- Eine Analyse vom 15.5.2003 -
Mit den Anschlägen in Riad kehrt der islamistische Terror zu seinen Wurzeln zurück; in Saudi-Arabien - und nicht im Irak - könnte die Entscheidungsschlacht um die Modernisierung des Mittleren Ostens stattfinden.
Die Allianz des feudalistischen Königshauses mit den USA hatte den Zorn der Islamisten genährt und eine Eskalationsspirale ausgelöst. Mit dem ersten Golfkrieg kamen US-Truppen ins Land, westliche Fachkräfte brachten ihre Kultur in das geschlossene Reich. Um die Bevölkerung zu beruhigen, die vom Ölreichtum kaum profitiert, gestand das Königshaus dem islamisch-wahhabitischen Klerus weitgehende Rechte zu.
Das Ergebnis: Der Terrorexport radikalisierter Saudis, die die Anschläge vom 11. September durchführten und auch in Tschetschenien ihre Hand im Spiel haben sollen. Jetzt schlugen diese Terroristen wieder vor der eigenen Haustür zu, wo sie ihre drei Hauptziele gleichzeitig trafen: das saudische Regime, Amerika und die westliche Kultur der Freiheit.
Die herrschenden Prinzen sind sich der Gefahr bewusst. Von sinkenden Ölpreisen auch wirtschaftlich bedroht, propagieren sie seit einigen Monaten einen Hauch von Reform, um Macht und Reichtum zu retten. Die US-Regierung kommt ihnen dabei entgegen: Der angekündigte Abzug der Soldaten ist kein Beleg für Entfremdung, sondern ein Zugeständnis.
Dadurch soll den Islamisten ein Hauptargument genommen und Riad Spielraum für Reformen gegeben werden. Zwar würden Washingtons neokonservative Hardliner die Scheichs am liebsten in die Wüste schicken, doch dazu ist der Partner Riad zu wichtig: Er verfügt nicht nur über ein Viertel der gesamten Weltölreserven, sondern arbeitet im Anti-Terrorkampf eifrig mit und war insgeheim auch am Irak-Krieg beteiligt.
Dass Bagdad Riad ablösen könnte, ist ein Hirngespinst. Der vorsichtige Modernisierungskurs der Feudalherren reicht aber nicht aus, das Land auf Kurs zu bringen. Vor echten Ansätzen der Demokratie, der Befreiung der Frauen, sozialer Reform und wirtschaftlicher Modernisierung, die jungen Saudis eine Perspektive gibt, schreckt die Riege der fast 80-jährigen Prinzen zurück.
Sie gleichen Michail Gorbatschow, der nur ein wenig Umbau zur Sicherung des Sowjet-Systems wagen wollte, aber von der Dynamik der Perestroika hinweggefegt wurde. Genau dieses Szenario droht jetzt auch Saudi-Arabien - was ein wenig Hoffnung und große Gefahren birgt.
Der Widerstand des Klerus und der mögliche Aufstand der Bevölkerung gegen eine als Verwestlichung empfundene Öffnung könnten zum Putsch führen. Und selbst wenn es zu einer Demokratisierung käme, können Wahlen die Islamisten stärken und das Land auch so in einen Gottesstaat nach iranischem Muster verwandeln.
Dennoch gibt es keine andere Lösung als eine Beteiligung des Volkes an Politik und Wohlstand. Landeskenner sind sich sicher, dass eine Mehrheit der Araber für Demokratie und westliche Werte durchaus empfänglich und die Islamisierung kein Schicksal ist.
Ein solcher Weg benötigt und verdient volle Unterstützung; in Saudi-Arabien, aber auch in Ägypten, Jordanien oder Algerien. Die Europäer könnten hier beweisen, dass sie doch ein Konzept für den langfristigen Kampf gegen den Terror haben; die USA aber müssen belegen, dass sie in der Region nicht nur auf Gewalt setzen, sondern auch auf Hilfe, Kooperation und Freihandel.
Zum Original