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Hunderte Komparsen: Wie der neue Berliner Flughafen getestet wird

Es sind Szenen, die es an einem Berliner Flughafen offiziell noch gar nicht gibt. Nach ein paar Klicks am Computermonitor der Mitarbeiterin am holzvertäfelten Check-in-Counter 226 beginnt ein kleines schwarzes Kästchen leise zu surren. Eine Papierrolle dreht sich, und eine Bordkarte kommt heraus. Der Sitzplatz hat die Nummer 15D, das Gate schließt in 55 Minuten - welches genau, dafür bitte die Anzeigetafeln beachten, für die Sicherheitskontrolle bitte nach links gehen.

Für die Passagierin Olivia Brunner sind das gewöhnliche Abläufe. Doch ihre Reise ist alles andere als normal. Denn Brunners Flug mit der Nummer EW9981 startet um 13 Uhr in Richtung Düsseldorf - vom Flughafen Berlin Brandenburg (BER).

Nach aller Voraussicht öffnet der Flughafen Ende Oktober. Doch schon seit Wochen finden sich immer dienstags und donnerstags Hunderte Freiwillige, gekleidet in grüne Warnwesten, in der Haupthalle des neuen Hauptstadtflughafens ein. Jeder der rund 400 Komparsen erhält eine fiktive Identität. So testen sie den Betrieb, so proben sie den Abflug zu einem bestimmten Ziel.

Wenn man mit der Rolltreppe von Bahnhof und Ankunftsebene nach oben fährt, eröffnet sich ein ungewohntes Bild. Eine große, lichtdurchflutete Abflughalle, die man mit einem Blick erfassen kann. Eine Anzeigetafel, dahinter, in der ganzen Halle verteilt, die Check-in-Schalter, in zehn holzverkleideten Würfeln. Die 20 Meter hohe Halle füllt sich mit dem Stimmengewirr der Komparsen und dem Geräusch rollender Koffer. Unter der Decke schwebt ein großes rotes Etwas, das filigran und luftig auf halber Höhe zwischen Decke und Boden hängt. Das Metallgeflecht, ein Kunstwerk der kalifornischen Künstlerin Pae White, soll einen fliegenden Teppich darstellen.

Auf zur Check-in-Insel Nummer2, Düsseldorf wartet, die Zeit ist knapp bemessen. Schließlich steht Olivia Brunner nicht am Flughafen Tegel, wo sie nach der Gepäckaufgabe direkt ins Flugzeug gehen würde. Die Wege am BER sind länger. Nach der Sicherheitskontrolle durch den Duty-Free-Shop zu navigieren ist zeitraubend. Noch läuft man dort zwischen orangefarbenen Bauhütchen und rot-weißem Flatterband über einen abgedeckten Fußboden. Ganz abgeschlossen sind die Bauarbeiten noch nicht. Die Schriftzüge von Marken wie Dior, Hermès oder Chanel in silbernen Buchstaben an der Wandverkleidung lassen aber schon erahnen, dass hier bald Parfum-Duft die Luft erfüllen wird. Noch sind die Regale für die Waren leer, einige Kabel hängen noch von der Decke herab.

Grundsätzlich aber ist der BER betriebsbereit. Das bestätigte Ende April der Tüv Rheinland. Brandmelder, Entrauchungsanlage, Sprinkler und Sicherheitskabel haben das Siegel der Prüfer erhalten, das ihnen jahrelang vorenthalten wurde. Damit sind zumindest die Problemherde beseitigt, deretwegen sich die Eröffnung um mehr als acht Jahre verzögerte. Jetzt gehe es nur noch um kleinere Arbeiten, sagt der Flughafen-Chef Engelbert Lütke-Daldrup der F.A.Z.: „Aktuell werden noch zwei große Werbeanlagen an der Decke im Marktplatz angebracht, deshalb stehen dort Gerüste. Auch die meisten Shops und Gastronomie-Einrichtungen im Terminal 1 sind baulich fertig, die Möbel werden zum Teil noch eingeräumt und aufgebaut."

Der Abflug aus Berlin wird dann das bieten, was man von einem Hauptstadtflughafen wohl auch erwartet: Der Ampelmann-Shop bietet die Berliner Kult-Souvenirs, das Restaurant „Borchardt" eröffnet einen Take-away-Ableger, und Dutzende weitere Versuchungen säumen die langen Gänge zu den Gates. Hohe Glasfronten und heller Steinfußboden signalisieren Weitläufigkeit, die Wandverkleidung aus französischem Nussbaumholz strahlt Wärme aus. Zeitloses Design - einladend, aber nicht spektakulär.

Gate B33 ist mittlerweile für den simulierten Eurowings-Flug nach Düsseldorf ausgerufen. Flüge innerhalb Deutschlands und im Schengen-Raum werden in dem mehrstöckigen Terminal auf der unteren Ebene abgefertigt. Olivia Brunner und 21weitere Personen haben sich zum Einsteigen eingefunden. Auch der Ansager darf einmal üben: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, ihr Flug EW9981 steht nun zum Boarding bereit."

„Kein Restrisiko mehr für eine Verzögerung"

Ein Bus bringt die Passagiere zum Flugzeug. Es geht über das weitläufige Rollfeld zur vorgesehenen Außenposition. Ein paar Easyjet-Flugzeuge, von der englischen Fluggesellschaft wegen der Corona-Flaute auf dem BER zwischengeparkt, vermitteln ein wenig Realitätsgefühl. Zur Nutzung beim Probebetrieb standen sie aber nicht bereit. Statt in ein echtes Flugzeug setzen sich die Komparsen in einen Reisebus. Er unternimmt eine kleine Rundfahrt auf dem Gelände und steuert dann die Außenposition D12 an. Von dort aus wird nun die Ankunft geprobt.

Olivia Brunner ist jetzt Passagierin auf dem Eurowings-Flug von Köln/Bonn nach Berlin. Der Bus hält, nun heißt es kurz warten. Hier ist der Punkt erreicht, an dem sich die Ereignisse des Probebetriebs von der Realität unterscheiden. Es wäre nämlich der Moment, in dem die ersten Drängler im Flugzeug von ihren Sitzen aufspringen, weil sie es besonders eilig haben. Hastig würden sie die Gepäckfächer aufreißen, entnervt die ersten Beschwerde-SMS absenden. Dann nähern sich langsam die Flughafenfahrzeuge. Von rechts kommt ein Auto mit einem ausfahrbaren Fließband für das Gepäck angerollt, von links eine Treppe zum Aussteigen.

Doch die Türen gehen erst mal nicht auf. Bis ein Flughafenbus auftaucht, der die Ankommenden zum Terminal bringt, dauert es ganze zwölf Minuten. Am Terminal geht dann aber alles erstaunlich schnell. Das Gepäckband ist bald erreicht, die Koffer lassen nicht lange auf sich warten. Mit dem Probebetrieb ist Lütke-Daldrup jetzt schon zufrieden: „Es gab keine negativen Überraschungen. Nur bei der Wegweisung müssen wir noch etwas nachbessern. Je mehr davon wir jetzt beseitigen können, um so besser." Einer Eröffnung am 31. Oktober soll das aber nicht im Wege stehen. „Nach menschlichem Ermessen gibt es kein Restrisiko für eine weitere Verzögerung mehr."

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