1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

Vancouver Island: Grauwale vor Kanada läuten den Frühling ein - WELT

Fernreisen Vancouver Island

Grauwale vor Kanadas Küste läuten den Frühling ein

Vancouver Island hat eine lange Whale-Watching-Tradition. Im März ziehen die Grauwale an der Küste der westkanadischen Provinz British Columbia vorbei. Es ist die größte Wanderung von Säugetieren weltweit.

Das kleine Städtchen Ucluelet in der westkanadischen Provinz British Columbia fiebert in diesen Wochen dem Frühling entgegen. Wann der beginnt, entscheidet nicht das Wetter, das bestimmen die Wale: Erst wenn Tausende von Grauwalen direkt vor der Küste vorbeigezogen sind, wechseln die Jahreszeiten, so die feste Überzeugung der Einheimischen. Was für sie und die angereisten Touristen der Startschuss für die Whale-Watching-Season ist - mitten in einem Naturpark auf der Insel Vancouver Island, der riesigen Insel vor der Westküste Kanadas.

Normalerweise startet auch das Pacific Rim Whale Festival. Schön hätte es werden sollen in diesem Jahr. Geschmückte Wagen standen bereit, kostümierte Fußtruppen hatten ihre Schrittfolge geübt und Kapellen die Begleitmusik zum Umzug, Whalewatch-Firmen wollten ihre Schlauchboote auf Anhängern präsentieren und Kamelle für die Kinder werfen.

Die lokale Feuerwehr hatte einen Löschzug abgestellt und selbst die Polizei wollte am Umzug teilnehmen, statt ihn zu bewachen. Am 20. März hätte der Startschuss fallen sollen. Doch dann kam Corona auch nach Kanada - und das Festival wurde kurzfristig abgesagt.

Im März ziehen die Grauwale an der Küste vorbei

Die eigentlichen Hauptdarsteller dieses Festivals jedoch, die Wale, stört das nicht weiter. Denn im März beginnt vor Kanadas Westküste regelmäßig die Saison für die Walbeobachtung. Festival hin, Festival her. Aus der ganzen Welt reisen dann üblicherweise Touristen an, um die Grauwale zu sehen.

Was für die Besucher Spaß ist, hat Ian McAllister zu seinem Beruf gemacht: Tag für Tag beobachtet der passionierte Umweltschützer die Grauwale, wenn sie im Frühjahr an der Küste auftauchen.

Keine Frage, dass auch McAllister, der einige Bücher über die Tier- und Pflanzenwelt von Vancouver Island geschrieben hat, ein Fan der alljährlichen Walwanderung ist. „Wir sind hier inmitten der Straßen von Tofino. Und trotzdem können wir von hier aus auf die Inseln vor der Küste blicken, auf Regenwälder, auf weiße, sandige Strände", sagt McAllister.

Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, ein perfekter Tag zum Gucken. „Das ist nicht immer so", sagt McAllister schmunzelnd, „denn über Regenwälder regnet es nun mal oft."

Der „pazifische Rand" auf Vancouver Island

Pacific Rim nennt sich diese Gegend im äußersten Westen der kanadischen Provinz British Columbia, der „pazifische Rand" oder die „pazifische Kante". Denn westlich von hier kommt nur noch Wasser.

Um die einheimische Tier- und Pflanzenwelt zu schützen - der nördliche Pazifik ist einer der artenreichsten Lebensräume der Erde, und zwar zu Wasser und zu Lande -, erklärte Kanada dieses Gebiet 1977 zum Nationalpark.

Der Pacific Rim National Park umfasst eine Fläche von mehr als 500 Quadratkilometern. Direkt am Park liegt der Ort Ucluelet, etwa eine halbe Autostunde südlich von Tofino.

Beide Orte an der Westküste von Vancouver Island grenzen unmittelbar an den Pazifik. Am Pacific Rim trifft der Pazifische Ozean auf den Regenwald von Vancouver Island.

Die Wale wandern von Mexiko in die Beringsee

„Genau jetzt wandern etwa 17.000 Grauwale von ihren Geburtsstätten in Mexiko hinauf in die Beringsee", sagt McAllister. Diese Wanderung Richtung Norden ist die größte Wanderung von Säugetieren weltweit.

„Und diese Tour machen die Wale jedes Jahr", ergänzt der Walexperte. „Deswegen können wir in diesen Tagen beim Blick aufs Meer die Fontänen aus Atemluft sehen."

Der sogenannte Blas ist die nach dem Tauchvorgang ausgeatmete Atemluft von Walen; sie wird mit hohem Druck ausgestoßen und ist mit Feuchtigkeit gesättigt. Wenn die Luft das Blasloch verlassen hat, entspannt sie sich, wobei durch den geringeren Druck und die niedrigere Außentemperatur die Feuchtigkeit der Atemluft kondensiert und als Nebelfontäne sichtbar wird.

Ian McAllister schaut wieder hinaus auf das Meer. In die Bucht von Tofino, von wo die Whale-Watch-Boote ablegen, wagen sich die riesigen Meerestiere selbst nicht hinein. Die Boote fahren die Touristen deshalb ein paar Kilometer vor die Küste, zu den Wanderwegen der Grauwale. Die Tiere ziehen den Weg hinunter in die ruhigen, warmen Lagunen vor der Küste Baja Californias in Mexiko.

Dort bringen sie ihre Jungen zur Welt und säugen sie für etwa zwei Monate. Der Pazifik vor Mexikos Küsten ist angenehm temperiert, klar, allerdings sauerstoffarm und ohne Plankton, weshalb es auf Dauer zu wenig Nahrung für die Tiere gibt.

Also schwimmen die Wale Tausende von Kilometern bis hinauf in die Beringsee vor Alaska. Hier sind die Bedingungen umgekehrt: Das Wasser ist trüb, kalt und mit viel Sauerstoff angereichert. Das perfekte Umfeld für jenes kleine Getier, das den Meeressäugern als Nahrung dienen: Krill.

Im Herbst schwimmen die Wale dann den ganzen Weg zurück nach Mexiko. Bis zu 20.000 Kilometer legen die Tiere im Jahr so zurück - ein ewiges Hin und Her.

Die Tiere präsentieren Touristen ihren Nachwuchs

Walfänger nannten die Grauwale einst „Teufelsfische". „Denn sie konnten ziemlich wütend werden", sagt Ronny Lamoureux und schiebt dann noch eine rhetorische Frage nach: „Aber wenn ich Sie mit einer Harpune aufspießen würde, wären Sie sicher auch aggressiv, oder?"

Dabei seien Grauwale in Wahrheit sehr sanftmütig und neugierig. Es komme oft vor, dass Muttertiere Menschen auf Booten ihre Jungen regelrecht präsentierten.

„Sie sind stolz auf ihren Nachwuchs", sagt Lamoureux. Als Bootskapitän bei einer der Firmen, die vom Whale-Watch-Tourismus in Tofino und Ucluelet leben, weiß er, wovon er spricht.

Whale-Watch-Touren in Tofino und in Ucluelet

Szenenwechsel, es ist Sonntag, kurz nach acht Uhr. Im Hafen stehen etliche Touristen; sie sind aufgeregt, denn bald schon sollen sie ihnen ganz nahe sein, den Grauwalen.

Es beginnt ganz langsam und gemütlich, „wir wollen doch niemanden aufwecken", mahnt flüsternd Kapitän Mark Sawyer. Schließlich stehe „Jamie's" in großen Buchstaben auf dem Rumpf des Bootes. Die Leute wüssten also, wo sie anrufen müssen, um sich zu beschweren. Denn die meisten Boote an den Anlegestellen ringsum würden gar nicht mehr fahren, sondern ihren Besitzern als Heimstatt dienen.

„Wenn wir da vorne die grüne Boje passiert haben, geben wir Gas. Dann schauen wir mal, was der offene Ozean für uns bereithält."

Mark Sawyer arbeitet für „Jamie's", genauer: für Jamie's Whaling Station, die in Tofino und in Ucluelet präsent ist. Hier können Besucher Whale-Watch-Touren buchen. In Marks Schlauchboot „Blue Thunder" finden acht Personen Platz. Alle sind dick anzogen und tragen über ihrer eigenen Kleidung noch einem roten Schutzanzug, der sie gegen Wind und Wellen schützen soll.

An diesem Frühlingsmorgen weht am Pacific Rim noch ein kühles Lüftchen. Das ist aber ganz praktisch, um Wale zu finden. Denn an windigen Tagen wehen Böen den Blas in Richtung der Whale-Watch-Touristen. „Achtet also auf die Wasserfontänen", schärft der Kapitän seinen Kunden ein.

Grauwale haben auf ihrem Kopf zwei Atemlöcher, so wie alle Bartenwale. Bei Grauwalen steigt die Luft fast in Form eines Herzens aus den beiden Löchern, ein fantastisches Schauspiel.

Sprünge aus dem Wasser sind eine Spezialität der Buckelwale

Die grüne Boje ist erreicht. Ab hier liegen keine Hausboote mehr vor Anker. Mark gibt Gas. Während er den „Blue Thunder" auf den offenen Ozean hinaussteuert, übernimmt seine Kollegin Ashley Hoyland die Führung. Sie ist ebenfalls dick eingepackt. Und sie muss gegen den Fahrtwind anschreien.

Doch Ashley kennt viele Fragen der Touristen ohnehin schon. „Viele Menschen erwarten, akrobatische Wale zu sehen, die aus dem Wasser springen", erzählt sie. Solche Kunststücke jedoch seien eine Spezialität von Buckelwalen.

Grauwalen falle das sehr schwer. „Sie sind quasi die T-Rexe unter den Walen", sagt Ashley. Sie haben nur sehr kleine Brustflossen. Damit können sie unter Wasser nur schlecht Anlauf nehmen, um sich aus dem Wasser zu katapultieren.

Überhaupt einmal einen Grauwal vor die Linse zu bekommen, auch wenn er nicht springt - darauf hoffen die Touristen an Bord. Und siehe da: Der erste Grauwal taucht auf, bläst und taucht gemütlich wieder ab, nur etwas mehr als 100 Meter vor dem Boot.

Für ein paar Sekunden waren sein Hinterkopf und sein Rücken zu sehen. „Wir heißen die Wale willkommen und mit ihnen den Frühling", sagt Ashley.

Im Herbst ziehen wieder Wale an der Küste von Kanada vorbei

Grauwale können nicht so lange die Luft anhalten wie andere Walarten, höchstens 25 Minuten. Länger können sie also auch nicht dösen. Der Drang nach Luft weckt sie aus ihrem Halbschlaf. Dann müssen sie aufsteigen an die Wasseroberfläche und Luft holen - zur Freude der Touristen.

Das sind die Momente, in denen die Kameras klicken: Grauwalkopf, Grauwalrücken und Grauwalfluke, die individuell geformte Schwanzflosse, die sichtbar wird, wenn die Tiere wieder absteigen zum Weiterdösen.

Drei Stunden später. Alle acht Whalewatcher kehren nass, aber glücklich zurück an Land, nach Ucluelet. Die Wale haben den „pazifischen Rand", den Pacific Rim erreicht - nun kann auch der Frühling kommen.

Und aus der Absage des Pacific-Rim-Whale-Festivals wollen die Naturfreunde und die Tourismusbranche in Ucluelet und in Tofino nun das Beste machen: Derzeit überlegen sie, das Happening im Herbst nachzuholen, wenn die Grauwale wieder an der Westküste Kanadas vorbeiziehen, diesmal in die andere Richtung, nach Süden, auf dem Weg in wärmere Gewässer.

Dann würden Einheimische und Besucher die Wale eben nicht willkommen heißen, sondern sie verabschieden und ihnen hinterherwinken.

Tipps und Informationen für British Columbia

Anreise: Zum Beispiel normalerweise mit Lufthansa nonstop nach Vancouver. Weiter mit der staatlichen Fährgesellschaft BC Ferries ( bcferries.com) nach Vancouver Island; die Fähren pendeln mehrmals täglich nach festem Fahrplan und nehmen auch Pkw mit. Das Übersetzen dauert etwa zwei Stunden, daran schließt sich eine gut dreistündige Fahrt mit dem Leihwagen an, um die Insel zu durchqueren und auf die Westseite von Vancouver Island zu gelangen.

Unterkunft: „Tofino Resort & Marina", am Wasser gelegenes Motel im Stil eines Resorts, mit Holzeinrichtung, lebhafter Bar und zwanglosem Diner, Nacht ab 130 Euro, tofinoresortandmarina.com; „Tofino Ecolodge", rustikale Villa inmitten der Natur, Nacht ab 80 Euro, tbgf.org/home/about-the-ecolodge/ecolodge-2/

Pacific-Rim-Nationalpark: Hauptanziehungspunkt ist die Long-Beach-Region zwischen Tofino und Ucluelet, wo man viele attraktive Trails zum Wandern findet. Im Süden schließt sich der West Coast Trail an, ein 75 Kilometer langer Wanderweg entlang der Steilküste und durch Regenwälder.

Ausflüge: Whalewatch-Touren werden mehrmals täglich von zahlreichen Firmen in Ucluelet und Tofino angeboten, zum Beispiel von subtidaladventures.com. Die Saison für Walbeobachtungen reicht von Mitte März bis Mitte April.

Das Pacific Rim Whale Festival findet im März 2021 in Ucluelet und in Tofino statt, pacificrimwhalefestival.com

Auskunft: vancouverisland.travel/

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Destination British Columbia. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.
Zum Original