Volker Sassenberg, 46, produziert mit Point Whitmark sowohl Krimihörspiele für Jugendliche als auch finstere Endzeithörspiele für Erwachsene mit der Reihe Gabriel Burns. Wir sprachen mit dem Tonproduzenten und stolzen Westfalen über Gabriel Burns, die Beschaffenheit des Bösen auf der Welt und seinen Zorn über ekelige Kritiker.
digitalista: Herr Sassenberg, welche Bedeutung hat für Sie die Kunstform Hörspiel?
Sassenberg: Hörspiele sind letztendlich für mich die Zusammenführung meiner großen Interessen: Musik, Geschichten, Technik, Produktion, vor allem aber auch die Arbeit mit Sprechern. Die ist für mich eine große, handwerkliche Leistung. Wenn man das zusammenwürfelt, kommt irgendwie ein Hörspiel dabei heraus. Es gefällt mir auch, die Dimension des Sehens wegzunehmen. Dadurch betritt man das Reich der Fantasie.
digitalista: Ihr größter Erfolg ist die Hörspielserie Gabriel Burns. Wie kam es dazu?
Sassenberg: Wir haben mit Gabriel Burns einen Feldversuch gestartet. Die Serie hat über die einzelnen Folgen hinweg einen zusammenhängenden Handlungsstrang. Das kannte man zwar bereits aus Fernsehserien, aber im Hörspielbereich hat es das bis dahin noch nie gegeben. Auch die üblichen Erwartungshaltungen von anderen Hörspielserien kann man auf Gabriel Burns nur zum Teil anwenden. Werwölfe, Kreuze, all das war uns zu naheliegend. Wir fanden es charmant, einen anderen Weg zu gehen.
digitalista: Wer die erste Folge hört, ist wahrscheinlich gleich zu Beginn verwirrt: Die Hauptperson heißt nicht Gabriel, sondern Steven Burns. Von Gabriel ist auch in den ersten Folgen überhaupt nie die Rede. Dafür gibt es einen verschollenen Bruder Daniel. Warum so kompliziert?
Sassenberg: Wir erklären erst mit der Zeit, was es damit eigentlich auf sich hat. Ansonsten wäre es doch langweilig! Im Prinzip ist Gabriel Burns so etwas wie eine Kiste voller Geschenke: In jeder Folge wird man in irgendeiner Form überrascht. Das kann ein Schmunzeln im Gesicht, aber auch ein Fragezeichen im Kopf sein.
digitalista: Was ist für Sie das zentrale Motiv der Serie?
Sassenberg: Mir geht es um die Frage: Was ist eigentlich das Böse? Wir finden es völlig normal, dass wir das Böse bekämpfen, dass wir ihm mit einem geweihten Silberkreuz begegnen. Wir begegnen dem Bösen mit einem Symbol aus der christlichen Liturgie. Wie vermessen ist das denn? Mit anderen Worten: Wir sagen, der Kampf gut gegen Böse ist der Kampf Christentum gegen das Böse. Wir setzen das Christentum mit dem Guten gleich. Das ist einigermaßen hohl… wenn ich das mal so sagen darf.
Nachdem wir uns nun jahrhundertelang mit dieser Ansicht abgefunden haben, wollte ich einfach einmal die Frage stellen: Sind wir eigentlich wirklich so vermessen, zu glauben, dass unsere Religionen synonym für das Gute stehen? Das finde ich schwer bedenklich. Daher werden wir uns in den kommenden Folgen mit der Frage konfrontieren: Was ist das Böse? Ist es das Böse von draußen, oder das Böse im Zwischendrin? Und wie können wir ihm tatsächlich entgegentreten?
digitalista: Was ist denn für Sie „das Böse“?
Sassenberg: Wir neigen dazu, das Böse jenseits von uns zu betrachten. Nehmen wir die Medien: Was erleben wir tagtäglich über sie, was in der Welt da draußen passiert? Aber das geschieht immer aus der Sicht des Zuschauers. Wechseln wir doch einmal die Perspektive: Wie absurd ist das aus der Sicht desjenigen, der Böses tut? Wo müssen diese Menschen gelandet sein? Und bei dieser Frage sind wir relativ nah an dem Phänomen dran, was das Böse ist.
digitalista: Also, was ist „das Böse“?
Sassenberg: Ich wehre mich gegen die allgemeine Definition, was böse ist. Das Böse hat keine langen Zähne oder schwarzen Sachen an. Es ist ein Teil der menschlichen Kultur. Die Frage ist, wie kultiviert genug wir sind, das Böse unter Kontrolle zu halten. Wir alle tragen Verantwortung. Ich bin nicht dazu verurteilt, in meinem Leben bestimmte Dinge zu tun. Das Böse ist, Menschen in irgendeiner Form zu schädigen. Das ist böse.
digitalista: In ihrer Serie tritt das Böse in Form von den Fahlen oder den grauen Engeln auf.
Sassenberg: Das sind Synonyme, denn wir müssen das Böse ja in irgendeiner Form darstellen. Das Böse ist gar nicht da, wo man es immer vermutet. Es ist auch leise. Es ist auch gepflegt. Es ist da, wo man es nicht erwartet – und da ist es am gefährlichsten. Das sind alles Szenarien, die bei mir im Kopf stattfinden. Und dazu möchte ich bei den Hörern ein paar Gedanken provozieren.
digitalista: Den heiligen Priester, der mit geweihten Gegenständen dem Bösen den Garaus macht, sucht man in Gabriel Burns vergeblich. Welche Rolle spielt die Religion in Ihrer Serie?
Sassenberg: Wir haben in der letzten Folge gerade die Tiefsee-Sequenz im Pazifischen Ozean beendet. Dort unten finden wir einige Dinge, die klare Rückschlüsse darauf geben, das andere Religionen auch am Kampf gegen das Böse beteiligt gewesen sein müssen. Dieser Kampf kann also offensichtlich nicht auf eine Religion alleine beschränkt sein. Das schafft eine Religion alleine nämlich gar nicht. Eine der Thesen ist: Wir werden nicht dem Bösen nachstellen können, wenn die Religionen gegeneinander arbeiten.
digitalista: Glauben Sie an Gott?
Sassenberg: An Gott vermutlich ja, an die Kirche in keiner Weise. Das kann ich schon alleine deswegen nicht, so lange ich mitbekomme, dass noch nicht einmal unsere beiden Religionen, katholisch und evangelisch, in der Lage sind, sich gegenseitig wirklich voll zu akzeptieren. Kann man ein Abendmahl zusammen einnehmen? Ist das Evangelische überhaupt eine Kirche? Da bleibt mir das Gehirn stehen, solche Diskussionen finde ich abartig. Die Zehn Gebote finde ich dagegen toll, da stehe ich nahezu ausnahmslos voll dahinter. Ich fände sie noch besser, wenn die, die sie immer wieder propagieren, sich auch an die eigenen Gebote halten würden.
digitalista: Gibt es eine Religion, mit der Sie sich voll identifizieren können?
Sassenberg: Wahrscheinlich nicht, nein. Religionen haben immer mit Ritualisierung zu tun. Ich mag keine Rituale. Das sind für mich Zwangsneurosen: Wenn ich nicht das mache, dann… dafür gibt es heute viele Kliniken, die so etwas behandeln! Das sind Zwangsstörungen. Wenn ich das und das nicht mache, widerfährt mir Böses.
digitalista: Ihre Protagonisten treffen nahezu an jedem Ort auf das Böse. Krankheiten, apokalyptische Endzeitszenarien, selbst Kinder mutieren zu eiskalten Psychomördern. Ist die Welt wirklich so schlecht?
Sassenberg: Das ist eine wirklich sehr, sehr gute Frage. Ich glaube, dass die Welt schon einmal eine ganze Ecke besser wäre, wenn wir von den gerade beschriebenen Zwangsneurosen einige auflösen könnten. Die Vorstellung, dass man in ein Paradies kommt, wenn man Andersgläubige mit in seinen eigenen Tod reißt… die finde ich.. ich kann sie noch nicht einmal als böse bezeichnen. Das ist verblendet. Ich glaube, dass wir gerade wieder eine unheimliche Zunahme an dieser Verblendung in der Welt erleben. Diese ganzen Krisenherde, wie sie über den gesamten Erdball auftreten, kommen ja nicht von ungefähr. Das heißt, es muss immer irgendwie Menschen geben, die bereit sind, ihr persönliches Glück dafür hinten anzustellen. Wenn ich morgens um acht die Zeitung aufschlage, könnte ich manchmal schon gegen die Decke springen. Was da an Seltsamkeit, Gemeinheit und offener Bosheit jeden Tag stattfindet. Das übertragen wir dann stilisiert in unsere Geschichten.
digitalista: In gängigen Hörspielserien nehmen die Folgen nahezu immer ein gutes Ende. Folgen von Gabriel Burns dagegen lassen den Hörer auch schon mal nahezu depressiv zurück, weil kaum noch Hoffnung besteht. Gefällt es ihnen, die Hörer leiden zu sehen?
Sassenberg: So richtig reinversetzen kann ich mich in diese Lage nicht. In dem Moment, wo ich ein Hörspiel fertig produziert habe, ist es bei mir ja raus – ich bin meinen Psycho ja dann los (lacht). Ich glaube aber auch, dass das Publikum von Gabriel Bruns auch weniger Spaß an Depression, als viel mehr an den surrealen, apokalyptischen Stimmungen hat, die wir aufbauen.
digitalista: Kaum eine Gestalt in der Serie ist so furchteinflößend wie die des Aaron Cutter, eines psychopathischen Ritualmörders, der in der nicht weniger gruseligen unterirdischen Nachtkathedrale für Schrecken sorgt. Ausgerechnet diese Rolle sprechen Sie selbst. Müssen wir uns Sorgen machen?
Sassenberg: Auf jeden Fall. Abends, wenn ich mit dem Hund unterwegs bin, würde ich mir auf jeden Fall aus dem Weg gehen! (lacht) Außerdem hatte keiner meiner Sprecher Lust, sich die Stimme so zu ruinieren. Da kam dann nur „Nee! Ich hab gleich noch einen anderen Job!“. Also machte ich es halt selbst.
digitalista: In der ersten Folge fängt es harmlos mit dem Taxifahrer Steven Burns in Vancouver an, die neueste spielt in den Tiefen des Ozeans. Dazwischen liegen Stationen von Alaska bis nach Chile. Wussten Sie eigentlich schon am Anfang, wie sich die Geschichte in all den Folgen entwickeln soll?
Sassenberg: Nein. Unser erster Vertrag mit Universal ging über 14 Folgen. Als sich dann abzeichnete, dass die Serie ein Erfolg werden könnte, wollte das Label unbedingt noch mehr. Also begannen wir, die Serie umzustricken. Eine sehr komplizierte Aufgabe, aber wir haben es gemacht.
digitalista: In den Jahren 2011 bis 2013 kam es dann zu einem langen Rechtsstreit mit Universal Music. Die Produktion neuer Folgen lag jahrelang auf Eis, seit Folge 36 machen Sie im Alleingang weiter. Wie kam es zu dem Bruch?
Sassenberg: Wir waren irritiert über die offiziellen Verkaufszahlen, die unserer Meinung nach nicht zu anderen Marktforschungsergebnissen passten. Zusammen mit ein paar anderen Faktoren haben sich die Dinge hochgeschaukelt, es kam zum Rechtsstreit. Unabhängig von dessen Ausgang wollte ich in der Zwischenzeit trotzdem weitere Folgen produzieren. Das wollte man dort nicht. Und ein Prozess vor einer Urheberkammer dauert sehr, sehr lange. Aber ich möchte der Firma Universal keinen Vorwurf machen, es hat einfach am Ende nicht mehr funktioniert zwischen uns.
digitalista: Ihr Kollege Günter Merlau hat im Interview mit uns auch eine überzogene Härte im Hörspielgeschäft beklagt und sein Bedauern geäußert, dass von den Fans nicht mehr positive Resonanz für die harte Arbeit kam. Teilen Sie diese Ansicht?
Sassenberg: Absolut! Da kann ich den Günter gut nachvollziehen. Aber das gilt nicht nur für das Hörspielgeschäft. Das Internet ist voll von Menschen, die selber noch nie etwas auf die Beine gestellt haben. Die sind niemals enthusiastisch für etwas, sondern immer nur gegen etwas. Das ist doch traurig!
digitalista: Welche Erfahrungen haben Sie konkret mit Gabriel Burns gemacht?
Sassenberg: Ich gucke mir gerade die Kritiken zu unserer Folge Nummer 40 an. Das ist der Soundtrack. Wenn man da drauf guckt, bin ich ehrlich gesagt kurz davor, das ganze Hörspielgeschäft an den Nagel zu hängen. Ich finde das ehrlich gesagt unverfroren. Der Matthias Günthert (Anm.d.Red.: der Komponist der (Titel-) Musik von Gabriel Burns) und ich haben jahrelang hier zugesehen, dass Gabriel Burns mit einem Sound versehen wurde, der geradezu unglaublich ist. Das sind Produktionen, die sind so aufwendig gemacht, die sind kompositorisch so intelligent und so fantastisch! Es ist überhaupt, in keiner Weise, mit irgendetwas in dem Bereich – das sage ich völlig unbescheiden - zu vergleichen.
Um dem Matthias auch einmal meine persönliche Ehrerbietung zu erweisen habe ich gesagt, wir nehmen ein paar Titel und veröffentlichen die. Und das Einzige, was ich hier lese, ist: „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“, „getäuscht“, „Geldmacherei“, „Achtung! Dummfang“, „Gedudelsammlung“. Ich muss ganz ehrlich sagen: Das finde ich ekelig.
Da setzt bei mir der Punkt ein, wo ich sage: Für solche Menschen habe ich überhaupt keine Lust zu arbeiten. Ich habe da keinen Bock drauf. Ich finde das wirklich ekelig. Und das finde ich nicht ekelig mir gegenüber, sondern in erster Linie Matthias Günthert gegenüber. Ich schäme mich dafür!
digitalista: Welche Reaktion würden Sie sich anstatt dessen wünschen?
Sassenberg: Ich würde jedem empfehlen, selber einmal etwas zu machen. Und dann kommt jemand vorbei und sagt: „Was ist DAS denn? Das ist ja total schief!“. Und dann bekommt man schnell ein Gefühl für Wertschätzung und macht sich Gedanken über Dinge, die andere getan haben. Das ist doch das Problem, was dahintersteckt: Die mangelnde Wertschätzung.
digitalista: So sehr man eine Serie auch schätzen mag: Es besteht immer die Gefahr, dass sich auch die Beste irgendwann totläuft. Wann ist es an der Zeit, Gabriel Burns zu beenden?
Sassenberg: Wir haben noch eine Menge Ideen. Dass wir überhaupt das Ende erreichen, setzt voraus, dass uns die Zuhörer treu bleiben. Ich weiß auch schon, auf was das Ganze hinausläuft und würde es zu einem schönen Ende bringen. Aber in dem Bereich sind wir noch gar nicht (lacht).
digitalista: Das hört sich an, als würde Gabriel Burns die Folge 100 noch erreichen.
Sassenberg: Na klar, das wäre mein persönlicher Wunsch.
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