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Die Kunst der Kritik

Von Georg Elser am 23. April 2015 um 13:51 Uhr |

Wer in Deutschland etwas veröffentlicht und sich damit der Kritik der Allgemeinheit aussetzt braucht starke Nerven. In Foren und Kommentarspalten toben sich hierzulande Trolle nach Herzenslust aus, machen alles und jeden nieder und lassen ihrem Frust freien Lauf. Dabei wird teilweise ein Maß an Beschimpfungen und Pöbeleien erreicht, welches dazu führen kann, dass Menschen ihre Arbeit einfach wieder einstellen (wie Hörspielproduzent Günter Merlau erst kürzlich in einem Interview mit uns einräumte). Plump, beleidigend, einfach mit der Keule drauf, fertig - meistens jedenfalls. Dass es auch hart, aber zumindest etwas origineller geht, beweist ein Blick nach England.

Nun ist der Humor von der Insel ohnehin bekannt für seine Bissigkeit. Aber dort mischt sich unter die Beschimpfungen jedoch oft immer auch eine gehörige Portion schwarzer Humor und Ironie. Ein Beispiel.

Der Grimsby Town Football Club, Spitzname „The Mariners", hatte 2009 in der vierten englischen Liga bereits seit mehr als einem Monat kein Spiel mehr gewonnen. Am Wochenende war in der Liga Pause, als Nächstes stand ein Pokalspiel bevor. Im eigenen Stadion trat man an einem Samstag gegen die Mannschaft vom Sechstligisten Bath City an. Doch entgegen aller Erwartungen war gegen den Außenseiter nach der Partie bereits Schluss im Pokal, Grimsby verlor mit 0:2.

Unter den 2.100 Zuschauern befand sich auch der treue Anhänger mit dem Pseudonym „Poojah". Angesichts der desaströsen Leistung seiner Mannschaft vor heimischen Publikum platzte dem Fußballfan noch am gleichen Abend der Kragen. In einem inoffiziellen Forum veröffentliche er eine Schmähkritik, die sich binnen kürzester Zeit zum Hit im Internet entwickelte. Selbst etablierte Zeitungen wie The Telegraph griffen die Geschichte auf und veröffentlichten den Wortlaut auf den eigenen Seiten.

Auch nahezu sechs Jahre später hat die Kritik nichts an ihrer Härte eingebüßt. Für uns ist sie immer noch ein Kleinod in Sachen Debattenkultur im Netz. Natürlich ist es von vornherein grundsätzlich zum Scheitern verurteilt, wenn man versucht, den genialen britischen Humor ins Deutsche zu übersetzen. Wer des Englischen mächtig ist, dem sei daher der Originaltext ans Herz gelegt. Für alle anderen haben wir einen vorsichtigen Annäherungsversuch gewagt:

„Liebe Spieler vom Grimsby Town FC,

ich schreibe euch diese Zeilen angesichts meines absoluten Erstaunens und meiner Ungläubigkeit über das unfassbare Ausmaß eures Mangels an Talent. Ich finde in meinem Wortschatz keine abwertenden Begriffe oder Schimpfwörter, die auch nur annähernd eure (salopp gesprochen) „Leistung" von heute Nachmittag beschreiben könnten. Ich möchte festhalten, dass ihr im Kollektiv ein Niveau von Unbeholfenheit und Unfähigkeit erreicht habt, dass weder ich noch die moderne Wissenschaft jemals für möglich gehalten haben.

Tatsächlich erinnert mich das an meine eigene Jugend. Da habe ich auch mal blau gemacht, bei meinem Arbeitgeber krank gemeldet und anstatt dessen den ganzen Tag in meiner Bude verbracht. Dabei trug ich nichts anderes außer meiner Shorts, fraß Toast und onanierte wild zu zweitklassigen skandinavischen Pornos. Dennoch ist es mir dabei gelungen, selbst an diesen Tagen mit enormen Taschentuch-Verbrauch mehr zum Erfolg meines Arbeitgebers beizutragen, als ihr Volltrottel während eurer gesamten Zeit bei diesem Verein es konntet."

Es folgen Vorwürfe des Abkassierens und die Ausführungen, dass er persönlich als selbstständiger Geschäftsmann ein höheres Maß an Zufriedenheit bei seinen eigenen Kunden erreichen würde, selbst wenn er deren Haus abbrennen, Familie schänden und Kinder zerstückeln würde. Poojah spricht von „ einer kompletten Schande", nicht nur gegenüber allen anderen Fußballern, sondern auch „ gegenüber der menschlichen Rasse und Mutter Natur persönlich". Selbst Nierensteine hätten ihm mehr Freude bereitet als das, was ihm von seiner Lieblingsmannschaft in diesem Spiel geboten wurde. Er wünscht sich von dem Vereinsvorsitzenden für die gesamte Mannschaft One-Way-Flüge zur Sterbehilfe in die Schweiz und erklärt sich bereit, zur Kostendeckung selbst die eigene Familie zu verkaufen: „Herrgott, ich würde euch sogar persönlich mit dem Auto dorthin fahren, einen nach dem anderen, ohne Schlaf, wenn es sein muss".

Es folgen (nicht ganz ernst gemeinte) Tipps zur Selbsttötung und das folgende Fazit:

„Um es auf den Punkt zu bringen: Ihr seid eine Bande von abscheulichen, vollgekotzten, wirbellosen Bastarden. Verlasst augenblicklich diesen Verein. Wagt es nicht, euch umzudrehen. Ihr habt kontinuierlich weniger Leidenschaft und Siegeswillen an den Tag gelegt, als man in den Eiern von Faultieren finden kann. Wirklich, zur Hölle mit euch allen. Verliert keine Zeit, verzichtet auf euren Lohn und betretet niemals wieder diese Stadt.

Ich freue mich bereits darauf, bei meinem nächsten Burgerkauf von euch am Drive-In-Schalter bedient zu werden.

Hochachtungsvoll

Ein sehr desillusionierter Fan"
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