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Nur von Kretschmann hört man keinen Ton

Foto: Georg Rudiger

Eigentlich müsste man sich freuen, wenn mehr Geld in der Kasse ist. Man gewinnt dadurch Gestaltungsspielraum - kann Dinge überdenken, korrigieren, neu gewichten.

Die am 1. Januar 2013 erfolgte Umstellung von geräteabhängiger Rundfunkgebühr zu haushaltsgebundenem Rundfunkbeitrag hat entgegen allen Erwartungen nicht Mindereinnahmen, sondern ein deutliches Plus von 1,146 Milliarden Euro gebracht. Die Ministerpräsidentenkonferenz, die am 13. März 2014 unter dem Vorsitz von Winfried Kretschmann in Berlin tagt, muss nun entscheiden, was man mit dem großen Überschuss macht. Die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) schlägt vor, die Hälfte der Summe durch eine Senkung des Rundfunkbeitrags um 73 Cent ab 1.1.2015 an die Beitragszahler zurückzugeben, die andere Hälfte als Rücklage zu behalten.

Der Südwestrundfunk hat sich dabei im Vorfeld besonders laut verrechnet. Im Januar 2013 kritisierte SWR-Justiziar Hermann Eicher einen Bericht der "Bild"-Zeitung, in dem Mehreinnahmen prognostiziert wurden, als "grob falsch und irreführend". Im November des gleichen Jahres hat SWR-Intendant Peter Boudgoust Spekulationen über hohe Mehreinnahmen in einem Brief an seinen Rundfunkrat klar zurückgewiesen.

Seltsames Verhalten des Intendanten

Nun sind die Mehreinnahmen da. Boudgoust freut sich aber immer noch nicht darüber, sondern ändert blitzartig seine Argumentation und lässt verlauten, dass man auf dieses Geld gar keinen Zugriff habe. Das ist allerdings nur halb richtig, weil dies nicht von ihm, sondern von der Ministerpräsidentenkonferenz entschieden wird. Ab 2017 kann der SWR ohnehin einen neuen Bedarf bei der KEF anmelden.

Das seltsame Verhalten des Intendanten erklärt sich aus der Vorgeschichte. Die prognostizierten Mindereinnahmen und der damit in Zusammenhang stehende Spardruck auf den Sender waren das wichtigste Argument für Boudgoust, im Jahr 2012 die heftig kritisierte Fusion des SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart innerhalb weniger Monate senderintern durchzusetzen.

Geplant ist ab Herbst 2016 ein gut ausgestattetes Sinfonieorchester mit Sitz in Stuttgart, das "eine große Bandbreite der Interpretation pflegen", einen Schwerpunkt auf Neue Musik setzten und "in ein, zwei Jahren an der Spitze ankommen soll", wie Johannes Bultmann, der neu engagierte SWR-Gesamtleiter für Klangkörper und Festivals, beim Amtsantritt versprach. Erstaunlich, dass Bultmann ernsthaft der Überzeugung ist, aus zwei sehr guten, annähernd gleich großen Orchestern in kurzer Zeit ein noch besseres machen zu können.

Größe allein schafft noch keine Qualität

Größe allein schafft noch keine Qualität, sondern bringt in dieser Konstellation im Gegenteil viele Probleme mit sich, wenn beispielsweise vier Solobläser ständig um zwei Stellen konkurrieren. "Wir kennen kein Orchester von Rang, das seinen Ursprung in einer Fusion hat", schrieb Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, an SWR-Intendant Peter Boudgoust. Da man beim Sender betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen hat, muss die Reduzierung der Stellenzahl von gegenwärtig rund 200 auf die angestrebten 119 durch natürliche Fluktuation erreicht werden.

Junge Musikerinnen und Musiker werden auf Jahre hinaus nicht mehr eingestellt, es sei denn, die Stimmgruppen sind nicht ausreichend besetzt. Mit dem Überangebot von Orchestermitgliedern möchte Bultmann, so ist aus Orchesterkreisen zu hören, neben dem großen Sinfonieorchester zwei Ensembles einsetzen, die auf Alte beziehungsweise Neue Musik spezialisiert sind - was nach dem gegenwärtigen Tarifvertrag gar nicht geht, weil das Orchester höchstens zweimal pro Saison geteilt werden darf.

Das Ganze erinnert mehr an eine ABM-Maßnahme als an ein schlüssiges Konzept. Man stünde dann in direkter Konkurrenz zu Spezialisten wie dem Freiburger Barockorchester, obwohl die meisten SWR-Musiker kaum Erfahrung in historischer Aufführungspraxis haben und auch nicht die passenden Instrumente dafür besitzen.

Ein musikalisches Profil ist nicht zu erkennen

Ein Profil des geplanten Fusionsorchesters ist nicht zu erkennen. Die avisierte Zahl von 90 Konzerten pro Saison, die dem Rundfunkrat für den Fusionsbeschluss am 28. September 2012 vorgelegt wurde, würde sich eher auf 70 einpendeln anstatt der rund 130, die von beiden Orchestern gegenwärtig pro Saison gespielt werden.

Von diesen 70 sind bereits rund 40 durch die Abonnementreihen in Stuttgart und Freiburg sowie den garantierten Auftritten bei den Donaueschinger Musiktagen und den Schwetzinger Festspielen belegt. Da blieben nur noch circa 30 Konzerte im Jahr übrig, um sich international zu präsentieren, im Sendegebiet Präsenz zu zeigen und Jugendprojekte anzubieten. Ein viele Jahre lang aufgeblähtes, atmosphärisch belastetes Orchester, das kaum Konzertreisen machen könnte und in seiner Heimat fast nur noch in den Abonnementstädten Stuttgart und Freiburg zu hören sein würde - das ist weder künstlerisch überzeugend, noch politisch vermittelbar.

Während der Orchestervorstand des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart sich schnell mit der geplanten Auflösung seines Orchesters abfand und sogar in einer den Freiburger Kollegen präsentierten Briefvorlage an den Südwestrundfunk bereits im Januar 2012 eine Vollfusion vorschlug, formierte sich beim SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg starker Widerstand. Der Verwaltungsrechtler Friedrich Schoch, Mitglied des Orchesterfreundeskreises, entwickelte nach dem Vorbild der Bamberger Symphoniker ein Stiftungsmodell, das den Fortbestand des im Bereich der Neuen Musik weltweit wichtigsten Klangkörpers unter der Einbeziehung zusätzlicher Träger wie Land und Kommunen sichern könnte. 160 Dirigenten, 148 Komponisten forderten in offenen Briefen eine Rücknahme der Fusion, was durch eine Ausstiegsklausel im damaligen Rundfunkratsbeschluss problemlos möglich wäre.

Die grün-rote Landesregierung hält sich heraus

Seit diesem Jahr haben auch Politiker ihre Stimme erhoben. Eine parteiübergreifende Initiative, die von 41 badischen Landtags- und Bundestagsabgeordneten unterschrieben wurde, setzt sich für den Erhalt des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg ein. Am 13. Februar 2014 rief der baden-württembergische Landtagsausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst den SWR dazu auf, er soll "Modelle prüfen und entwickeln, die alternativ zur geplanten Fusion der beiden Sinfonieorchester des Senders geeignet sind, den Weiterbestand der beiden Klangkörper als eigenständige Einrichtungen zu ermöglichen".

Dass der angesprochene Intendant sich nur wenige Stunden danach in einer Stellungnahme dagegen verwahrte und dabei auf die "grundgesetzlich garantierte Rundfunkfreiheit" und die Mehrheitsbeschlüsse seiner Gremien berief, zeugt nicht gerade von Souveränität.

Bisher sind die politischen Statements allerdings nur Lippenbekenntnisse geblieben. Die rot-grüne Landesregierung unter Ministerpräsident Kretschmann hat sich bislang völlig aus der Diskussion herausgehalten, dabei hat sie den fragwürdigen Fusionsbeschluss des SWR in dessen Gremien mitgetragen. Mit den Staatsministern Silke Krebs (Bündnis 90/Die Grünen) und Peter Friedrich (SPD) finden sich zwei Regierungsmitglieder im 15-köpfigen SWR-Verwaltungsrat. Auch im 74-köpfigen Rundfunkrat ist das Land mit zwei Staatssekretären und acht Landtagsabgeordneten vertreten.

In Freiburg ist die Empörung besonders groß

Dass sich in der Landeshauptstadt Stuttgart ab 2016 wie bereits jetzt drei A-Orchester drängen, in Freiburg aber das einzige A-Orchester abgezogen wird, sorgt im badischen Landesteil für Missstimmung, die durch die Schieflage der Musikförderung noch verstärkt wird. Die Landesförderung musikalischer Einrichtungen liegt nämlich in Württemberg mit 1,65 Euro pro Einwohner gegenüber 0,83 Euro in Baden fast doppelt so hoch.

Für seine Mitverantwortung "wesentlicher kulturpolitischer Missstände und Fehlentscheidungen" in Baden-Württemberg erhält Ministerpräsident Kretschmann auf der kommenden Frankfurter Musikmesse den Antipreis "Musik-Gordi" in Form einer verknoteten Blockflöte.

Noch kann der Gordische Knoten zerschlagen werden. Dafür müsste der seit 2011 amtierende Landesvater, der im Wahlkampf eine Politik des Zuhörens versprach, nur die Ohren spitzen. Und sich die mit schwammigen Zahlen begründete, künstlerisch hochproblematische Fusion einmal genauer anschauen, bevor es zu spät ist.

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