08. Januar 2014 07:45 Uhr
HamburgEine unfertige Planung und überforderte Politiker waren laut dem jetzt vorab an die Öffentlichkeit gelangten Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses für die Bau-Schwierigkeiten in Hamburg verantwortlich.
Alle Beteiligten hätten das Prestigeobjekt umsetzen wollen, ohne dem Steuerzahler die wahren Kosten zu präsentieren. BZ-Autor Georg Rudiger hatte dieser Tage Gelegenheit zu einem Ortstermin.
Es wird dunkel in Hamburg. Die Lichter der Elbphilharmonie strahlen über der Hafencity und spiegeln sich im Wasser des Sandtorhafens. Der Kaiserkai, an dessen Spitze der glänzende Bau steht, ist belebt. Auch auf der hellen Plaza der Elbphilharmonie auf dem alten Kaispeicher A genießt man die spektakuläre Aussicht und macht Erinnerungsfotos. Plötzlich öffnet sich das Gebäude. Und der Blick wird frei auf den voll besetzten Konzertsaal, in dem ein Sinfonieorchester Prokofiews "Peter und der Wolf" spielt. Nur die ruckartigen Bewegungen der Orchestermusiker passen nicht ganz zu den Tönen, die aus dem Lautsprecher zu hören sind.
Wir sind noch nicht im Jahr 2017, wenn die Elbphilharmonie eröffnet werden soll. Das harmonische Bild präsentiert sich ein paar hundert Meter weiter im Miniatur-Wunderland, wo das Konzerthaus schon einmal im Maßstab 1:130 auf sechs Quadratmetern zu sehen ist. Und man kann sich in Ruhe jedes Detail anschauen. Wenn jemand auf den Knopf an der Absperrung drückt und sich das Gebäude auf der schmalen, der Elbe zugewandten Seite öffnet, wird man zum Voyeur, weil man die 45 Luxuswohnungen von innen betrachten kann. "Jetzt möchten wir das Ganze aber auch in echt sehen", sagt einer der vielen Besucher. "Ob wir das noch erleben werden?" Im Hintergrund erklingt die Melodie des Chorals "Wer nur den lieben Gott lässt walten", der bekanntlich mit dem Vers endet: "Der hat auf keinen Sand gebaut".
Auf eine Fehleinschätzung folgt die nächste
Die Elbphilharmonie jedoch ist auf Sand gebaut. Zu Beginn des spektakulären Projektes dachte man noch, die 1111 in den Elbschlick versenkten Stahlbetonpfähle, die den 1963 wiedererbauten Kaispeicher A trugen, würden auch die Last des darauf errichteten Konzerthauses aushalten. Eine von vielen Fehleinschätzungen, die den Bau bereits seit der Planungsphase begleiten. 650 weitere Pfähle mussten 15 Meter tief in den Boden gerammt werden, der Kaispeicher wurde entgegen ersten Planungen vollständig entkernt. Aber nicht nur die Projektänderungen ließen die Kosten explodieren. Auch die künstlerischen Visionen des Basler Architekturbüros Herzog & de Meuron erwiesen sich als echte Preistreiber. Allein die aus 1100 teilweise gebogenen, bedruckten Vierfachglaselementen bestehende Fassade schlägt mit rund 50 Millionen Euro zu Buche. Die 82 Meter lange, konvex gekrümmte, in einer weißen Röhre verlaufende Rolltreppe, die den Weg des Besuchers zur Elbphilharmonie regelrecht inszenieren soll, die aufwendige, stützenfreie Dachkonstruktion, die weiße Haut genannte Gipsverkleidung des Konzertsaals - alles vom Feinsten. Vieles davon wird zum ersten Mal überhaupt realisiert und ist dementsprechend teuer.
Der Hauptgrund dafür, dass die Gesamtkosten der Elbphilharmonie, die neben einem Konzertsaal auch noch über ein Luxushotel und 45 Appartements verfügt, von 348 Millionen (Vertragsabschluss/2006) auf 865 Millionen Euro (Nachtrag 5/2013. Anteil der Stadt: 789 Millionen Euro) stiegen, liegt aber in dem viel zu frühen Beginn des Baus bei zu geringer Planungstiefe. So waren finanzielle Nachforderungen der ausführenden Baufirma Hochtief schon vorprogrammiert. Die schlechte Kommunikation zwischen Baufirma, Architekturbüro und Stadt, die sich gegenseitig juristisch beharkten, führte schließlich zu einem fast zweijährigen Baustopp - auch für Christoph Lieben-Seutter, den bereits 2007 bestellten Generalintendanten, ein Alptraum. "Das Schlimmste war die fast zwei Jahre dauernde Zeit der totalen Blockade auf der Baustelle. Das war zermürbend. Mit konkreten Problemen kann man viel besser umgehen als mit dem totalen Stillstand."
Das internationale Interesse ist groß
Seit Sommer 2013 wird wieder gebaut. Rund 300 Bauarbeiter sind zwischen 7 und 18 Uhr auf der Baustelle - Tendenz steigend. Es dämmert bereits, als Enno Isermann, Pressesprecher der Hamburger Kulturbehörde, seine Baustellenführung bei laufendem Betrieb beginnt. Tags zuvor hat er noch einen Journalisten aus Washington durch den im Herbst vollendeten Rohbau geleitet: "Das internationale Interesse an der Elbphilharmonie ist enorm." Nach dem Blick in den "Tube" genannten Tunnel der Rolltreppe und schnellen Schritten durch das Parkhaus geht es mit dem Aufzug in den achten Stock. Der Blick von der Plaza, die für alle Besucher kostenlos zugänglich sein soll, auf die Stadt und den Hafen ist atemberaubend.
Im Konzertsaal, der einmal 2150 Sitzplätze haben wird, ist eine von vielen Stützen getragene Holzdecke eingezogen. So wird die Arbeit am großen Klangreflektor und der Saaldecke erleichtert. Um eine optimale Schalldämmung zu gewährleisten, ist der 12 500 Tonnen schwere Saal komplett vom Gebäude entkoppelt. Seine Last tragen 362 Stahlfederpakete, die die Schallwellen nicht weiterleiten. Wenn draußen eine Schiffssirene dröhnt, soll drinnen keiner etwas davon mitbekommen. "Unser Akustiker Yasuhita Toyota ist selbst durch die Lüftungsschächte gekrochen, um die Arbeiten zu kontrollieren." Schließlich möchte man es mit dem nach dem Weinbergprinzip erbauten Konzertsaal, in dem die Zuschauersitze rings um die Bühne auf unterschiedlich hohen Terrassen gruppiert sind, in die internationale Spitze schaffen. Und damit endgültig die vielen negativen Schlagzeilen vergessen lassen.
Eine Herausforderung für den Konzertplaner
Öffentliche Baustellenführungen, die auf Monate hinaus ausverkauft sind, macht auch Christoph Lieben-Seutter am Wochenende. Die dicke Bauarbeiterjacke mit den reflektierenden Signalstreifen braucht der 49-jährige Wiener aber nicht mehr dafür, weil es inzwischen auf der Baustelle wegen der eingebauten Fenster nicht mehr so zugig ist wie zuvor. Deshalb hängt sie in seinem Büro über der weißen Beethovenbüste und wärmt den Komponisten. Überhaupt pflegt der Intendant, der 2007 vom Wiener Konzerthaus kam, einen ganz unprätentiösen, auch mal ironischen Umgang mit der Materie. Natürlich habe er mit anderen Vorstellungen seinen Job in Hamburg angetreten. Und dann aber schnell gemerkt, "dass Geburtsfehler in dem Projekt stecken, die kaum mehr herauszukriegen sind. Die Erwartungshaltung zu Beginn war natürlich völlig überzogen. Als ich 2007 hierher gekommen bin, war die Elbphilharmonie der neue Gral - und ich der neue Messias. Da war mir schon klar, dass das so nicht bleiben wird." Besonders die mehrmalige Verschiebung der Eröffnung war für ihn als Konzertplaner eine Herausforderung.
Die Saisons 2010/11 und 2012/13 hatte er nämlich schon als Eröffnungsspielzeiten geplant. "Die nächste Ankündigung muss sitzen, sonst wird man unglaubwürdig. Das Interesse an der Elbphilharmonie seitens der Orchester ist weltweit riesig. Deshalb werden wir notfalls auch recht kurzfristig noch hochkarätige Künstler und Orchester engagieren können." Trotz allem schaut man positiv in die Zukunft. Im am 23. April 2013 von der Hamburger Bürgerschaft beschlossenen Nachtrag 5, der die Stadt nochmals 256,6 Millionen Euro zusätzlich gekostet hat, wurde das fehlerhafte Projekt neu geordnet. Vereinbart wurden ein Festpreis und konkrete Zwischentermine. Auch die Gesamtfertigstellung bis 31.10.2016 ist vertraglich festgelegt. Alle Risiken übernimmt dabei das ausführende Bauunternehmen Hochtief. Einen Gewinn macht die Firma nur noch, wenn sie früher mit der Arbeit fertig wird als geplant - kein schlechtes Vorzeichen für ein gutes Finish. Die größten baulichen Probleme wie die Absenkung des Dachs sind bewältigt. Nur über die Verkehrsanbindung der Elbphilharmonie und die Lenkung der Zuschauerströme müssen sich die Planer noch den Kopf zerbrechen.
Hauptgrund für Kostenexplosion: Ein zu früher Baubeginn
Die verbleibende Zeit nutzt Christoph Lieben-Seutter ("Ich bin Intendant von zwei Konzerthäusern. Eines lebendigen, funktionierenden und eines zukünftigen, noch virtuellen"), um in den sogenannten Elbphilharmonie-Konzerten, von denen die meisten in der rund 2000 Plätze umfassenden Laeiszhalle stattfinden, Festivalschwerpunkte zu setzen, neues Publikum anzulocken und Kinder-und Jugendprojekte voranzutreiben. Auch neue Orte werden ausprobiert wie die frühere Maschinenfabrik Kampnagel, wo sich die freie Kulturszene entfaltet und man mit dem Neue-Musik-Festival "Greatest Hits" und speziell mit einem gefeierten Auftritt des SWR-Sinfonieorchesters Akzente setzte. Auch in der Elbphilharmonie möchte man ab dem Jahr 2017 weiterhin sehr günstige Eintrittskarten anbieten, um die Hemmschwelle für einen Konzertbesuch niedrig zu halten. Seinen Vertrag hat Lieben-Seutter bis 2018 verlängert: "Ein Intendant, dessen Vertrag vor der Eröffnung abläuft, wäre ja auch ein bisschen absurd."
Autor: Georg Rudiger