Georg Watzlawek

Journalist. Unternehmer. Global und lokal, BGL

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Der Herr der kleinen Dinge

Mit günstigen Preisen und ständiger Innovation hat "Beeline"-Geschäftsführer Ulrich Beckmann der Schmuckbranche breite Käuferschichten erschlossen und ein neues Geschäftsmodell eröffnet. Damit ist sein Unternehmen viele Jahre rasant gewachsen. Jetzt befindet es sich mitten im Umbruch des gesamten Retailsektors.

Im ersten Moment fühlt man sich an den Hauptsitz von Google erinnert. In der lichten Halle sitzen Mitarbeiter in Besprechungsboxen oder sie arbeiten mit Laptops an den Tischen des offenen Cafés, das intern „die Wiese" ge­nannt wird und heute „real coconutwater" ausschenkt. Doch dann berichtet Beeline-Geschäftsführer Ulrich Beckmann, dass er schon vor 17 Jahren die Ruine einer Deutz-Halle gekauft und zur Zentrale seines Unternehmens Beeline umgebaut hatte - lange bevor die Google-Zentrale in Mountain View Gestalt annahm.

Das Gebäude in Köln-Mülheim spiegelt auf zwei offenen, langgestreckten Etagen die Philosophie des Unternehmers wider. „Ich wollte die Schmuckbranche demokratisieren, mit schönen Produkten zu günstigen Preisen. Und ich wollte flache Hierarchien mit viel Transparenz", sagt Beckmann. Beides hat der 56-Jährige erreicht. Nebenbei hat er den Handel mit Modeschmuck revolutioniert.

Erfolgreich auch in den USA

Beckmann ist Mathematiker und Physiker. Im Studium jobbte er als Model. Das könnte er, lässig gekleidet in einem schmalen dunkelblauen Hemd, mit Jeans und Sneakers, wahrscheinlich auch heute noch machen. Statt­dessen baute er ein Unternehmen auf, das zeitweise mehr als rasant wuchs, rund 4.600 Mitarbeiter beschäftigt und mit Ohrringen, Armbändern und Accessoires 650 Millionen Euro Umsatz erzielt.

Angefangen hatte Beckmann 1990 als Großhändler für Modeschmuck. Doch rasch sah er die Schwächen des Geschäftsmodells - und erfand das „Concessions-Modell": Beeline entwirft den Schmuck, lässt ihn in Asien fertigen und bietet ihn auf den Flächen der Filialisten an. Der erste große Partner war Kaufhof, inzwischen gehören auch Food- und Drogerieketten wie Carrefour und Douglas dazu.

„Textiler haben oft Probleme damit, die Kollektionserstellung von Modeschmuck über Kategorien hinweg zu leisten. Wir sind genau darauf fokussiert, kennen das Produkt und die Kunden bestens", erläutert Beckmann. Also bleibt die Ware im Eigentum von Beeline, eigene Mitarbeiter sorgen für die Präsentation und Pflege des Sortiments auf der Fläche. Im Zweifelsfall täglich.

„Das ist mein Produkt, mein Risiko. Der Retailer ist ganz raus, stellt nur die Fläche und rechnet ab", erläutert Beckmann das Prinzip. Dieses Konzessionierungssystem wird inzwischen auch von anderen Unternehmen und Branchen genutzt. Anfang der 90er Jahre war Beeline damit alleine unterwegs und musste viel Erklärarbeit leisten, Vertrauen aufbauen. Dieser Punkt war 1997 erreicht; fortan wuchs das Unternehmen rasant.

Bis 2000 hatte Beckmann den deutschen Markt besetzt und die Marke „SIX" entwickelt. In den nächsten zehn Jahren expandierte Beeline in nahezu jedes Land Europas, mit „I AM" kam eine zweite Marke hinzu. Mit diesen beiden Marken baute Beckmann eigene Retailstores auf.Ab 2010 stand die Globalisierung auf der Agenda. Das funktionierte in China nicht so gut, dafür in den USA umso besser. In Amerika ist Beeline bereits auf 4.000 Flächen aktiv. Weltweit sind es 18.000 Flächen, Deutschland ist mit 5.000 weiterhin der größte Markt.

Von 1997 bis 2010 wuchs der Umsatz jedes Jahr um 25 Prozent und mehr, durch Zuwächse auf bestehenden Flächen und durch die ständige Erweiterung des Netzes. Seit 2011 sieht das anders aus: Die zunehmende Konkurrenz, vor allem durch den Online-Handel, stoppte das Umsatzwachstum je Quadratmeter Verkaufsfläche.

Wachstum ist seither nur noch durch Expansion möglich. Auch früher hatte Beckmann „stabiles langsames Wachstum" propagiert, doch heute versteht er darunter fünf bis zehn Prozent pro Jahr und nicht mehr 25.

Selbst dafür muss Beeline noch schneller werden. 35.000 Produktvarianten bringt es bereits jetzt pro Jahr auf den Markt, jede Marke erhält jedes Quartal ein neues Erscheinungsbild. Jetzt aber, so Beckmann, geht das Geschäft, getrieben vom Internet und dem Käuferwunsch, in Richtung Monatsrhythmus: „Dieses Tempo mussten wir auch erst lernen und gleichzeitig mit steigenden Kosten und sinkenden Margen umgehen." Da sich die gesamte Handels­branche rasend schnell verändere, müsse sich auch Beeline immer wieder neu orientieren.

Dazu gehört die neue Marke „TOSH", die mit Preisen von zehn bis 39 Euro das Segment der Massenware verlässt und in eigenen Filialen sowie bei Douglas angeboten wird. Die Produkte der anderen Linien kosten im Schnitt weniger als zehn Euro, hier orientiert sich Beckmann nach wie vor an der Handelskette H&M: „Wir wollen der günstigste Anbieter sein, aber auch die größte Kom­petenz in unserer Nische darstellen."

Das Thema E-Commerce werde die Modebranche verändern, auch Beeline will noch stärker in den Online-Handel. Und zwar nach dem Concessions-Prinzip zusammen mit den Partnern aus der realen Welt.

Obwohl Beeline nur noch „langsam" wächst, ist es im Gebäude eng geworden. Beim Einzug waren 40 Mitarbeiter dabei, heute sind es 450. Und das, obwohl die Logistik bereits in ein eigenes, hochautomatisiertes Zentrum nach Kalk gezogen ist. In Mülheim denkt Beckmann daher an den Kauf einer weiteren alten Industriehalle und eine Verdopplung der Büroflächen.

Auch darüber hinaus hat Beckmann, der aus Warendorf stammt und sich selbst als ruhigen Westfalen sieht, Interesse an einer Weiterentwicklung des Kölner Stadtteils. Vielleicht auch als Investor: „Das sind tolle historische Gebäude an einem guten Standort - da ist noch eine Menge zu tun."

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