Giorgia Grimaldi

Journalistin. Migrantische und internationale Perspektiven. Ehemalige..., Berlin

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Wie es um das deutsch-französische Verhältnis steht

In letzter Minute wurde der deutsch-französische Gipfel, der Klarheit schaffen sollte, am 26. Oktober abgesagt und ohne genaues Datum auf Januar 2023 vertagt. Energiekrise, Wirtschaftspolitik und stockende Rüstungsprojekte: Es kriselt zwischen Paris und Berlin. Nationale und industrielle Interessen stehen europäischer Souveränität im Weg. Mit zeitnahen Erfolgen und einer gemeinsamen Agenda könnte der deutsch-französische Motor wieder neuen Antrieb finden.

Kaum eine andere Allianz zweier Nationen ist weltpolitisch so bedeutend, wie die zwischen Deutschland und Frankreich, die gerne als "starke Mitte" des Kontinents oder "Motor Europas" bezeichnet wird. Ob dieser Motor aktuell nur kurz abgewürgt wurde oder ein irreparabler Totalschaden mit weitreichenden Konsequenzen vorliegt, ist die Frage, die gerade auf beiden Seiten des Rheins diskutiert wird.


Zum Amtsantritt des Bundeskanzlers Olaf Scholz twitterte der französische Staatschef Emmanuel Macron im Dezember 2021: "Lieber Olaf, das nächste Kapitel werden wir zusammen schreiben. Für die Franzosen, für die Deutschen, für die Europäer." Doch von diesen anfänglichen gemeinsamen Visionen spürt man ein knappes Jahr später und zwei Monate vor dem 60-jährigen Jubiläum des Élysée-Vertrages, der die deutsch-französische Freundschaft erstmals offiziell besiegelte, wenig. Stattdessen bringen Zank und Zwietracht das Bündnis der Nachbarländer zum Bröckeln.


Deutsch-französischer Gipfel wurde verschoben

Am 26. Oktober war Bundeskanzler Olaf Scholz zu Besuch in Paris. Doch dieses Treffen fand vor dem Hintergrund ungewöhnlich starker Spannungen statt. Die Absage des deutsch-französischen Ministerrats, der am selben Tag in Frankreich stattfinden sollte, die Annullierung der Pressekonferenz von französischer Seite und die Äußerung des französischen Präsidenten eine Woche zuvor beim EU-Gipfel in Brüssel, es sei "weder für Deutschland noch für Europa gut, dass sich Deutschland isoliert", zeigen das akute Konfliktpotenzial. Vor allem bei den Themen Energie, Wirtschaft und Verteidigung kommen Paris und Berlin aktuell auf keinen gemeinsamen Nenner.


"Doppelwumms" schürt Angst in Frankreich

Alexandre Robinet-Borgomano, Forscher und Leiter des Deutschlandprogramms des Think Tanks Institut Montaigne in Paris beschreibt die aktuellen Spannungen so: "Während die Folgen des Krieges in der Ukraine die Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und Frankreich vor allem in den Bereichen Verteidigung und Energie verschärfen, schwächt die Tatsache, dass Berlin die Grundlagen seines Wirtschaftsmodells in Frage stellt, die Beziehungen Deutschlands zu seinen wichtigsten europäischen Partnern."


Damit bezieht er sich auf das deutsche 200-Milliarden-Euro-Paket gegen Gas- und Strompreise, das als "double wumms" in der französischen Presse diskutiert wird und im Nachbarland allgemein schlecht ankommt. Der Vorwurf Frankreichs: Bundeskanzler Scholz würde einen Alleingang machen und nationale Interessen anstelle europäischer Lösungen, wie den EU-Gaspreisdeckel, privilegieren.


Der französische EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton sieht im Paket zur Unterstützung der deutschen Wirtschaft eine potenzielle Bedrohung für den Binnenmarkt und kündigte eine wettbewerbsrechtliche Prüfung an. Laut Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik verfestige sich im französischen Parlament und bei Teilen der Regierung daher der Eindruck, dass die Bundesregierung von der im Koalitionsvertrag vereinbarten Verpflichtung zur "strategischen Souveränität" der EU abrückt.


Energie-Engpass und Rüstungs-Affront

"Deutschland braucht unser Gas, und wir brauchen den Strom, der im übrigen Europa und insbesondere in Deutschland produziert wird", sagte der französische Präsident Emmanuel Macron nach einer Videokonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz am 5. September 2022. Nachdem die Kernkraftwerke Frankreichs unter anderem aufgrund der langanhaltenden Hitze, Sicherheitslücken und Wartungsarbeiten nur dürftig liefern, mangelt es Frankreich an Strom, den es aus Deutschland importiert. Frankreich liefert im Gegenzug Gas nach Deutschland, das es unter anderem über Pipelines aus Spanien bezieht.


Den Mittelsmann Frankreich würden Deutschland und Spanien in Zukunft aber lieber umgehen. "Ich unterstütze, dass wir eine solche Verbindung bekommen", wirbt Bundeskanzler Scholz gemeinsam mit der spanischen Regierung im Rahmen der Deutsch-Spanischen Regierungskonsultationen am 5. Oktober für eine Erweiterung dieser Gasleitung, die Spanien an das europäische Netz anbindet und somit über Frankreich auch Deutschland beliefern könnte. Doch Emmanuel Macron scheint die lukrative Knotenpunkt-Position Frankreichs nicht aufgeben zu wollen und erteilte diesem Projekt eine Abfuhr.


Auch die gemeinsame Rüstungspolitik, die bei dem abgesagten Treffen vorangebracht werden sollte, scheint brach zu liegen. Das Partnerprojekt "Future Combat Air Systems" (FCAS), das Drohnen, Kampfflugzeuge, Satelliten sowie Kommando- und Kontrollflugzeuge umfasst, kommt nicht voran. Gleichzeitig brüskiert Berlin Paris mit seiner Entscheidung, amerikanische und israelische Konkurrenz-Technologien anzukaufen.


Alexandre Robinet-Borgomano: "Die Erneuerung des deutsch-französischen Dialogs ist eine Priorität"

Alexandre Robinet-Borgomano sieht in den ambitionierten wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und Frankreichs Angst vor schwindendem Einfluss auf Europa Gründe für die aktuelle Krise. Um ein neues Kapitel der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu schreiben, hält er es für notwendig, das neue Gleichgewicht zu akzeptieren: "Deutschland behauptet sich nun als zentrale Macht in Europa, wobei es manchmal zu schnell davon ausgeht, dass das, was gut für das Land ist, auch gut für Europa ist. Und es liegt an Frankreich, seine Glaubwürdigkeit und Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, wenn es in den Augen der Deutschen wieder ein glaubwürdiger Partner sein will." Außerdem sollten die begonnenen Projekte zum Abschluss gebracht werden, um in Zukunft wieder konstruktiv zusammenarbeiten und neue Erfolge feiern zu können. "Dazu gehört auch, dass beide Länder ihre Industrien dazu bringen, ihre Differenzen zu überwinden."


Alexandre Robinet Borgomano ist seit 2019 beim Institut Montaigne tätig. Zuvor arbeitete er im Deutschen Bundestag als parlamentarischer Referent eines deutschen Abgeordneten. Außerdem war er an der Gründung eines europäischen Investitionsfonds im Bereich Smart City beteiligt und nahm an der Initiative zur Vereinheitlichung des Wirtschaftsrechts in Europa teil.

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