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Geo-Akustik: Lauschkanal in der Atmosphäre - WELT

Ein Forschungsballon in der Erdatmosphäre Quelle: © NASA ASTHROS. Mission in Flight Illustration

Bereits vor 60 Jahren hatten Forscher vermutet, dass sich Schallwellen in einer Höhe von rund 20 Kilometern besonders gut in der Atmosphäre ausbreiten. Ballonversuche von US-Forschern haben dies nun bestätigt.

Im April 2021 wurde es ganz schön laut in der texanischen Wüste: Das Raumfahrtunternehmen Blue Origin schickte die Rakete „New Shepard" zu einem unbemannten Testflug ins All. Nach der geräuschvollen Zündung folgten kurz darauf zwei Überschallknalle: der erste beim Aufstieg der Kapsel, der zweite beim Zurückfallen der ausgebrannten Raketenstufe Richtung Erde.

Nicht nur Freunde des Weltraumtourismus hatten diesem Start entgegengefiebert. Im benachbarten US-Bundesstaat New Mexico hatte sich der Geophysiker Daniel Bowman vorgenommen, eine jahrzehntealte Theorie zu überprüfen. Er wollte wissen, ob es in der Atmosphäre einen Schallkanal gibt, so wie er aus tiefen Erdschichten bekannt ist: Etwa einen Kilometer unter der Erdoberfläche kann sich Schall nämlich besonders weit ausbreiten.

„Am Tag des Starts von Blue Origin mussten wir unseren unbemannten Versuchsballon schon vor Sonnenaufgang starten", erinnert sich Bowman. „Je mehr dann die Sonne das Gas in seinem Innern aufgeheizt hat, desto höher stieg er." Als er schließlich eine Höhe von rund 20 Kilometer erreicht hatte, hob in Texas „New Shepard" ab.

Instrumente registrierten Infraschall

Die spannende Frage: Würden die Instrumente an Bord des Ballons die beim Raketenstart erzeugten Schallwellen registrieren können? Wenn überhaupt, würden dies Infraschallwellen sein, die für das menschliche Ohr nicht hörbar sind. Die anderen Frequenzanteile werden definitiv auf dem langen Weg durch die Atmosphäre absorbiert.

Tatsächlich kamen die Schallwellen rund zehn Minuten nach dem Raketenstart beim Ballon an. Die Instrumente haben sie registriert, berichtet Sarah Albert von den Sandia National Laboratories in New Mexico, die gemeinsam mit Bowman das Experiment durchgeführt hat.

„Als die Rakete startete, war unser Ballon rund 400 Kilometer entfernt", so die Geophysikerin, „trotzdem waren wir in der Lage, die Zündung beim Start, einen ersten Überschallknall beim Aufstieg ins All und einen zweiten beim Fall zurück aufzuzeichnen."

Existenz des Schallkanals wurde lange vermutet

Damit haben die Forscher gefunden, was sie suchten. Es gibt nicht nur in einer bestimmten Tiefe unter dem Meeresboden eine Schicht, die die Ausbreitung von Geräuschen begünstigt, sondern auch in der Luft, in rund 20 Kilometer Höhe. „In dieser Höhe haben wir einen Schallkanal vermutet", so Bowman. „Dieser ermöglicht Schallwellen offenbar die Ausbreitung über große Distanzen."

Die Temperaturverteilung legte die Existenz eines solchen Schallkanals bereits nahe. „Doch unser Projekt war das erste seit mehr als 60 Jahren, das gezielt nach diesem Kanal gesucht hat", betont Bowman.

Als Mitte des vergangenen Jahrhunderts erstmals Ideen zu einem möglichen Schallkanal in der Luft aufkamen, war die US-Luftwaffe naturgemäß sehr interessiert, weil sie hoffte, über einen solchen Schallkanal Atomwaffentests der Sowjetunion schneller und besser nachweisen zu können.

Wellen in der Tropopause

Auch damals wurden Heißluftballons eingesetzt, um diesen Kanal zu finden. Als aber ein solcher Ballon bei Roswell, New Mexico, abgestürzt war und eine Ufo-Hysterie ausgelöst hatte, beerdigte die Air Force die Versuchsflüge.

Der Schallkanal liegt in der sogenannten Tropopause, das ist die Grenze zwischen der untersten Schicht der Atmosphäre, der Troposphäre, und der darüber liegenden Stratosphäre. In der Tropopause ist die Luft kalt.

An der Grenzschicht zwischen kalter und warmer Luft werden Schallwellen zur kalten Luft zurückgeworfen. „Wenn also Schall einmal in dieser kalten Schicht ist, entkommt er nicht mehr", erklärt Bowman, „er wird dort gebündelt und entkommt der Tropopause nicht." Und dort breitete er sich dann aus.

Wind und Wetter spielen eine Rolle

Im September 2021 wiederholten die Forscher das Ballonexperiment. Es sollte ein Raketenstart am Weltraumbahnhof Vandenberg in Kalifornien aufgezeichnet werden. Zu hören war diesmal - nichts. Dafür hat das Forscherteam noch keine Erklärung. „Vielleicht war die Entfernung einfach zu groß", vermutet Albert. Denn dieses Mal fand der Raketenstart in 1300 Kilometer Entfernung statt.

„So weit breitet sich der Schall in der Luft möglicherweise doch nicht aus", vermutet die Forscherin, „oder der Schallkanal in der Luft ist nicht so stabil wie der im Wasser und daher nicht permanent vorhanden." Vielleicht spielen auch Wind und Wetter eine Rolle.

Die Wissenschaftler planen nun, ein Netzwerk von Ballons einzurichten, die zwischen 15 und 30 Kilometer Höhe ständig nach Geräuschen horchen. So wollen sie das Phänomen des Schallkanals besser verstehen und seine genaue Höhe ermitteln. Eine Anwendung könnte das schnelle Registrieren von Vulkanausbrüchen sein.

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