Giorgia Grimaldi

Journalistin. Migrantische und internationale Perspektiven. Ehemalige..., Berlin

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Fest im Sattel

Im professionellen Radsport werden Frauen ausgegrenzt oder schlicht nicht ernst genommen – ein internationales Phänomen, das sich auch in Frankreich, der Heimat des berühmtesten Rennens der Welt, gut beobachten lässt. Doch dank weiblicher Initiativen und Aktivismus holen die Vergessenen Tritt um Tritt auf.


Von Giorgia Grimaldi, Marseille

Mit der Erfindung des modernen Fahrrads zwischen 1817 und 1860 eröffneten sich den Männern auf einmal ungeahnte Möglichkeiten der Mobilität. Für Frauen war das neuartige Gefährt dagegen schnell tabu: Hochfliegende Röcke und selbstbestimmte, unabhängige Fortbewegung vertrugen sich schlecht mit den Ansichten der patriarchalischen Gesellschaft. Erst als sich das Luxusgut für die Bourgeoisie nach ein paar Jahren zum erschwinglichen Massenprodukt entwickelte, wurde das Fahrrad auch zum Motor für Sport und Spaß und es entstanden die ersten Radrennen.


Ab wann die Frau auf dem Fahrrad, sei es im Straßenverkehr oder im Sport, zur Norm wurde, ist nicht belegt. Doch die ersten Rennen, an denen auch Frauen teilnahmen, fanden wahrscheinlich ab Ende der 1860er Jahre in Frankreich statt, wie die erste bekannte Abbildung eines Frauenradrennens in Bordeaux des deutsch-französischen Künstlers Godefroy Durand aus dem Jahr 1868 zeigt.


Verbote, Geschwüre und Masturbation

Auf der anderen Seite des Rheins dauerte es etwas länger, bis sich Frauen auf den Sattel schwingen durften, denn Radrennsport war für Frauen nicht nur gesellschaftlich geächtet, sondern wurde vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) ab 1956 verboten. Gestützt wurde dieses Verbot auf angebliche medizinische Untersuchungen, die das Fahrrad als Ursache für Geschwüre und Unfruchtbarkeit entlarvt haben wollten. Der Mediziner Martin Mendelsohn schrieb 1896 in der Ausgabe der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift” sogar: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass, wenn die betreffenden Individuen es wollen, kaum eine Gelegenheit zu vielfacher und unauffälliger Masturbation so geeignet ist, wie sie beim Radfahren sich darbietet.”

Während in der DDR schon 1954 die ersten Rennen für Frauen organisiert wurden, gab Erwin Hauck, der damalige Präsident des BDR, erst am 4. März 1967 dem wachsenden Druck der Öffentlichkeit und den immer lauter werdenden Forderungen der Frauen nach. Den endgültigen Wendepunkt für die Etablierung des internationalen Frauenradsports markierten die Olympischen Spiele von 1984, als das Straßenrennen für Frauen erstmals eine offizielle Disziplin wurde – 88 Jahre nach Einführung der gleichen Disziplin für Männer.


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