile in 160 Ländern ausgestrahlt. Aber nicht überall war die Sendung so erfolgreich wie in Deutschland. Anderswo ist sie längst wieder eingestellt oder wanderte vom Abend- ins Nachmittagsprogramm.

„Wissen hat im Fernsehen schon immer eine Rolle gespielt, aber es ist immer mal wieder verschwunden", bilanziert Herbert Schwaab, Inhaber des Lehrstuhls für Medienwissenschaft am Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur der Universität Regensburg. Im amerikanischen Fernsehen der 50er-Jahre gab es eine Unzahl an Quizshows - und einen handfesten Skandal, als herauskam, dass eine dieser Sendungen manipuliert war. Gewünscht war, dass die beliebtesten Kandidaten gewinnen. Und so bekamen sie fingierte Fragen, deren Antwort ihnen schon vorher bekannt war.

„Als das herauskam, haben die Leute schlagartig aufgehört, Quizshows zu schauen", sagt Schwaab. „Das Format war in Amerika verschwunden und ist eigentlich erst in den 90er-Jahren mit ‚Who wants to be a millionaire?' zurückgekommen." Damals habe sich gezeigt, dass Vertrauen zu solch einem Format unbedingt dazu gehöre. „Und dieses Vertrauen verkörpert Günther Jauch unheimlich gut", findet der Medienwissenschaftler.

Nachdem der mittlerweile verstorbene US-Starmoderator Regis Philbin der Show auf dem Sender ABC jahrelang zu Erfolg verholfen hatte, wanderte sie unter dem gekürzten Titel „Millionaire" sogar ins Vormittagsprogramm - und wurde 2019 selbst dort eingestellt. Seit einiger Zeit gibt es in den USA jedoch erfolgreich Bestrebungen, der Sendung mit dem Late-Night-Moderator Jimmy Kimmel als Host neues Leben einzuhauchen.

„Neu war damals, dass normale Menschen, also Laien, mitmachen konnten und durch ihr Wissen und durch ihre Spielfreude relativ zügig einen sehr hohen Geldgewinn erreichen konnten", so die Deutung von Anne Grüne, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Medien und Kommunikationswissenschaften der Uni Erfurt. Sie betont: Im Gegensatz zu den Nerds mit ihren Spezialgebieten im „Großen Preis" habe hier jeder mit Allgemeinwissen punkten können.

Empathie spielt eine Rolle

„,Der Große Preis' war eine Sendung aus einer anderen Ära des Fernsehens", amüsiert sich rückblickend auch Herbert Schwaab. „Damals war das Fernsehen nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zur Bildung da, was dazu führte, dass in manchen Formaten ein sehr nerdiges Spezialwissen abgerufen wurde." Stichwort: „Umschlag 3, bitte!" Dennoch habe auch schon bei dieser Sendung das Element des Risikos eine wichtige Rolle gespielt, sich also Dinge zu trauen.

„Genauso neu war die Empathie des Moderators - in diesem Fall: Günther Jauch -, der sich stets viel Zeit nimmt, auch privat mit seinen Kandidaten zu reden", sagt Anne Grüne. „Diese Kombination aus einem klassischen Quizformat mit einem Unterhaltungs- und Spielaspekt hat von Anfang an gut funktioniert."

Man dürfe nicht unterschätzen, wie stark der Konversationsanteil solcher Formate sei, betont auch Herbert Schwaab. „Es ist einfach interessant, unbekannte Menschen kennenzulernen, die sich mehr oder weniger gut darstellen können, sodass manchmal das Abfragen von Wissen sekundär wird." Da spiele Günther Jauch eine wichtige Rolle, weil er als eine Art typische Fernsehpersönlichkeit nicht übermäßig interessant, aber auch nicht uninteressant sei und stets Alltagsbezüge herstellen könne durch seine Fragen, die er den Kandidaten stelle, oder durch seine Kommentare zu den Quizfragen. „Jauch versucht eigentlich immer, eine normale Person zu sein", findet der Regensburger Medienwissenschaftler.

In den USA und auch in anderen Ländern gleicht die Sendung eher einer teilnahmslosen Abfolge von Fragen, egal, wer auf dem Stuhl sitzt. Anne Grüne hat das arabische Format untersucht und kommt zum Schluss: Auch dort liegt der Schwerpunkt eher auf dem bloßen Abfragen von Wissen, auf einem bildungsbürgerlichen Gespräch zwischen Moderator und Kandidaten. „Im deutschen Format hingegen ist eine gewisse Flapsigkeit, die einen Großteil des Unterhaltungsanteils ausmacht, sehr ausgeprägt."

„Bildungsbürgerliche Gespräche" - das war in der Tat nie der Anspruch von RTL. Im Gegenteil: Je mehr Publikum erreicht wird und je mehr Zuschauer auch zu Hause mitraten können, desto besser. Dennoch sei „Wer wird Millionär?" Bildungsfernsehen, sagt Herbert Schwaab: „Hier werden Menschen dafür belohnt, Dinge zu wissen."

Insgesamt gehe es dabei um so etwas wie den Status des Einzelnen in der Gesellschaft, um eine Art Auszeichnung der eigenen Persönlichkeit und somit um die Bedeutung von Wissen für unsere Kultur. „Diese Bedeutung ist nicht immer gleich hoch, sondern in bestimmten Phasen etwas ausgeprägter", gibt Schwaab zu Bedenken. Und in solch einer Phase befindet sich die deutsche Öffentlichkeit offenbar derzeit. Und sie hält an.

„Auch die Themen, die abgefragt werden, erschöpfen sich nicht", sagt die Erfurter Kommunikationswissenschaftlerin Anne Grüne: „Das Format geht mit der Zeit." So setze die deutsche Version sehr auf Alltags- oder Diskurswissen, also auf Gebiete, die den Kandidaten nicht zuletzt aus den Medien vertraut sind. „Somit ist die Anschlussfähigkeit für viele Zuschauer gegeben."

Ein Beispiel für eine Originalfrage aus der Sendung: Wie verabschiedete sich Ex-Bayern-Trainer Trapattoni bei der legendären Pressekonferenz im März 1998? A: „Ich habe fertig." - B: „Danke, Anke" - C: „Ciao, ciao Bambini" oder D: „Alles wird gut?"

Ein weiterer Erfolgsgarant für „Wer wird Millionär?" ist die simple Routine, also bis zu welchem Grad sich eine Sendung ins Bewusstsein des Publikums eingraben kann. „Dieses Format ist ein vertrauter Ankerpunkt, von dem viele die genauen Abläufe kennen und wissen, wann warum welche Musik eingespielt wird", erklärt Herbert Schwaab: „Wenn das einfach so verschwinden würde, dann würde vielen Menschen etwas fehlen."

Für Anne Grüne zeige sich bei guten Quizshows auch eine Art sozio-psychologische Dimension: Gerade „Wer wird Millionär?" sei mehr als ein Fernsehquiz, sondern offenbare einiges über den Gemütszustand der Deutschen. „Es ist ein unglaubliches Drama, zu beobachten, wie Menschen mit Situationen umgehen, in denen sie etwas nicht wissen."

Und Herbert Schaab ergänzt: „Als Zuschauer schlägt man sich ja immer noch die Hände vor den Kopf, wenn man Leute sieht, die die einfachsten Fragen nicht beantworten können." Dies seien sehr alte, ursprüngliche Erfahrungen des Spielens. Kulturtheoretisch betrachtet beruhe dieses Verhalten auf frühen Gemeinschaftsspielen, auf einem geistigen Kräftemessen miteinander. Medienwissenschaftlerin Grüne sagt: „Dafür brauchen wir nicht viel mehr als unsere Sprache - es geht lediglich um das, was wir wissen, was wir im Kopf haben, was wir miteinander artikulieren können."

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