Ein kurzer, trötender Ruf durchdringt die Stille. Bernhard Weßling lässt das Fernrohr sinken und späht über die Wiese im Hansdorfer Brook. Dort, in rund 80 Meter Entfernung, stolziert ein Kranichpaar durchs hohe Gras, in grau-schwarzem Federkleid, die Hälse gereckt, die Schnäbel aufgerichtet. „Das war ein Warnruf. Er bedeutet, ich soll mich zurückziehen“, sagt Weßling. „Das respektiere ich“. Er macht kehrt, schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt den Wiesenweg zurück zur Schotterstraße.
Im September und Oktober beginnt die Zugzeit der Kraniche. Sie fliegen aus den Brutgebieten im Norden in ihre Winterquartiere im Süden. Eine der Routen verläuft über den Hansdorfer Brook, ein Naturschutzgebiet in der Nähe von Hamburg. Im Februar und März kehren sie in ihre Reviere zurück, oft kann man sie dabei beobachten.
Bernhard Weßling ist ein Mann Ende Sechzig mit freundlichen Augen, die Haut braun gebrannt von der Sonne im Brook. Er hat gelernt, die Sprache der Kraniche zu verstehen. Seit er vor fast vierzig Jahren mit seiner jungen Familie in die Umgebung zog und zum ersten Mal den Duettruf eines Kranich-Paares hörte, untersucht er ihr Verhalten und ihre Kommunikation. Aus dem Hobbyornithologen wurde ein international gefragter Experte für Kraniche. Er entwickelte eine Technik, die es ihm ermöglicht, ihre Rufe zu entschlüsseln. Bei einem weltweit einzigartigen Auswilderungsprojekt bedrohter Schreikraniche war diese Technik der Schlüssel zum Erfolg.
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