Giorgia Grimaldi

Journalistin, ehemalige Frankreich-Korrespondentin, Berlin

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Expertin erklärt, wie die berufliche Integration von Migrant:innen gelingt

Migration und Asylpolitik erhitzen derzeit die Gemüter der Deutschen. Arbeitsminister Heil will einen „Job-Turbo" für Geflüchtete zünden. Was dabei wichtig ist.


Seit den Landtagswahlen, bei denen die CDU und AfD zweit- und drittstärkste wurden, streitet Deutschland über Migration. Laut einer aktuellen Umfrage, die das Insa-Institut mit 1004 Teilnehmer:innen für die Bild-Zeitung erhoben hat, wünscht sich eine Mehrheit der befragten Bundesbürger:innen (57 Prozent) eine vorgezogene Wahl des Bundestags. Beim Thema Migration verlangen 59 Prozent einen politischen Kurswechsel. Auch bei der kürzlich veröffentlichten Langzeitstudie über die größten Zukunftsängste der Deutschen spielt Einwanderung eine Rolle. Demnach fürchten sich 56 Prozent der Menschen, dass zunehmende Migration staatliche Behörden überfordern und das Zusammenleben in der Gesellschaft beeinflussen könnte. Im Vergleich zu anderen Sorgen ist diese mit elf Prozentpunkten am deutlichsten gestiegen.


Arbeitsmarktintegration von Migrant:innen und Geflüchtete: Wie schaffen wir das?

Für Einwander:innen aus Drittstaaten, die nicht als Asylsuchende nach Deutschland kommen, hatte die Ampel bereits mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Juni neue Regelungen versprochen, die den Prozess deutlich vereinfachen sollen. Im Kommentar erklärt unsere Autorin, warum sie denkt, dass das Gesetz ein erster guter Schritt ist, aber noch lange nicht reicht.


Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will hunderttausende Geflüchtete mit Bleibeperspektive schneller in Arbeit bringen. Dazu wolle er den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Daniel Terzenbach, zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten machen, kündigte Heil am Mittwoch (19. Oktober) an. Terzenbach sagte: „Der Turbo kommt zum richtigen Zeitpunkt." BuzzFeed News Deutschland hat bei Socialbee, ein gemeinnütziges Unternehmen, das Geflüchtete und Migrant:innen in den deutschen Arbeitsmarkt integriert, nachgehakt. Wie kann berufliche Integration von Migrant:innen in Deutschland dauerhaft funktionieren?


„Wir sind darauf angewiesen, andere Menschen zu integrieren"

„Die Politik kennt die Zahlen über die zu besetzenden Stellen genauso gut wie wir", sagt Laura Zwerger von Socialbee. Dass die aktuelle Debatte um Migration trotzdem so intensiv geführt werde, erklärt sie so: „Wahlkampf". Dabei sollten wir uns ihrer Meinung nach glücklich schätzen: „Viele von ihnen sind top qualifiziert und wenn sie es nicht sind, sind sie sehr motiviert und möchten qualifiziert werden. Zu glauben, dass wir es ohne diese Menschen schaffen, ist neben dem humanitären Aspekt auch einfach wirtschaftlich ein großer Denkfehler."


Bei der Vermittlung von Arbeitskräften in Branchen denken

Neben der Vermittlung einer Fachkraft auf eine freie Stelle sei es wichtig, „in Branchen zu denken", sagt Zwerger. „In vielen Bereichen gibt es einen großen regelmäßigen Bedarf. Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die in diesen Branchen arbeiten wollen." Es sei wichtig, diese beiden Seiten zusammenzubringen. Das Unternehmen Socialbee will durch Qualifizierungsprogramme, „Bootcamps" für Branchen mit Personalmangel wie Logistik, Pflege, Einzelhandel oder IT, gleichzeitig mehrere Personen „vorqualifizieren", um sie anschließend zu vermitteln.


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Hürden für Migrant:innen, Geflüchtete und Unternehmen abbauen

Außerdem sei es wichtig, „Hürden abzubauen", erklärt Zwerger. Unternehmen würden sich oft nicht trauen, Migrant:innen einzustellen, weil sie Angst vor der Bürokratie hätten. Im Anstellungsprozess muss mit diversen Behörden kommuniziert werden, etwa bei zuständigen Stellen für die Anerkennung von Zeugnissen, mit der Ausländerbehörde für die Ausstellung eines Visums oder mit der Bundesagentur für Arbeit für eine Arbeitserlaubnis. Allein dieser Prozess sei „sehr abschreckend". Den bürokratischen Aufwand hier abzufangen, vereinfache die Integration laut Zwerger maßgeblich.

Mehr dazu: 8 Dinge, die uns beim Thema Migration wirklich helfen würden Geflüchtete und Migrant:innen bei der beruflichen Intergration langfristig begleiten

Damit sei ein erfolgreicher Integrationsprozess aber noch nicht abgeschlossen. Wenn Asylsuchende oder Migrant:innen vermittelt wurden, sei es wichtig, weiterhin in Kontakt zu bleiben, damit das Arbeitsverhältnis langfristig funktionieren könne. Socialbee betreut hierfür nicht nur Arbeitssuchende, sondern schult auch die Unternehmen, zum Beispiel im Umgang mit Rassismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz, denn „an kurzfristigen Arbeitsverträgen sind wir nicht interessiert", betont Zwerger.


Bei der Rekrutierung von Arbeitskräften in Netzwerken arbeiten

Damit die Integration ausländischer Fach- und Arbeitskräfte in Deutschland gelingen kann, sollten sich sowohl die Migrant:innen als auch die Unternehmen Unterstützung holen. Es gäbe zahlreiche Anlaufstellen, Unternehmen wie Socialbee, aber auch Vereine, die es ermöglichen, den komplizierten Weg der Bürokratie „nicht alleine zu gehen" und „Erfahrung auszutauschen".


„Als großes Recruiting-Netzwerk haben wir ganz andere Möglichkeiten, Jobangebote zu streuen, als wenn jetzt eine HR-Person anfängt, sich mit diverser Rekrutierung zu beschäftigen", sagt Zwerger. Sie empfiehlt daher auf bereits existierende spezialisierte Strukturen zurückzugreifen. Ihrer Erfahrung nach sei dies vor allem für die Unternehmen sehr wertvoll, die noch wenig Berührungspunkte mit Diversität hatten.

Willkommenkultur in Deutschland für Migrant:innen und Geflüchtete stärken

Zwerger ist fest überzeugt: „Es gibt keine Zukunft ohne Diversität und ohne divers zu rekrutieren". Daher sieht das Unternehmen auch im Bereich der Freundlichkeit und der Willkommenskultur erhebliches Verbesserungspotenzial. In seinem Positionspapier heißt es: „Wenn Deutschland Zuwanderung etablieren möchte, muss der Staat besondere Anreize setzen, dass Menschen sich auch langfristig wohlfühlen und auch mit ihrer ganzen Familie eine neue Heimat finden können."


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