Giorgia Grimaldi

Journalistin. Migrantische und internationale Perspektiven. Ehemalige..., Berlin

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Artikel

Jean-Bernard Lévy – Frankreichs Energiechef vor einer Herkulesaufgabe

Die meisten werden es beim Blick auf die letzte Monatsrechnung bemerkt haben: Strom und Gas sind so teuer wie noch nie. Politische Spannungen mit Russland machen die europäische Gasversorgung unberechenbar, die Preise für fossile Brennstoffe schießen in die Höhe und die anhaltende Pandemie macht noch alles noch komplizierter. Dagegenhalten muss Jean-Bernard Lévy, Geschäftsführer von Electricité de France (EDF), eines der größten Energieversorgungsunternehmen der Welt. Als „Kapitän der französischen Wirtschaft“, wird Jean-Bernard Lévy von den Medien oft bezeichnet. Und scheinbar ruft man ihn immer dann zur Hilfe, wenn das Schiff in Schieflage gerät.
Ab 2002 holte man ihn bei Firmen wie Vivendi und Thales an Bord, um die Finanzen wieder ins Lot bringen, und so war es wohl auch im Jahr 2014, als der damalige Präsident François Hollande Lévy für den Posten des Geschäftsführers von EDF - eine privatrechtliche Aktiengesellschaft, die zu 85 Prozent dem französischen Staat gehört - nominierte. Konfrontiert mit einem ernüchternden Schuldenberg von 42 Milliarden Euro griff der neue Leiter des Energiekonzerns mit strengen ersten Amtshandlungen durch: Kosten minimieren, Gehälter einfrieren und Tarife erhöhen. Damit nicht genug, um den Stromproduzenten aus wirtschaftlichen Turbulenzen zu steuern, hat Lévy eine großangelegte Vision mitgebracht: Frankreich soll der Weltmeister der CO2-Neutralität werden. Erreichen will er das nicht nur durch erneuerbare Energien, sondern auch mit Investitionen in Atomkraft. Diese Strategie kam bei Emmanuel Macron gut an, der ihn 2018 für ein zweites Mandat erneut an die Spitze des Energie-Riesens beorderte.
Sein Ziel: „Frankreichs Strombedarf garantieren und EDF zu einem großen
Akteur der Energiewende machen“ Doch Instandhaltung und Ausbau von Kernkraft, die über 75 Prozent des französischen Stroms generiert, ist teuer. Um diese Kosten zu stemmen und EDF für die Energiewende aufzurüsten, arbeitet Jean-Bernard Lévy aktuell an der Umsetzung des Projekts „Hercules“. Es sieht Verhandlungen mit Brüssel vor, durch die die Tarife für Konkurrenten, an die EDF
Strom verkauft, angehoben werden sollen. Außerdem strebt Lévy eine Neuorganisation des Unternehmens an. Die nuklearen Aktivitäten sollen verstaatlicht, Teile des Stromnetzes und der Produktion erneuerbarer Energien für den Privatsektor geöffnet werden. Gegner fürchten, dass dadurch die Einnahmen der profitablen erneuerbaren Energien privatisiert, während die Last der Investitionen in die Kernenergie auf die Bürger abgewälzt werden würden.
Ob Hercules erfolgreich umgesetzt wird oder Lévy die Energieversorgung Frankreichs anderweitig umstrukturiert, hängt von diversen Faktoren ab, nicht zuletzt von den Präsidentschaftswahlen. Dass es aber eine Veränderung geben muss, davon ist der EDF-Chef überzeugt: „Die Gesundheitskrise zeigt es, die Gas-Krise zeigt es: Wir befinden uns in einer Abhängigkeit. In ruhigen Zeiten wirkt der Markt stabil, aber sobald es ein Problem gibt, müssen wir uns eingestehen, dass es nicht funktioniert.“