Autorin, Verlegerin, Übersetzerin: Zoë Beck kennt die Buchbranche aus verschiedensten Perspektiven. Die 45-Jährige zählt zu den wichtigsten deutschen Krimiautor*innen und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedrich-Glauser-Preis und dem Deutschen Krimipreis. In ihrem neuen Thriller „Paradise City" (Suhrkamp) entwirft Beck ein düsteres Szenario: In ihrem Deutschland der Zukunft wird alles von Algorithmen gesteuert, Kranke werden von einer Gesundheits-App minutiös kontrolliert, und die Medien verkünden nur noch Staatspropaganda. Zoë Beck hat 18 Bücher geschrieben, übersetzt unter anderem die Werke von Sally Rooney ins Deutsche und lebt in Berlin.
Frau Beck, sind Sie ein pessimistischer Mensch?Sie meinen, weil das Szenario in meinem Thriller so düster ist? Nun, ich fürchte tatsächlich, dass es in meiner Grundstruktur angelegt ist pessimistisch zu sein. Aber ich versuche mich dahin zu erziehen, dass ich das Gute erkenne, auch in Dingen, die doof gelaufen sind. Ich hatte einmal eine schwere Krankheit, und danach habe versucht mir anzugewöhnen, Dinge so anzunehmen wie sie sind, wenn ich sie nicht ändern kann. Aber ich lasse mich trotzdem leicht in eine pessimistische Weltsicht runterziehen, leider. Trotzdem freue ich mich natürlich, wenn ich positiv überrascht und widerlegt werde.
In „Paradise City" passieren Dinge, die vor Mitte März kaum jemand für möglich gehalten hat. Sie scheinen sich allerdings schon länger mit Pandemien und Gesundheits-Apps zu beschäftigen.Das stimmt. Ich habe schon 2018 mit dem Konzipieren dieses Thrillers angefangen und wollte von Anfang an, dass meine Geschichte in einer Zeit nach mehreren tödlichen Pandemien und Klimakatastrophen spielt. Auch dass man sich wieder auf den nationalstaatlichen Nukelus beschränken wird und die Landesgrenzen geschlossen werden, erschien mir für meinen Plot realistisch. Und, ja, in meinem Buch gibt es eine Gesundheits-App, die stark ins Leben der Bürger eingreift; auch diese Idee hatte ich lange vor Corona.
Wie haben Sie reagiert, als aus Ihrer Fiktion allgemeine Realität wurde?Ich bin zunächst einmal erschrocken. Es war unheimlich zu sehen, wie sich die Lage im März und April entwickelte und teilweise den Szenarien in „Paradise City" glich.Aber letztlich war es natürlich eine schöne Bestätigung, dass ich mit meinen Überlegungen nicht ganz so weit entfernt von der Wirklichkeit war wie man vielleicht noch vor einem Jahr gedacht hätte. Ähnliches ist mir mit früheren Büchern passiert, sodass mir schon seherische Fähigkeiten attestiert wurden. (lacht)
Wann genau spielt die Handlung?In knapp hundert Jahren. Die genaue Zeit habe ich bewusst offengelassen, wie vieles andere auch. Ich bin keine Freundin davon, alles bis ins kleinste Detail auszuerzählen. Oft reicht es, wenn man als Autorin Hinweise gibt, denn wir alle haben doch schon so viele Bilder im Kopf, haben so viele Serien und Filme gesehen und Bücher gelesen. Deswegen wollte ich sehr viel Raum für Fantasie lassen und deute vieles nur an.
Betrachten Sie Ihr Buch als Warnung vor der Gefahr eines Überwachungsstaates?Es soll zumindest keine Technikwarnung sein. Wenn, dann eine politische Warnung, dass wir uns alle weiterhin Gedanken machen müssen, wie gut unsere Demokratie funktioniert, wie wichtig eine unterscheidbare Parteienlandschaft und die freie Presse als sogenannte vierte Macht sind. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir ganz anders mit unserer Umwelt umgehen sollten, sonst steht wirklich bald die Nordsee vor Bremen und weite Teile Deutschlands sind nicht mehr bewohnbar, wie in „Paradise City". Im Bereich Umwelt sehe ich durchaus Gefahren, wenn wir unser Verhalten nicht ändern.
Die technische Überwachung der Bürger in Ihrem Buch, etwa über eine verpflichtende Gesundheits-App, kann einem allerdings auch Angst machen.Wir müssen wachsam sein, keine Frage. Aber ich möchte nicht pauschalieren, denn kein Algorithmus ist von sich aus gut oder böse. Es kommt immer darauf an, zu welchen Zweck etwas programmiert und eingesetzt wird. Wer bekommt welche Daten? Das ist die Frage, der wir nachgehen sollten. Technikfeindlichkeit führt dabei nicht weiter - wir müssen jedoch die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Einsätze von Datenflüssen und Überwachungsmechanismen im Blick behalten. Zum Glück gibt es einen wachsamen Teil unserer Gesellschaft, der versucht aufzuklären. Diesen Aktivist*innen müssen wir jetzt aufmerksamer zuhören, so wie wir es seit März auch mit den Virolog*innen tun.
Ihre Hauptfigur Liina ist eine der letzten unabhängigen Journalistinnen, die trotz einer schweren Herzerkrankung mysteriöse Todesfälle recherchiert. Wie ähnlich sind Sie dieser Protagonistin?Ich bin ein ganz anderer Mensch, aber trotzdem bin ich ihr nah und kann sehr gut nachvollziehen, was sie tut. Autobiografische Erlebnisse fließen natürlich immer in meine Figuren und deren Handeln ein, aber es bleiben Figuren. Ein guter Freund von mir hat ein Spenderherz wie Liina, insofern war ich schon mit der Thematik vertraut. Wichtig war mir bei diesem Buch, dass ich nicht wie sonst multiperspektivisch schreibe, sondern bei Liina bleibe. Meine Leser*innen sollten nur wissen, was sie weiß, und das hat beim Schreiben großen Spaß gemacht.
Fällt es Ihnen eigentlich einfacher zu schreiben, da Sie die Buchbranche auch als Verlegerin und Übersetzerin kennen?Nicht unbedingt, denn ich habe so viele andere Dinge zu tun, dass mir die Konzentration aufs Schreiben manchmal schwerfällt. Mir den Rückzug für die Kreativität zu nehmen, ist gar nicht so einfach. Ich hatte allerdings von Anfang an das Ziel, die Branche gut kennenzulernen, und ich war vor allem neugierig. Das mag mir durchaus auch geholfen haben, aber es war manchmal ziemlich desillusionierend.
Warum haben Sie trotzdem Ihren eigenen Verlag CulturBooks gegründet?Ich wollte guten Büchern eine Chance geben! Viel zu viel herausragende Literatur aus der ganzen Welt geht völlig unter, weil sie angeblich nicht zu bestimmten Zielgruppen oder in eng gefasste Verlagsprogramme passt. Diese Bücher haben mir gefehlt, ich wollte sie sichtbar machen. Umso schöner ist es, diesem Ziel in den vergangenen Jahren deutlich näher gekommen zu sein.
Interview: Günter Keil
Zoë Beck, „Paradise City", Suhrkamp, 16 Euro