Die Schwarzen waren in einer extrem schwierigen Situation. In den Südstaaten gab es eine ganz klare Segregation in öffentlichen Räumen wie Schulen, Bussen und Restaurants, damit Weiße nicht mit Schwarzen zusammen sein mussten. Außerdem gab es massive Polizei-Brutalität und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Im Norden kam es zu immensen Ghettobildungen in den Großstädten, wo sich Armut und Kriminalität an einem Ort konzentrierten.
Was war die Rolle von Martin Luther King in dieser Situation?King war die moderate Stimme der Bürgerrechtsbewegung. Das Besondere an ihm war, dass er seine Ziele friedlich erreichen wollte. Er kämpfte für Gerechtigkeit und eine Integration der Schwarzen in die Gesellschaft. Dafür hat er auch Druck aufgebaut. Denn er sagte oft, dass es zu einer Radikalisierung der Bürgerrechtsbewegung kommen könnte, wenn die Diskriminierung nicht beendet werden würde.
Welche Folgen hatte der Anschlag auf King für die Bewegung, die er initiiert hatte?Auf die Bewegung hatte der Anschlag keine großen Folgen, weil vieles, was er gefordert hatte, schon erreicht wurde. Es gab die Bürgerrechtsgesetzgebung in den Sechzigerjahren, den „voting-rights-act" 1965 und Lyndon B. Johnsons Sozialgesetzgebung, was den Schwarzen zu Gute kam. Der Druck war also zum Zeitpunkt des Anschlags aus dem Kessel, aber er machte King zu einer nationalen Ikone in den Vereinigten Staaten.
Wie hat sich die Lage der Schwarzen in den 50 Jahren nach Kings Tod verändert?Auf der formellen Ebene sehen wir natürlich eine bessere Integration der Schwarzen in die Gesellschaft und das politische System. Es gibt keine Segregation mehr. Heute können Schwarze an allen Universitäten studieren und es gibt keine getrennten Bereiche in öffentlichen Räumen mehr.
Als Barack Obama 2008 zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählte worden war, glaubten viele, dies sei der Beginn einer neuen Ära, die zur Erfüllung von Kings Traum führt. Hat sich diese Hoffnung bewahrheitet?Nein, überhaupt nicht. Es war viel davon die Rede, dass wir in einem post-rassistischen Zeitalter angekommen seien. Aber die Realität hat klar gezeigt, dass dies nicht der Fall ist. Natürlich konnte man das Argument bringen, dass Schwarze es bis ins Weiße Haus schaffen können, aber das war eine Ausnahme. Es gibt weiterhin grundlegende Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt und der Rassismus ist immer noch in den Köpfen der Menschen. Obamas Präsidentschaft hat das Problem aber wieder auf die Agenda und die Risse in der Gesellschaft ans Tageslicht gebracht.
Wo genau gibt es noch Nachholbedarf?Die sozioökonomische Situation hat sich leider überhaupt nicht verbessert. Da können wir immer noch von Diskriminierung sprechen. Das Durchschnittseinkommen der Schwarzen ist viel niedriger als bei Weißen, überproportional viele leben unter der Armutsgrenze und stellen den Hauptanteil der Gefängnisinsassen. Es gibt also immer noch eine große strukturelle Ungleichheit und hohe Polizeigewalt, die letztlich mit „Black Lives Matter" zu einer Wiederbelebung der Bürgerrechtsbewegung führte.
Vor 32 Jahren wurde Jeff Sessions als amerikanischer Bundesrichter nominiert. Kings Witwe, Coretta Scott King, protestierte in einem Brief an den Senat dagegen. Sie warf Sessions vor, schwarze Wähler eingeschüchtert zu haben. Heute ist er Justizminister. Zeichnen sich unter der Regierung von Donald Trump Rückschritte ab?Ja, ganz eindeutig. Wir sehen wieder eine Legitimierung von diskriminierender Politik und Rhetorik. Viele Mitglieder der Trump-Regierung haben eine Geschichte von rassistischen Äußerungen und deswegen muss man von einer Verschlechterung der Situation sprechen. Natürlich war die ökonomische und soziale Situation der Schwarzen unter Obama nicht besser, aber auf rhetorischer Ebene hatten sie wenigstens eine Repräsentation in der Politik.
Sie haben die „Black Lives Matter" Bewegung angesprochen. Welche Bedeutung hat Martin Luther King für Bürgerrechtler heute?Er ist inzwischen, aufgrund seines Erfolges und seiner Ermordung, zu einer nationalen Ikone geworden. Er gehört zu dem amerikanischen Traum und stärkt das Bild der integrativen Gesellschaft in den Vereinigten Staaten. Gleichzeitig ist er auch ein Symbol dafür, dass ein Großteil dessen, was er gefordert hatte, noch nicht umgesetzt wurde. Deshalb kann er von der Bürgerrechtsbewegung auch heute noch als Leitfigur genutzt werden. Allerdings ist für sie sein gewaltloser Ansatz in dem heutigen aufgeheizten und antagonistischen Diskurs schwierig zu nutzen. Wenn jemand heute seine „I have a dream"-Rede halten würde, wäre die wahrscheinlich nicht hart genug, um durchzudringen.
Christian Lammert ist Professor für Nordamerikanische Politik und Leiter des John F. Kennedy Instituts der Freien Universität Berlin.