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Antonio Pappano auf Schweiz-Tournee: Spektakulär ist er nur in der Musik

Antonio Pappano bei der Arbeit

Er hat die Accademia Nazionale di Santa Cecilia zurückgeführt auf die internationale Bühne und gilt als ein Favorit für die Petrenko-Nachfolge in München. Jetzt gastiert Antonio Pappano mit seinem Orchester in der Schweiz.

Den ganzen Tag hat Antonio Pappano geprobt. Am Abend steht noch ein Pauken-Probespiel an, bei dem der Dirigent unbedingt dabei sein möchte. Vor dem Interview sitzt er mit ein paar Orchestermitgliedern in der Cafeteria des Auditorium Parco della Musica im römischen Stadtteil Flaminio zusammen, isst eine Kleinigkeit, plaudert und lacht mit ihnen. Berührungsängste hat Sir Antonio keine.

Der 2012 von Queen Elizabeth II. geadelte Brite muss seine Musiker nicht auf Distanz halten, um Respekt zu bekommen. Auf Konzertreisen lade er schon einmal das ganze Orchester ein und gebe eine Party, verrät der Pressechef. Als Antonio Pappano im Jahr 2005 als Chefdirigent des Orchesters der Accademia Nazionale di Santa Cecilia begann, war alles ganz anders: Damals war der Ruhm des traditionsreichen Klangkörpers gründlich verblasst.

Aufbruchstimmung

Rund dreissig Stellen waren nicht besetzt. Die vielen Aushilfen machten es schwierig, einen homogenen Klang zu entwickeln. Inzwischen hat das Orchester wieder 106 Stellen, ein Jahresbudget von rund 34 Millionen Euro, zur Hälfte getragen von der öffentlichen Hand - und zahlreiche junge Musikerinnen und Musiker sind dazugekommen. Mehr als zwei Dutzend verschiedene Abonnement-Programme sowie weitere zwanzig Sonderkonzerte spielt das Orchester pro Jahr. Pappano, der mit der Pianistin Pamela Bullock verheiratet ist, leitet acht bis neun Abo-Konzerte. Die Aufbruchsstimmung beim römischen Spitzenensemble ist dem 57-jährigen Briten zu verdanken.

Er hat das Orchester wieder zurück auf die internationale Bühne geführt. Viele prämierte CD-Aufnahmen und regelmässige Konzerttourneen in die wichtigen Musikzentren zeigen den Erfolg auch in der Aussenwirkung. "Natürlich kann es immer noch besser werden", erklärt der Dirigent beim Gespräch in seinem Büro. "Das hängt auch vom Repertoire ab. Das Rückgrat für jedes Orchester bildet das deutsche Repertoire, es gibt aber auch die Russen und die Franzosen. Wir haben auch eine italienische Schule. Gerade Rossini ist sehr gut für ein Orchester und hat viel zu tun mit der Musik von Haydn."

Tournee durch die Schweiz

Dieser Tage steht wieder eine grosse internationale Tournee an, die das Orchester zunächst in fünf Schweizer Städte führt. Am Dienstag, 2. Mai, gastiert es unter Pappano um 19 Uhr 30 in der Tonhalle Zürich. Mit den sinfonischen Dichtungen "Pini" und "Fontane di Roma" von Ottorino Respighi haben die Römer Kompositionen dabei, die einst für ihr Orchester geschrieben wurden.

"Man hört darin das kaleidoskopische Farbenspiel von Rimski-Korsakow, bei dem Respighi studiert hat", erklärt Pappano. Auch der französische Einfluss sei stark zu spüren - die gedämpften Passagen, die Schattenklänge und die insgesamt delikate Orchestrierung. Rhythmisch erinnerten ihn die Stücke dagegen an Strawinsky. "Aber die Musik ist ganz italienisch, besonders das Parfum der langsamen Sätze. Dieses Orchester spielt diese Musik mit einer grossen Natürlichkeit und betont die Virtuosität ihres Show-off-Charakters. Aber auch die vielen Details und dynamischen Abstufungen müssen zu hören sein, sonst kann man die Interpretation vergessen", sagt Pappano in tadellosem Deutsch.

Kandidat für Petrenko-Nachfolge

Die Sprache hat er gelernt, als er in den achtziger Jahren an der Frankfurter Oper als Korrepetitor arbeitete und bei den Bayreuther Festspielen als musikalischer Assistent von Daniel Barenboim wirkte. Auch dass bei ihm ein Konzertflügel im Büro steht, verwundert deshalb nicht. Über die Oper kam der Sohn eines italienischen Gesangslehrers zum Dirigieren. Eine klassische Dirigierausbildung genoss er nie - Learning by Doing war angesagt.

Für seine musikalische Karriere liess sich Pappano Zeit. Von 1991 bis 2002 war er Chefdirigent beim Théâtre de la Monnaie in Brüssel. Seit 2002 ist er musikalischer Direktor des Royal Opera House Covent Garden in London. Sein Vertrag läuft im Jahr 2020 aus. Nicht nur deshalb wird Pappano in München für das Jahr 2021 als heisser Nachfolgekandidat von Kirill Petrenko für den Posten des Generalmusikdirektors der Bayerischen Staatsoper ins Spiel gebracht.

Zeit also für einen Wechsel? "Vielleicht. Im Augenblick bin ich aber ziemlich passiv. Ich warte, um zu sehen, was mit meinem Leben passiert. Die Antwort auf diese Frage fällt mir schwer. Ich weiss, dass ich mehr freie Zeit brauche. Nicht nur, um mich auszuruhen, sondern auch, um nachzudenken." Diese Zeit hätte er aber auch, wenn er die Stelle in München bekommen würde, da sein Vertrag mit Santa Cecilia im Jahr 2021 ausläuft.

Was macht für ihn grundsätzlich einen guten Generalmusikdirektor aus? "Zunächst einmal ein grosses Repertoire. Wagner, Verdi, Mozart, Belcanto - dort sollte er überall seine Nase hineingesteckt haben. Er sollte ein gutes Gefühl für Sänger besitzen. Wenn er das nicht hat, kann es nur schiefgehen. Er muss Theater und den Umgang mit der Sprache lieben, weil er mit Regisseuren arbeitet." Klingt ein wenig wie eine Selbstbeschreibung, denn all das hat Pappano als Dirigent in Brüssel und London mehrfach bewiesen.

Bodenständig

Was den Glamour-Faktor angeht, bewegt sich Antonio Pappano dagegen auf ähnlich unspektakulärem Niveau wie Kirill Petrenko. Wie immer trägt er beim Abendkonzert in der fast ausverkauften, 2800 Plätze fassenden Sala Santa Cecilia keinen Frack, sondern ein einfaches, weites Hemd über der Hose und erklärt ganz unprätentiös mit einem Mikrofon in der Hand und ein paar live gespielten Musikbeispielen die "Caprice Romain" des Schweizer Komponisten Richard Dubugnon, die am Abend uraufgeführt wird.

Gerade neben der in einem atemberaubend geschlitzten pinkfarbenen Kleid und Stilettos spielenden Yuja Wang, die das 1. Klavierkonzert von Tschaikowsky effektvoll, aber auch ziemlich seelenlos in die Tasten hämmert, wirkt Pappano noch bodenständiger, zumal er der Chinesin beim Verbeugen aus Versehen auf die Schleppe tritt.

Spektakuläres ereignet sich bei ihm ausschliesslich in seinen Interpretationen: wenn er beispielsweise bei den "Pini di Roma" mit seinem Orchester magische Klangmischungen erzielt; oder wenn er im letzten Satz, "I pini della via Appia", die Legionäre aus der glorreichen Vergangenheit des römischen Imperiums in gleissendem Licht aufmarschieren lässt.

Nach dem Zürcher Auftritt am Dienstag ist dieses Konzert am 3. Mai in Bern, am 4. Mai in Genf, am 5. Mai im KKL Luzern und am 7. Mai im LAC in Lugano zu erleben. Anschliessend geht die Tournee unter anderem weiter nach Amsterdam, Paris und London.

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