Giorgia Grimaldi

Journalistin. Migrantische und internationale Perspektiven. Ehemalige..., Berlin

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Artikel

Deutschland und Frankreich: Ein Bündnis auf dem Prüfstand

Der Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags heißt Deutsch-Französischer Tag. Bisher präsentierten sich die Nachbarn stets als ziemlich beste Freunde. Das könnte sich bald ändern.


Macron und Merkel, das war für viele die Inkarnation des hochachtungsvollen, fast schon zärtlichen Umgangs der EU-Mächte Deutschland und Frankreich. Doch die neue deutsche Regierung, Frankreichs EU-Ratsvorsitz und die französischen Präsidentschaftswahlen im April könnten der Beginn einer neuen Ära sein. Ist bald Schluss mit dem deutsch-französischen Kuschelkurs?


Kaum eine andere Allianz zweier Nationen ist weltpolitisch so bedeutend, wie die zwischen Deutschland und Frankreich. Zwei Länder, die von Kriegstradition zu Konsens und von „Erbfeindschaft“ zu Freundschaft übergegangen sind, bilden heute die starke Mitte Europas. Die unvergessenen Urväter der deutsch-französischen Beziehungen: Konrad Adenauer und Charles de Gaulles. Die Rede de Gaulles, die er 1962 im Ehrenhof des Residenzschlosses in Ludwigsburg hielt, ging als „Rede an die deutsche Jugend“ in die Geschichte ein und bildet bis heute das Fundament für 60 Jahre beispiellose Völkerfreundschaft.


“Der höchste Trumpf für die freie Welt bleibt die gegenseitige Achtung, das Vertrauen und die Freundschaft zwischen dem französischen und dem deutschen Volk.” – Charles de Gaulles

Am 22. Januar 1963 wird das politische deutsch-französische Bündnis erstmals offiziell besiegelt: Die beiden Staatsmänner unterzeichnen im Pariser Élysée-Palast den Freundschaftsvertrag. Ein bindendes Dokument, das sich noch heute wie eine Gebrauchsanweisung zur gegenseitigen Achtung und Konsultation in allen wichtigen Fragen der bilateralen Politik liest. Einen vergleichbaren Pakt zwischen zwei Ländern hat es so noch nicht gegeben.


Der Vertrag von Aachen erntet Kritik

Vierzig Jahre später, am 22. Januar 2003, rufen Gerhard Schröder und Jacques Chirac den ersten Deutsch-Französischen Tag ins Leben. Am 22. Januar 2019 setzen Angela Merkel und Emmanuel Macron mit dem Vertrag von Aachen ein weiteres Zeichen und bestärken die enge Zusammenarbeit beider Länder. An dieser Ergänzung zum Élysée-Vertrag gab es reichlich Kritik. Anton Hofreiter, damaliger Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion, nannte  die Pläne für eine gemeinsame Wirtschafts-, Verteidigungs- und Europapolitik eine „Zusammenarbeit auf Sparflamme“. Václav Klaus, ehemaliger Präsident Tschechiens, sprach von „Frankodeutschland“, das Europa kontrollieren wolle.

Und heute? Um den 22. Januar dieses Jahres weht ein Mischwind zwischen Paris und Berlin, der auch Skepsis, Unsicherheit und Zurückhaltung enthält.

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Der Spagat zwischen Koalitionsvertrag und Europapolitik

Es hat schon seit Gerhard Schröder Tradition: Die erste Auslandsreise eines neugewählten deutschen Staatsoberhauptes geht nach Paris. Emmanuel Macron begrüßte den aktuellen deutschen Kanzler Olaf Scholz im Dezember 2021 mit den Worten „Lieber Olaf“ und schrieb zuvor auf Twitter: „Das nächste Kapitel werden wir zusammen schreiben. Für die Franzosen, für die Deutschen, für die Europäer“. Wie dieses Kapitel ausgeht, steht allerdings aus mehreren Gründen noch offen. 


Der französische EU-Ratsvorsitz verfolgt nationale Ziele

„Jedes der drei folgenden Schlüsselthemen der französischen Ratspräsidentschaft – der Ausbau der Nuklearenergie, die Lockerung der Fiskalregeln und der Ausbau der europäischen Verteidigungspolitik – bringt große Schwierigkeiten für mindestens einen der Koalitionäre“, sagt Jacob Ross, Research Fellow im Frankreich-Programm der Deutschen Gesellschaft für Ausländische Politik (DGAP). 


Den Grünen ist der Taxonomie-Streit, also die Frage, ob Atomkraft und Erdgas als nachhaltige Energien einzustufen sind, ein Dorn im Auge. Doch auf eine eindeutige Haltung konnte man sich in Berlin noch nicht einigen. 


Der Wunsch nach einer Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, den sowohl Emmanuel Macron als auch der italienische Premierminister Mario Draghi in einem Artikel der Financial Times zum Ausdruck brachten, überrumpelte den Finanzminister Christian Lindner (FDP). Während die deutsche Regierung noch überlegt ob sie mitzieht, machen Paris und Rom schon eifrig Pläne für die europäische Wirtschaft: Man will “umfangreiche Investitionen in Forschung, Infrastruktur, Digitalisierung und Verteidigung.” Doch in puncto Sicherheitspolitik hat sich die SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht eher Abrüstungsinitiativen statt Aufrüstungsprojekte vorgestellt.


Die französische Präsidentschaftswahlen schaffen Unsicherheit

All diese Differenzen sind zwar eine Herausforderung, aber keine unüberbrückbaren, denn Deutschland und Frankreich fahren gesamtpolitisch betrachtet immer noch den gleichen Kurs: pro-Europa. Je nachdem wer die französischen Präsidentschaftswahlen im kommenden April gewinnt, könnte sich das aber ändern. Noch hat sich Emmanuel Macron nicht offiziell zur Wiederwahl bereit erklärt – dass dies aber bald passieren wird, daran zweifelt niemand. Und obwohl es viel Kritik am „Autokraten“ Macron gibt, ist er laut den aktuellen Umfragewerten der Favorit der Französinnen und Franzosen. Knapp 25 Prozent wollen ihm ihre Stimme geben. 


Konkurrenz aus dem rechten Lager

Die Konkurrentïnnen Macrons, die eine realistische Chance auf das Amt des Staatsoberhauptes haben, decken aktuell alle das rechte bis rechtsextreme Spektrum ab: Marine Le Pen mit 17 Prozent Zustimmung, Valérie Pécresse mit 16,5 Prozent und Eric Zemmour mit 11,5 Prozent. Und alle diese Kandidatïnnen stehen der EU skeptisch bis feindlich gegenüber.


Für die deutsch-französischen Beziehungen der Zukunft gibt es also mehrere Szenarien. Noch dazu sind diese schwammig. Vor allem letzteres sollte sich  auf jeden Fall ändern, findet Ross: „Viel schlimmer als Streit um Energie- und Klimapolitik, die Zukunft des europäischen Wirtschaftsmodells oder um Rüstungs- und Verteidigungspolitik wäre ein „weiter so“ der trüben, grauen Positionen: Irgendwo in der Mitte, immer darauf bedacht, niemandem auf die Füße zu treten. […] Ironischerweise könnte der Schlüssel für echten europäischen Fortschritt in der Schärfung deutscher Interessen liegen.“

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