Giorgia Grimaldi

Journalistin. Migrantische und internationale Perspektiven. Ehemalige..., Berlin

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Diese Frauen wollen in den Élysée-Palast

Aktuell haben vier Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, dasselbe Ziel: Nachfolgerin des französischen Präsidenten Emmanuel Macron werden. Wer sie sind und was sie den Menschen in Frankreich versprechen. Von Giorgia Grimaldi, Marseille

Das politische Klima ist angespannt, Frankreich zerrüttet - darin sind sich die meisten einig. Seit den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017 prägen Terror, Gelbwestenproteste und Covid-19 den Alltag der französischen Bürger*innen. Oft genug stand das Land monatelang Kopf. Mit jeder Krise verschärfte sich der Vorwurf gegenüber Emmanuel Macron, dass er als „Autokrat" regieren würde. Dennoch bleibt der amtierende Präsident laut aktueller Umfragewerte der Favorit: 24 Prozent der Französinnen und Franzosen würden ihm heute ihre Stimmen geben.

Die Chancen, dass eine Frau die kommenden Wahlen im April gewinnt, stehen trotzdem gut: Noch nie wollten so viele Anwärterinnen die erste Präsidentin Frankreichs werden. Doch obwohl diese Wahlen von ungewöhnlich vielen und starken Frauen geprägt wird, kann von Gleichberechtigung in der französischen Politik keine Rede sein.

Hintergrund: Direkt vom Volk gewählt

Anders als im föderalistisch strukturierten Deutschland wird das Staatsoberhaupt im zentralistischen Frankreich über zwei Wahlgänge direkt von den Bürger*innen gewählt. Die beiden Kandidaten*innen, die im ersten Turnus am 10. April 2022 die meisten Stimmen auf sich vereinen, stehen sich in der Stichwahl am 24. April gegenüber. Das aktuelle Mandat Macrons endet offiziell am 14. Mai, doch bereits einen Tag vorher wird der oder der oder die neue Staatschef*in die Nachfolge antreten.

Anne Hidalgo: „Ich bin eine Frau der Linken und will Frankreich einen"

„Politisch inexistent", „hübsche Brünette" und „Alibi-Frau" titelten die Medien, als Anne Hidalgo 2001 ihre politische Karriere begann. Heute ist sie die mächtigste Frau Frankreichs: Anne Hidalgo hat seit dem Jahr 2014 das Amt als erste Bürgermeisterin von Paris inne. Für ihre Anhänger*innenschaft ist sie eine Visionärin der nachhaltigen Stadtplanung und der Gleichberechtigung, für ihre Kritiker*innen eine links-grüne Närrin.

Für 2022 hat sie sich ein hohes Ziel gesetzt: Hidalgo will ein vereintes, versöhntes Frankreich aufbauen, und „es mit den großen ökologischen, wirtschaftlichen und demokratischen Herausforderungen des kommenden Jahrhunderts aufnehmen". Insgesamt 70 Vorschläge unterbreitet sie den französischen Bürger*innen in ihrem Programm. Neben Ökologie soll „der Kampf gegen soziale und territoriale Ungleichheiten" das Herzstück ihrer Politik sein.

So will Anne Hidalgo den Umweltschutz im Gesetz verankern, den Mindestlohn um 15 Prozent aufstocken, das Rentensystem einer Generalüberholung unterziehen und eine Solidarwirtschaft etablieren. Die Vertreterin der Sozialistischen Partei wäre im Falle eines Wahlsiegs nicht nur die erste Präsidentin des Landes, sondern auch das erste Staatsoberhaupt mit doppelter Staatsbürgerschaft, denn Anne Hidalgo wurde in Spanien geboren.

1962 verließen Hidalgos Eltern das durch die Franco-Diktatur zerrüttete Andalusien und begannen mit ihren beiden Töchtern ein neues Leben in Südfrankreich nahe Lyon. 1973 erhielt die gesamte Familie die französische Staatsbürgerschaft und aus Ana wurde Anne.

Marine Le Pen: „Aus Liebe zu Frankreich"

Seit 2017 spielt sie die Rolle der gefürchteten Antagonistin Macrons. Für Marine Le Pen, die seit 2011 an der Spitze der rechtsextremen Partei „Rassemblement Nationale" steht, soll es die Revanche für die vergangene verlorene Wahl sein. Um neuen Wind in die Partei zu bringen, die ihr Vater 1972 gründete, änderte sie den Namen von „Front Nationale" (FN) in „Rassemblement Nationale" (RN) und hat sich vorgenommen, das Image der „Männerpartei" abzuschaffen. Neben ihr gibt es aber kaum andere Frauen in wichtigen Positionen.

Vor fünf Jahren forderte sie den Euro-Ausstieg und die Neueinführung des Francs, um „die Souveränität Frankreichs gegenüber Brüssel" zu sichern. Ihr diesjähriger Kurs ist zwar etwas weniger EU-feindlich, bleibt aber zumindest EU-skeptisch. Anstatt wie die meisten ihrer Mitstreiter*innen Reformen anzukündigen, wirbt Le Pen größtenteils damit, was sie - im Vergleich zu Emmanuel Macron - nicht tun wird: Sollte sie die nächste Präsidentin Frankreich werden, werde es keinen obligatorischen Impfpass zur Bekämpfung des Corona-Virus und keine weiteren Investitionen in Windkraftanlagen geben.

Stattdessen will sie strikte Abschiebungsgesetze für kriminelle und vermeintlich illegale Einwander*innen, eine Kürzung der Sozialhilfe für Ausländer*innen und die Abschaffung des Geburtsortprinzips zur Erlangung der französischen Staatsbürgerschaft durchsetzen. Außerdem verheißt Marine Le Pen den Französinnen und Franzosen ein wirtschaftlich starkes Frankreich durch „ökonomischen Patriotismus", durch den Ware verstärkt in Frankreich produziert anstatt aus dem Ausland importiert werden soll.

Valérie Pécresse: „Ich bin eine Frau, die gewinnt und handelt"

Die Überraschungskandidatin der rechts-konservativen Partei „ Les Republicains" trat gegen vier Männer bei den parteiinternen Vorwahlen an, doch mit ihrem Sieg rechnete kaum jemand. Umso stärker ist die Botschaft, mit der sie in das Rennen um den Élysée-Palast geht: „Ich bin die Einzige, die eine Chance gegen Emmanuel Macron hat", behauptet die ehemalige Beraterin von Jacques Chirac und Ex- Ministerin für Hochschulwesen und Forschung unter Nicolas Sarkozy.

Auch sie will die jährliche Einwanderungsquoten regulieren - allerdings mit Hilfe eines Kriterienkatalogs, zum Beispiel anhand einer Abstufung nach Ländern und Berufen. Allgemein spielt der Arbeitsmarkt eine große Rolle in ihrer Kampagne: Mit Pécresse als Präsidentin soll es eine konkrete Lohnerhöhung von zehn Prozent für diejenigen geben, die weniger als 3.000 Euro pro Monat verdienen. Weiterhin sollen mehr Arbeitsplätze in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit und Bildung geschaffen werden. Bezüglich des Brennpunkt-Themas Ökologie fährt Valérie Pécresse eine andere Strategie als ihre rechte Konkurrentin Le Pen.

Sie will „die klimatische Herausforderung annehmen, aber ohne die Franzosen zu bestrafen". Die Stromerzeugung soll durch den Bau von sechs neuen Kernkraftwerken und Investitionen in erneuerbare Energien um 60 Prozent gesteigert werden, unter einer Bedingung: Der Ausbau von Windkraftanlagen soll von der „Zustimmung der Bevölkerung" abhängig gemacht werden. Außerdem will sie zur Terrorismusbekämpfung die umstrittene Gesichtserkennung in öffentlichen Verkehrsmitteln einführen.

Christiane Taubira: „Die Linke muss Hoffnung auf Einheit und Sammlung schaffen"

Sie gilt als Ikone der Linken, belesene Poetin und Gallionsfigur im Kampf gegen Rassismus. Auch für Christiane Taubira, die in Cayenne, der Hauptstadt des französischen Überseegebiets Guyana (Südamerika) geboren wurde, ist es nicht die erste Präsidentschaftswahl. Im Jahr 2002 trat sie als Linksradikale und erste Schwarze Frau zur Wahl an, konnte aber mit nur zwei Prozent der Stimmen nicht überzeugen.

Politisch war sie dennoch erfolgreich: Sie wurde Namensgeberin für das am 21. Mai 2001 verabschiedete Gesetz, das Sklaverei und Sklav*innenhandel (besonders in Bezug auf die Kolonialgeschichte Frankreichs) erstmals im rechtlichen Sinne als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstuft. Im Jahr 2013 brachte sie als Justizministerin unter François Hollande ein weiteres wichtiges Gesetz durch: Die Ehe für alle. Im Vergleich zu Anne Hidalgo will Christiane Taubira nicht nur Frankreich einen, sondern die gesamte linke Fraktion, um die Chancen auf einen Sieg zu erhöhen.

Als Präsidentin will Taubira einen Schwerpunkt auf Bildungsreformen und Umwelt legen. Dabei sollen nicht nur die Löhne für Arbeitende angehoben werden. Christiane Taubira will auch ein Studierendeneinkommen in Höhe von 800 Euro pro Monat und eine Null-Prozent-Mehrwertsteuer für Produkte aus ökologischem Anbau einführen. Außerdem verspricht sie, mehr Bürger*innenkonvente einzuführen, um den Menschen mehr Mitsprachrecht einzuräumen. Am 2. März hat sie ihre Kandidatur zurückgezogen, weil sie das Kriterium der 500 Unterschriften, die es von französischen Bürgermeister*innen braucht, nicht erreicht hat.

Keine Parität, dafür Sexismus in der Politik

Laut Stimmungsbarometer haben aktuell die beiden rechten Kandidatinnen die besten Chancen, Präsidentin zu werden: 17 Prozent der Befragten würden für Le Pen, 13 Prozent für Pécresse stimmen. Schon bevor die Anwärterinnen ihre Kandidatur ankündigten, wurde laut einer Umfrage des Radionetzwerkes RTL vom Dezember 2019 der Ruf nach einer Frau als Staatsoberhaupt scheinbar lauter. Demnach hielten 71 Prozent der Französinnen und Franzosen es für „wünschenswert", dass bis 2030 eine Frau zur Präsidentin gewählt wird. Etwa 57 Prozent hielten dieses Ergebnis für „wahrscheinlich".

Doch das Bild des politischen Umbruchs trügt. Emmanuel Macron versprach zu Beginn seiner Amtszeit, Parität zu einer Priorität zu machen. Gehalten hat er sein Versprechen jedoch nicht. Von 57 Mitgliedern seines Kabinetts sind 20 Frauen, die vor allem in den Bereichen Soziales, Gesundheit und Familie arbeiten, während die Ministerien für Wirtschaft und Finanzen überwiegend männlich besetzt sind.

Marylie Breuil, Mitglied des feministischen Kollektivs #NousToutes, zu Deutsch „Wir alle", sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: „Die Anwesenheit dieser drei* Frauen darf nicht vergessen lassen, dass der politische Sektor, wie andere auch, weit davon entfernt ist, paritätisch besetzt zu sein." Und auch über die Schwierigkeiten, mit denen viele politisch aktive Frauen konfrontiert sind, kann diese Entwicklung nicht hinwegtäuschen.

Vor allem in der Nationalversammlung sind Unterbrechungen bei Wortmeldungen, paternalistische Haltungen, sexistische Bemerkungen oder männliche Kollegen, die sich weigern, weibliche Berufsbezeichnungen wie zum Beispiel „Madame la Ministre" anstelle des veralteten Maskulinums „Madame le Ministre" zu nutzen, Teil ihres Alltags.

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