09. August 2014
InterviewBZ-INTERVIEW: Thomas Quasthoff über den Verlust seiner Stimme, das Schauspielen und die fehlenden Visionen im Klassikbetrieb.
Als Thomas Quasthoff Anfang des Jahres 2012 auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn die Gesangskarriere beendete, reagierte die Klassikbranche mit Erstaunen und Bedauern. Zweieinhalb Jahre später hat Georg Rudiger den Bassbariton am Rande seines Auftritts im Baden-Badener Festspielhaus (BZ vom 24. Juli) besucht. Er traf dabei auf einen entspannten, ehrlichen Künstler, der mit sich selbst im Reinen ist. Ein Gespräch über den Verlust seiner Stimme, den Reiz des Kabaretts und die fehlenden Visionen im Klassikbetrieb.
BZ: Wenn Sie an die Zeit vor ungefähr fünf Jahren zurückdenken, als Sie mit Liederabenden, Oratorien und Jazzkonzerten viel unterwegs waren - was hat sich im Vergleich zu heute verändert? Quasthoff: Es ist eine große Ruhe in mein Leben gekommen. Viel weniger Druck, viel weniger lange Reisen. Wenn man das Glück und das Vergnügen hatte wie ich, in der oberen Liga zu singen, und das dann irgendwann nicht mehr tut, dann merkt man auch, wie viel Leistungsdruck damit verbunden war. Ich wollte immer mal Theater spielen, Lesungen halten und Kabarett machen. Diesen Wunsch erfülle ich mir jetzt. Es ist für mich sehr interessant, eine neue Seite des künstlerischen Berufs kennenzulernen.
BZ: Was genießen Sie besonders an Ihrem Alltag? Quasthoff: Mehr Zeit für Freunde und Familie zu haben. Gleich kommt ein Personal Trainer - auch dafür habe ich jetzt mehr Zeit. In meinen Spitzenzeiten war ich über zweihundert Tage im Jahr unterwegs, was für mich ja mit besonderen Anstrengungen verbunden ist. Die Distanzen sind nun sehr viel kürzer geworden. Ich reise nicht mehr nach Japan, Russland oder die USA. Jetzt bleibe ich im deutschsprachigen Raum. Mit Cornelius Meister und dem ORF-Radio-Symphonieorchester Wien mache ich Schönbergs "Ein Überlebender aus Warschau" und mit dem Wiener Kammerorchester "Peter und der Wolf". Mit Sprache umzugehen, Texte zu gestalten - das sind ja meine ureigenen Wurzeln aus meiner Zeit als Nachrichtensprecher beim Rundfunk. Das tun zu dürfen mit weniger Stress als früher, ist sehr angenehm. Man kann auch mal abends ein Glas Rotwein trinken, ohne am nächsten Morgen gleich ein schlechtes Gewissen zu haben. Man hat ja eher seine Stimme getestet als seinen Lieben einen guten Morgen gewünscht - so war das ja noch vor wenigen Jahren.
BZ: Was vermissen Sie? Quasthoff: Nichts.
BZ: Wirklich? Quasthoff: Vielleicht ein wenig den Umgang mit netten Kolleginnen und Kollegen. Ich bin wirklich ohne jede Verbitterung gegangen. Es gab einen familiären Grund. Mein Bruder ist gestorben. Ich habe mit seiner Diagnose - er war unheilbar an Lungenkrebs erkrankt - meine Stimme verloren. Wir hatten eine außergewöhnlich enge Beziehung und sehr viele Interessen miteinander geteilt. Das war schon ein extremer Einschnitt in meinem Leben. Nachdem ich gespürt habe, dass ich stimmlich nicht mehr zu den hundert Prozent komme, war die Entscheidung klar, meine Gesangskarriere zu beenden. Darauf bin ich auch ein wenig stolz. Rechtzeitig den Absprung zu schaffen, ist als Sänger ja nicht einfach.
BZ: Am Berliner Ensemble stehen Sie in Shakespeares "Was Ihr wollt" auf der Bühne. Wie sind Sie zu dieser Rolle gekommen? Quasthoff: Nichts von dem, was ich im Augenblick tue, ging von mir aus. Ich wurde immer gefragt. Bei "Was Ihr wollt" fragte mich die Regisseurin Katharina Thalbach, mit der ich gut befreundet bin, ob ich den Narr spielen wolle. Meine Bedingung war nur: Ich wollte nicht nackt sein und auch keine Schweinigeleien auf der Bühne machen müssen. Das weiß man ja bei Katharina nie. Und dann nahm das seinen Lauf. Sie hat eine sehr schöne Form gefunden, mich szenisch einzubinden - bei der ersten Szene schwebe ich auf einem umgekehrten Schirm von der Decke herab. Singen darf ich da übrigens auch viel in dieser Rolle. Mit dem Kabarett war es genauso. Da wurde ich von Michael Frowin gefragt, mit dem ich dann zusammen das Programm "Keine Kunst" erarbeitet habe.
BZ: Hat das alles gut funktioniert? Quasthoff: Ich sage nichts zu, von dem ich nicht auch definitiv weiß, dass ich das kann. Dafür ist mir meine Reputation auch zu wichtig. Es wird sicherlich Leute geben, die beim Kabarett gedacht haben: Muss er das jetzt auch noch machen? Das ist dann aber eher ein Problem der Menschen, die einen gerne in eine bestimmte Schublade stecken möchten. Ich habe immer eine große Affinität zu literarischem Kabarett gehabt. Und hatte schon während meiner Studienzeit ein kabarettistisches Soloprogramm mit Klavier. Ich genieße beim Kabarett, sehr nah beim Publikum zu sein und spontan reagieren zu können. Das ist ja schon ganz anders als in der klassischen Musik, wo alles ja doch sehr in Formen gepresst ist und manchmal auch etwas althergebrachten Mechanismen folgt. Da steht jemand im Frack und singt ehrfurchtsvoll, fast sakral seine Kunstlieder. Ob das heute noch zeitgemäß ist? Ich mache mit Florian Bösch und Michael Schade literarische Liederabende, bei denen ich lese. Diese Verbindung von Musik und Literatur finde ich sehr interessant.
BZ: Im Festspielhaus Baden-Baden haben Sie vor kurzem die Sprechrolle des Bassa Selim in Mozarts "Entführung aus dem Serail" übernommen. Was verbinden Sie mit dem Haus? Quasthoff: Ich verbinde damit hauptsächlich die Person Andreas Mölich-Zebhauser. Als er im Sommer 1998 die Intendanz in dem hochverschuldeten, frisch eröffneten Haus übernahm, sagte er zu mir, er könne mir nicht die Gagen zahlen, die ich woanders bekäme. Aber sobald er schwarze Zahlen schreibe, würde er das Honorar erhöhen - und mir so lange die Treue halten. Genau so ist es passiert. Ich habe im Festspielhaus viele Liederabende und Konzerte machen können. Auch mit meinem Jazz- und Soulprogramm war ich zu Gast - und habe ja auch den Herbert-von-Karajan-Preis verliehen bekommen. Man kommt als Künstler sehr gerne in dieses Haus, weil hier ein Geist weht, den es nicht überall gibt. Die Berliner Philharmoniker haben sich die Entscheidung für Baden-Baden gewiss auch sehr gut überlegt, als sie von Salzburg weggegangen sind. Die gastfreundliche Atmosphäre im Haus hat hier bestimmt auch eine Rolle gespielt.
BZ: Sie hatten immer schon eine gewisse Distanz zum Musikbetrieb. Schauen Sie jetzt noch distanzierter darauf, weil Sie nicht mehr so intensiv damit zu tun haben wie früher? Quasthoff: Das Musikgeschäft hat sich sehr verändert im Laufe der letzten dreißig Jahre. Es ist viel mehr Show geworden. Das sehe ich auch bei meinem Label Deutsche Grammophon, das mich seit 1999 als Exklusivkünstler unter Vertrag hat. Vor allem der frühere Leiter Martin Engström, der inzwischen dem Verbier Festival vorsteht, war noch ein Visionär, der junge Leute zum Label geholt hat, um sie in Ruhe aufzubauen. Heute laufen neben großartigen Künstlern wie Bryn Terfel auch Sängerinnen herum, die vor zehn Jahren nicht die Hacken ihrer Pumps in die Tür der Deutschen Grammophon bekommen hätten. Gutaussehend, coverfähig - das ist heute wichtig. Es geht nicht mehr um Visionen oder Programme. Es regiert die Quote. Mit künstlerischen Ideen hat das sehr wenig zu tun.
BZ: Hat das Auswirkungen auf das Niveau? Quasthoff: Schauen Sie sich doch einmal die gesundheitlichen Anfälligkeiten von Sängerinnen und Sängern an. Das hat ja Gründe. Der Druck wird immer größer, die Leistungsdichte immer höher. Und auf der anderen Seite wird in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern ein Theater nach dem anderen zugemacht. Die wenigen, die es wirklich schaffen wie eine Diana Damrau, die ihre Bodenständigkeit nie verloren hat, sind Ausnahmen. Die Mühle Konzertbetrieb zehrt. Man muss Nein sagen können - das Wort fehlt bei vielen meiner Kollegen im Wortschatz.
BZ: In dem berührenden Dokumentarfilm "The Dreamer", den Michael Harder über Sie gedreht hat, sagen Sie, Ihr Beruf sei Sänger: "Ein Sänger, der behindert ist." Was ist jetzt Ihr Beruf? Quasthoff: Künstler. Vielseitig interessierter Künstler. Ich habe immer viel mit Kunst, Malerei, Literatur zu tun gehabt. Der Sohn von Georg Baselitz war bei mir auf dem Gymnasium. Ich liebe es wirklich, mit Sprache umzugehen. Ich war ja nie ein Nurschönsänger. Mir waren Farben im Gesang immer sehr wichtig. Das versuche ich, auch beim Lesen zu beherzigen.
Der contergangeschädigte Bassbariton (Jahrgang 1959) studierte u.a. Jura, arbeitete als Radiomoderator und -sprecher beim NDR. Gesangsstudium bei Charlotte Lehmann in Hannover. 1988 1. Platz beim ARD-Musikwettbewerb. Internationale Auftritte in Konzert und Oper. 2006 Jazz-Album mit Till Brönner. Dieter Ilg u.a. 2012 Rückzug vom Sängerberuf. Quasthoff ist Professor für Gesang an der Musikhochschule "Hanns Eisler" in Berlin.
Autor: BZ
Autor: ruge