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"Diese Dämonen verfolgen mich immer, aber ich muss sie anschauen" | NZZ

Die Karriere von Vilde Frang begann mit einem Konzert unter der Leitung von Mariss Jansons - da war sie zwölf. Inzwischen gehört die norwegische Geigerin zu den ausdrucksstärksten und zugleich reflektiertesten Künstlerinnen unserer Zeit. Im Sommer gastiert sie in Luzern und Gstaad.

Sie steht nicht gern im Mittelpunkt. Die Bühne ist für Vilde Frang kein Laufsteg, sondern ein Ort der Versenkung - oder der intensiven Kommunikation. Am angenehmsten ist es der jungen Norwegerin, wenn sie zusammen mit Freunden musizieren kann wie bei Beethovens Tripelkonzert, das sie am Abend unseres Gesprächs in der Maison de la Radio in Paris gemeinsam mit Sol Gabetta und Bertrand Chamayou interpretiert.

Der französische Pianist Chamayou leitet vom Klavier aus das Orchestre Philharmonique de Radio France. Vilde Frang ist ständig in Kontakt mit ihren beiden Kollegen: Die drei kennen sich seit über zehn Jahren - ihre Vertrautheit spürt man in jedem Moment. Und so klingen die gemeinsamen Läufe im rasend schnell genommenen Finale so deckungsgleich, als spielte nur ein Instrument. Frangs heller, flexibler Ton mischt sich perfekt mit Gabettas Celloklang. Ein Rädchen greift ins andere, und beim enthusiastischen Schlussapplaus legen sich die Freunde die Arme über die Schultern wie italienische Fussballspieler bei der Nationalhymne und lassen sich feiern.

Kommunikation

Auf dem anschliessenden Empfang des Gstaader Menuhin-Festivals, wo Frang am 25. August mit dem 1. Violinkonzert von Max Bruch zu hören ist, das sie am 7. September zusammen mit dem Rotterdam Philharmonic Orchester unter Lahav Shani auch am Lucerne Festival spielen wird, steht die Geigerin längere Zeit allein in einer Ecke und hört geduldig den Reden zu. Das Glas Sekt nimmt sie mit zum auf Englisch geführten Interview, in das sie das ein oder andere aparte Wort auf Deutsch wie "Einstellung" oder "Vogelperspektive" einfliessen lässt.

Ihre höfliche Zurückhaltung weicht indes bald einer Gelöstheit, der ernste Gesichtsausdruck einem freundlichen Lächeln. Nur eine Probe hätten sie für das Konzert gehabt, gesteht die Geigerin. "Das ist natürlich eine riskantere Situation, ohne Dirigenten zu spielen, aber man wird dafür auch belohnt. Der Kontakt zwischen den Musikern ist viel enger und direkter, man fühlt solch ein Konzert als Kammermusik."

Überhaupt ist für sie die Kammermusik "die wichtigste Art der Kommunikation." Dabei lerne sie selbst am meisten. "Wenn man so häufig mit Orchester spielt, dann ist Kammermusik wie eine Vitaminspritze. Als Solistin muss man manches Mal auch kämpfen, damit am Ende das Ergebnis stimmt - oder sich auch zu stark anpassen. Auch die Einstellung der Orchestermusiker hat gelegentlich mehr mit Dienst zu tun als mit Hingabe. Dann fühle ich mich ein wenig isoliert", erklärt sie.

Beim Tripelkonzert hatte Bertrand Chamayou zum ersten Mal überhaupt ein Orchester vom Instrument aus dirigiert. Für Vilde Frang ist diese Form des Konzertierens durchaus reizvoll: "Davor habe ich zwar ein bisschen Angst, weil ich jetzt nicht so ein Alpha-Leader-Typ bin. Aber es würde mir eine neue Welt eröffnen und natürlich auch ein neues Repertoire. Das möchte ich wirklich in Zukunft machen."

Fehler und Freiräume

Die Karriere der 32 Jahre alten, in Oslo geborenen Geigerin begann früh, als sie im Alter von zwölf Jahren mit dem von Mariss Jansons dirigierten Oslo Philharmonic Orchestra debütierte. Die frühe Bekanntheit überforderte das hochtalentierte Mädchen allerdings nicht. Mit Anne-Sophie Mutter, die sie in ihre Stiftung aufnahm, hatte sie eine strenge, kluge Mentorin zur Seite. Ihre geigerische Ausbildung komplettierte sie bei Kolja Blacher und Ana Chumanchenco. Der Gewinn des Credit Suisse Young Artist Award 2012 und ihr Debüt mit den Berliner Philharmonikern beim Europakonzert 2016 im norwegischen Røros waren weitere wichtige Etappen in ihrer Karriere.

"Vor ein paar Jahren wurde mir der ganze Rummel zu viel", erzählt Vilde Frang. "Ich habe jede Lücke in meinem Terminkalender gefüllt, weil ich einfach so gerne Violine spiele. Vielleicht muss man diesen Fehler machen, um zu erkennen, dass weniger mehr ist. Jetzt habe ich die notwendigen Freiräume. Es gibt immer noch volle Monate, aber eben auch längere Phasen, in denen ich mich ausruhe oder nach Norwegen fliege zum Skilaufen. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und geniesse es sehr, in der Natur zu sein."

Ihre Violine hat sie fast immer dabei. Sie fühle sich nicht vollständig, wenn sie nicht Geige spielen könne. Maximal eine Woche halte sie ohne ihr Instrument aus: "Dann fehlen mir die Vitamine - als würde ich zehn Tage nur Schokolade essen. Erst wenn ich eine richtig gute Übungsstunde mit meiner Violine verbracht habe, dann fühle ich mich wieder im Gleichgewicht. Das war schon immer so."

Für das nächste Jahr sind mit ihrem Streichtrio, in dem neben dem Cellisten Nicolas Altstaedt noch Lawrence Power an der Viola spielt, alle Beethoven-Trios geplant. Überdies möchte sich die in Berlin lebende Geigerin künftig erstmals mit dem heiklen späten Violinkonzert von Robert Schumann beschäftigen. Wolfgang Rihms "Musik für drei Streicher" und Thomas Ades' Streichquartett "The Four Quarters" sind ebenfalls im Visier. "Ich spiele die Stücke, die mich inspirieren, die ein inneres Feuer in mir entfachen. Dann möchte ich diese Erfahrung gerne teilen - mit allen."

Neues Instrument

Bei aller Kontinuität steht für Vilde Frang vielleicht demnächst doch eine wichtige Veränderung an: der Wechsel des Instruments. Ihre mit der Hilfe von Anne-Sophie Mutter im Jahr 2004 geliehene, inzwischen gekaufte Violine von Jean-Baptiste Vuillaume kommt auf den künstlerischen Prüfstand. "Meine Geige hat eine sehr lyrische Seite und erinnert mich in ihrer Unmittelbarkeit an ein Kind: rein und offen. Manches Mal wünsche ich mir den Reichtum eines italienischen Instruments, auch die dunkle Farbe, in die man eintauchen kann. Ich schaue mich gerade ein bisschen um - heute habe ich auf einer Stradivari gespielt. Aber meine Violine ist auch ein Bumerang. Sie kommt immer wieder zurück, wenn ich sie mal zur Seite lege."

Von einer echten Krise blieb Vilde Frang bisher verschont. Was andere uneingeschränkt glücklich machen würde, sieht sie kritisch, weil sie so nie an einen echten Wendepunkt gekommen sei und stattdessen trotz grosser Erschöpfung immer weitergemacht habe. "Kein Fisch, kein Fleisch", sagt sie auf Deutsch - und lächelt dabei. Und eine Krise des Selbstvertrauens? "Diese Krise habe ich immer - das ist eine chronische Krise", antwortet sie lachend. "Diese Dämonen verfolgen mich immer, aber ich muss sie anschauen. Ich war aber noch nie an dem Punkt, an dem ich sagen konnte: Ich weiss genau, wie ich das Stück spiele."

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