- Ein Kommentar vom 10.11.2011 -
Die Schuldenkrise setzt Europas Politiker auf den Schleudersitz: Übergangsregierung, Kabinett der nationalen Einheit – das sind unheilvolle Vokabeln. Meldungen über ein Ende der Demokratie sind dennoch verfrüht.
Düsseldorf. Fünf Regierungen hat die Eurokrise bislang abserviert. Griechenland und Italien sind die bislang letzten Stationen einer Tournee, die bereits durch Irland, Portugal und die Slowakei zog. Immer wieder überfordert die Aufgabe, im Staatshaushalt für Ordnung zu sorgen und in Brüssel beschlossene Rettungsprogramme umzusetzen, die Regierungschefs. Einige, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, können sich mit intensivem Fraktionszwang retten, andere fallen.
Die Kritik, hier erhöben sich die Märkte über die Politik, wird lauter. Und tatsächlich: es sind die Finanzmärkte und die Ratingagenturen, die von den Politikern echte Lösungen einfordern. Sie geben sich nicht mit den Scheinantworten zufrieden, die so regelmäßig zwischen Berlin und Paris und auf immer neuen Euro-Gipfeln in Brüssel ausgebrütet werden.
Aber damit erweisen sich die Marktakteure nicht als Leichenträger der Demokratie, sondern im Gegenteil als ihre Stützen. Denn sie haben das Glück, jeden Tag abstimmen zu dürfen - und nicht wie die Wähler nur alle vier Jahre.
Die Ergebnisse des Euro-GipfelsUnd sie verhelfen indirekt den Bürgern zu ihrem Recht. Denn wenn die Märkte einen Rettungsversuch der überforderten Regierungen nach dem anderen vom Tisch wischen, wie jetzt in Griechenland und Italien, dann kommen doch die Wähler ins Spiel. Das ist in einer Demokratie ein normaler Vorgang, solange das normale demokratische Prozedere eingehalten wird.
Bricht eine Regierung auseinander, muss eine neue gewählt werden. Das ist in Irland und Portugal geschehen. In der Slowakei, in Griechenland und in Italien jedoch (noch) nicht. Gerade in den beiden hochverschuldeten Südländern kommen nun vorerst Technokraten an die Spitze: der Notenbanker Lucas Papademos in Athen, der frühere europäische Spitzenbeamte Mario Monti womöglich in Rom.
Dafür haben sie zwar eine Mehrheit in den Parlamenten, aber kein direktes Mandat der Bevölkerung. Doch das ist in einer repräsentativen Demokratie nicht unbedingt notwendig - solange die Regierung nicht auf Dauer gegen den erklärten Willen des Volkes regiert. Vokabeln wie „Regierung der nationalen Einheit" sind Warnsignale - weil sie in der Regel genau auf das Gegenteil hindeuten. In Ländern wie Griechenland gibt es zwar eine gewisse Einsicht in die Notwendigkeit des Sparens, aber alles andere als einen Konsens. Deshalb dürfen die Expertenregierungen nur eine Notlösung für einen klar begrenzten Zeitraum sein.
Welche Euro-Regierungen ums Überleben kämpfenMario Montis Regierung aus 17 parteilosen Fachleuten soll nach dem Rücktritt Berlusconis im November 2011 verhindern, dass Italien noch tiefer in die Schuldenkrise abrutscht. Das Land trägt eine Schuldenlast von rund 1,9 Billionen Euro. Italien hat mit einer Gesamtverschuldung von rund 120 Prozent der Wirtschaftsleistung nach Griechenland den höchsten Schuldenberg in der Eurozone. Monti versicherte, dass er die beschlossenen Spar- und Reformmaßnahmen umsetzen wolle. Doch der Druck seitens der EU ist groß. Rom hat erst vergangene Woche seine Wachstumsprognose gesenkt. Demnach wird die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone in diesem Jahr mit 1,2 Prozent dreimal so stark schrumpfen wie bislang angenommen.
Griechenland wird seit zwei Jahren mit milliardenschweren Hilfspakten gerettet. Im Gegenzug für die Unterstützung durch Europa und den Internationalen Währungsfonds (IWF) muss Athen einen massiven Sparkurs fahren. Die Regierung unter Leitung von Lucas Papademos sollte nach dem Rücktritt von Giorgos Papandreou im November 2011 das Vertrauen der Märkte zurückerobern. Sie sollte die maßgeblichen politischen Kräfte in Griechenland bündeln und die Vorgaben der Kreditgeber umsetzen. Funktioniert hat das nur in Maßen. Jetzt hat Papademos für den 6. Mai 2012 Neuwahlen angekündigt. Das Land müsse neue Stabilisierungs- und Reformmaßnahmen ergreifen, so der Präsident. Griechenlands Finanzlage hat sich im vergangenen Jahr zwar etwas gebessert, zeigt aber weiter tiefrote Zahlen. Der Fehlbetrag im Staatshaushalt belief sich 2011 auf 9,1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) - das war etwas weniger als die 10,3 Prozent in 2010.
Der neue konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy hat sein Volk nach den vorgezogenen Neuwahlen im November 2011 auf harte Zeiten eingestimmt. Das krisengeschüttelte Spanien ist im vergangenen Jahr auf den dritten Platz der größten Haushaltssünder im Euro-Raum aufgerückt, wie die Statistikbehörde Eurostat berichtete. Das Haushaltsdefizit sank zwar auf 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nach 9,3 Prozent im Vorjahr, war aber deutlich größer als angestrebt. Schlimm sieht es für Spaniens Konjunktur aus, die Wirtschaft stürzte zu Jahresbeginn in die Rezession. Das Sparen wird für die Regierung deshalb noch schwerer. Dennoch will sie das Defizit in diesem Jahr auf 5,3 Prozent drücken. Spanien überholte sogar das Nachbarland Portugal, das Geld aus dem Euro-Krisenfonds erhält und strikt sparen muss.
Auch hier brachte die Schuldenkrise einen Regierungswechsel. Die sozialistische Regierung von José Sócrates wurde angesichts der schweren Wirtschaftskrise im Juni 2011 abgewählt. Aber auch die neue liberal-konservative Regierung unter Ministerpräsident Pedro Passos Coelho steht mächtig unter Druck. Das Land ist weiterhin ein Sorgenkind der Eurozone.
In der schweren Wirtschaftskrise setzten die Iren auf eine neue Regierung. Bei der Parlamentswahl im Februar 2011 straften sie die wirtschaftsliberale Regierungspartei Fianna Fail von Premierminister Brian Cowen ab. Neuer Premierminister wurde Enda Kenny. In der neuen Regierung koaliert die konservative Fine Gael mit der linken Labour-Partei. Die Regierung will das Staatsdefizit von zwölf Prozent der Wirtschaftsleistung bis 2015 auf unter drei Prozent senken. Dazu sollen unter anderem Staatsbeteiligungen im Wert von zwei Milliarden Euro verkauft werden und im öffentlichen Dienst 25.000 Stellen wegfallen. Irland wurde von der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) mit einem 85 Milliarden Euro schweren Rettungspaket vor der Pleite bewahrt und muss im Gegenzug eisern sparen.
Die niederländische Regierung ist im April 2012 zurückgetreten. Am 12. September sollen vorgezogene Neuwahlen stattfinden. Die bisherige Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte zerbrach an Verhandlungen über Sparmaßnahmen in Höhe von 14 Milliarden Euro. Die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders kündigte aufgrund der Verhandlungen den Regierungsvertrag auf. Ruttes Koaliton hat ohne Wilders' Partei keine Mehrheit im Parlament.
Mit dem Sparkurs wollen die Niederlande die Neuverschuldung auf das von der EU vorgeschriebene Niveau von drei Prozent drücken. Die Agentur Moody's behielt vorerst das AAA-Rating des Landes bei, warnt aber vor einer Herabstufung, wenn die Sparziele nicht weiter verfolgt werden.
Wer tatsächlich die politische Kultur eines Landes erneuern will, sollte sich dafür das Mandat seines Volkes einholen. Aus demokratischen Gründen, aber auch aus pragmatischen. Der gescheiterte griechische Premier Giorgos Papandreou hatte mit seiner Idee eines Referendums daher durchaus das richtige Mittel gewählt. Das wäre Demokratie in Reinform gewesen.
An die Grenzen der Demokratie gingen dagegen Bundeskanzlerin Merkel und ihr politischer Zwilling, Nicolas Sarkozy, als sie die Rücknahme der Volksbefragung erzwangen, allein mit der Begründung, die Eurozone sei ein höheres Gut, das gerettet werden müsse. Das Referendum konnten sie verhindern - aber zu Wahlen wird es in Griechenland nun dennoch kommen.
Das zeigt: Europas Demokratie lebt - und verfügt über eine gehörige Portion von Selbstheilungsmitteln.
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