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Odyssee im Weltraum: Die Nasa muss die Rückkehr ihrer Astronauten neu organisieren - WELT

Auf dem Hinflug gab es Probleme. Statt mit Boeings „Starliner" zurückzufliegen, harren zwei Astronauten seit Juni an Bord der Internationalen Raumstation aus. Das wird auch vorerst so bleiben: Die US-Raumfahrtbehörde Nasa gab jetzt bekannt, wie sie die beiden zurückholen will - und wann.

Von einer Reise zurückzutreten erweist sich manchmal als die bessere Entscheidung. Das gilt auch für Flüge in den Weltraum. Astronaut Chris Ferguson war dreimal mit einem „Space Shuttle" der US-Raumfahrtbehörde Nasa ins All geflogen, wechselte nach Ende des Programms 2011 in die Privatwirtschaft und sollte der erste Kommandant der Privat-Flüge mit der neuen „Starliner"-Kapsel des traditionsreichen US-Konzerns Boeing werden.

Deren Jungfernflug, noch unbemannt, 2019 verlief allerdings problematisch, und im Herbst 2020 trat Ferguson vom Kommando des ersten bemannten, für 2021 geplanten Flugs aus privaten Gründen zurück.

Verantwortlich für die Crew wollte Ferguson bleiben, doch der Start verzögerte sich immer wieder. Mehrere Jahre gingen ins Land, bis nun Barry „Butch" Wilmore und Sunita „Suni" Williams am 5. Juni 2024 tatsächlich als erste „Starliner"-Crew die Reise von Florida aus zur Internationalen Raumstation ISS antraten.

Nur mit Ach und Krach kamen die erfahrenen Nasa-Astronauten an ihrem Ziel an. Als die Kapsel andockte, war jedoch schon klar, dass die beiden damit nicht, wie geplant, acht Tage später zur Erde zurückfliegen würden. Jetzt hat die Nasa entschieden, die zwei erst im kommenden Februar zurückzuholen. Und zwar mit einem anderen Raumschiff, dem „Crew Dragon" von SpaceX, wie die Nasa im Rahmen einer Pressekonferenz mitteilte.

Die Defekte sind zu essentiell, um das Raumschiff manövrieren zu können: Einerseits zeigten sich diverse Lecks, andererseits offenbarte das Antriebssystem ein Eigenleben und schaltete die Triebwerke jeweils im falschen Moment an oder aus. Diese Einheiten müssen aber einwandfrei funktionieren, sonst tritt die Raumkapsel womöglich in falschem Winkel in die oberen Schichten der Atmosphäre ein.

Lässt sich diese Neigung nicht mittels der bordeigenen Triebwerke korrigieren, ist unsicher, ob die Kapsel mit dem Hitzeschild voran auf die Atmosphäre trifft. Nur so kann es vor Reibungshitze beim Wiedereintritt schützen, falls nicht, besteht die Gefahr, dass das Raumschiff mitsamt Besatzung verglüht.

In der Geschichte der Weltraumfahrt ist noch nie ein Mensch im All verunglückt, geschweige denn zu Tode gekommen. Tragische Unfälle passierten entweder noch auf der Startrampe, kurz nach dem Start oder bei der Rückkehr, innerhalb der irdischen Atmosphäre, kurz vor der Landung.

Der unwirtliche Weltraum war bislang vergleichsweise sicher für Menschen - solange sie sich in entsprechend geschützten, intakten Raumschiffen oder Raumstationen aufhalten.

So wie derzeit Suni Williams und Butch Wilmore, die jetzt der aktuellen ISS-Besatzung zur Hand gehen, etwa bei Experimenten mit Pflanzen oder Flugrobotern helfen. Oder sie übernehmen generelle Wartungsarbeiten und Sicherheitstests.

Diese positive Bilanz möchte die Nasa nicht durch einen leichtfertigen Rückflug mit dem „Starliner" gefährden. Dass die Entwicklung der vergangenen Wochen ein PR-Fiasko für Boeing ist, wird zur Nebensache.

„Die Unternehmenskultur bei Boeing ist in den vergangenen 20 Jahren von Kaufleuten getrieben worden und nicht unbedingt von Ingenieuren", kritisiert der Unternehmensberater Fabian Eilingsfeld, der für PRICE Systems in Kronberg im Taunus neue Raumfahrtkonzepte analysiert. So seien Entscheidungen, die aus ingenieurtechnischer Sicht richtig gewesen wären, abgewandelt oder ganz anders getroffen worden aufgrund kaufmännischer Restriktionen, also Profitüberlegungen.

„Das grundsätzliche Problem bei Boeing ist, dass dort seit einigen Jahren eine Diktatur der Kaufleute und der Profitoptimierer herrscht", sagt Eilingsfeld. Und das sei bei der Entwicklung von Raumfahrtsystemen problematisch.

Als positives Gegenbeispiel nennt er die von Elon Musk 2002 gegründete Weltraumfirma SpaceX, die in den vergangenen Jahren einen anderen Weg eingeschlagen und den Erfolg nach dem Motto „Trial and Error" gesucht habe: „Sie bauen etwas. Sie testen, ob es gut ist - wenn, verfolgen sie es weiter." Wenn nicht, werde eine Alternative gesucht, und nach Ansicht von Eilingsfeld ist das „eine gute Philosophie".

Konkurrenz mit Weitsicht

SpaceX hat mittlerweile viele erfolgreiche Flüge vorzuweisen und nutzt jede Gelegenheit, alle möglichen Komponenten und Untersysteme der eigens entwickelten Raketen zu testen. „Boeing hat diese Möglichkeiten für sich nicht geschaffen", bemängelt Eilingsfeld. Das zeige sich etwa daran, dass der Raumfahrtkonzern - im Gegensatz zu SpaceX - über keine eigene Trägerrakete verfüge.

Die „Starliner"-Kapsel samt Crew hob mit einer „Atlas V" der United Launch Alliance ab - ein Raketenmodell, das in wenigen Jahren ausgemustert wird, Boeing braucht dann eine Alternative. „Das dauert alles sehr lange, und es scheint nicht wirklich vorwärtszugehen", so das Fazit von Eilingsfeld.

Die Schmach wird für Boeing noch größer, weil Hauptkonkurrent SpaceX nun als Retter einspringen muss. Die „Crew Dragon"-Kapseln des kalifornischen Unternehmens befördern seit mehr als vier Jahren zuverlässig Astronauten zur ISS - US-amerikanische ebenso wie die der Partnerländer, also Kanadier, Russen, Europäer und Japaner, mittlerweile mehr als 40 an der Zahl.

Schon als sich die ersten Probleme auf dem bemannten „Starliner"-Testflug abzeichneten, soll Elon Musk angeboten haben, Wilmore und Williams per SpaceX „Dragon" zurück zur Erde zu holen. Die Nasa begann sich mit der Idee anzufreunden, da die Fehleranalyse im Kontrollzentrum auf der Erde bis heute nichts dazu beitragen konnte, die im All aufgetretenen Probleme zufriedenstellend zu klären. Boeing hingegen beharrt darauf, dass das Raumschiff sicher ist und die beiden Astronauten bei ihrer Rückkehr nicht gefährdet sind.

Darüber hat sich die Nasa jetzt aber hinweggesetzt und entschieden, dass die beiden Astronauten in der Tat mit einer „Crew Dragon" zurückreisen werden - Monate später als ursprünglich geplant.Im Februar 2025.Solange müssen Butch Wilmore und Suni Williams an Bord der ISS ausharren - wo beide schon zwei Missionen erfüllt haben - und ihren Kollegen unter anderem bei der Wartung der Station helfen.

Die zwei werden dann die Plätze von Astronauten einnehmen, die in diesen Wochen eigentlich zur ISS hätten starten sollen, nun aber auf dem Boden bleiben: Beim nächsten Start einer „Crew Dragon" - wahrscheinlich Ende September - werden statt der üblichen vier nur zwei Astronauten an Bord sein.

Zuletzt hatten sich Williams und Wilmore im Rahmen einer Telepressekonferenz im Juli zu den Problemen geäußert und Optimismus verbreitet. Damals glaubten sie noch, mit dem „Starliner" auch wieder zurückkehren zu können. Solange wollten sie die Extrazeit in der Schwerelosigkeit genießen. Proviant sei genug an Bord.

Wo sieben satt werden, reicht es auch für neun. Außerdem wird ständig von der Erde nachgeliefert. Rund 3,7 Tonnen Lebensmittel, Treibstoff und wissenschaftlichen Nachschub lieferte kürzlich ein US-amerikanischer „ Cygnus "-Versorgungscontainer; vor zwei Wochen brachte ein russischer „Progress 89"-Transporter drei Tonnen Material, und es soll noch mehr kommen.

Mit den jüngsten Schwierigkeiten ist die Odyssee des „Starliners" jedoch nicht beendet: Das Raumschiff muss den Andockstutzen der ISS verlassen, bevor die „Crew Dragon" eintrifft. Die anderen drei „Dockingports" sind noch von „Dragon"-Kapseln sowie einem „Cygnus"-Versorgungscontainer belegt. Auch am russischen ISS-Teil ist kein Platz; die Ports dort sind „Sojus"- und „Progress"-Kapseln reserviert.

Was zum nächsten Problem führt: Der „Starliner" kann nicht ohne Piloten zurückfliegen. Selbstfahrende Autos auf der Erde können mittlerweile mehr als diese Kapsel im Kosmos: Das Abkoppeln von der ISS und der Rückflug zur Erde funktionieren nur, wenn ein Mensch manuell im Innern des Schiffs Hand anlegt. Die Software für die Automatik hatte Boeing allerdings nach den unbemannten Testflügen entfernt. Damit der „Starliner" autonom abkoppeln und landen kann, wäre es nötig, sie wieder vom Boden aus aufzuspielen.

Dafür wären vier Wochen nötig - so argumentierte Boeing bislang gegen dieses Vorhaben. Wenn es sein muss, geht es offenbar doch schneller: Schon Anfang September soll „Starliner" ablegen, die nächste bemannte „Crew Dragon" kann also kommen.

Auch ist die Nasa eher bereit, den leeren „Starliner" ohne entsprechende Flugsoftware nach dem Abkoppeln verglühen zu lassen, als noch einmal ihre Astronauten an Bord zu platzieren. Mehr als 60 Jahre, nachdem erstmals eine Raumkapsel Menschen ins All getragen hat, ist es Boeing offenbar nicht gelungen, dieses technisch recht simple Konzept neu aufzulegen.

Bevor die Nasa jemals wieder ihre Astronauten an Bord eines solchen „Starliners" setzt, wird sie wahrscheinlich von Boeing einen weiteren, unbemannten Testflug fordern, bei dem aber auch wirklich alles reibungslos funktionieren muss.

Durch diese Verzögerung ist nun noch nicht einmal mehr sichergestellt, dass das Raumschiff überhaupt die gegenüber der Nasa vertraglich zugesagten sechs Versorgungsflüge noch absolvieren kann, bevor die ISS 2030 verschrottet werden soll. Selbst wenn das Schiff irgendwann einmal zuverlässig fliegen sollte, ist nicht mehr als ein Flug pro Jahr geplant. Aber welche erfahrenen Astronauten werden es wagen, in diese Kapsel einzusteigen?

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