Als ich neulich bei meinen Eltern war, habe ich einen alten Freund wiedergetroffen. Einen, von dem ich einmal geglaubt hatte, ohne ihn nicht leben zu können. Jetzt habe ich ihn kaum wiedererkannt: Sein früher leuchtend roter Anzug war ausgeblichen, voller Schmutz und eingetrockneter Flecken. Seine Mütze zerrissen. Und dort, wo sich früher die Nase befand, klaffte ein kleiner Krater in seinem Gesicht.
Mein alter Freund ist ein Stoffzwerg, die Lieblingspuppe meiner Kindheit. Meine Mutter hatte ihn in einer Schublade aufbewahrt und jetzt, fast dreißig Jahre später, hervorgeholt. Ungläubig habe ich ihn angeschaut und zwei Gefühle gleichzeitig gespürt: Freude und Ekel. Wie nur konnte diese fiese kaputte Stoffpuppe einst mein liebster Begleiter gewesen sein?
An den Moment, als der Zwerg in mein Leben kam, kann ich mich nicht erinnern. Ich war vielleicht zwei Jahre alt und konnte das Wort Zwerg nicht einmal richtig aussprechen. Ich sagte "Werch". Ziemlich genau erinnere ich mich aber an das runde, rosige Gesicht des Werchs und seine hellblauen Augen. Groß war er nicht, vielleicht so groß wie die Hand eines Erwachsenen. Aber damals war der Zwerg für mich der Größte.
Ich nahm Werch überall mit hin. Auf den Spielplatz, zu den Großeltern, ins Bett. Er fing Rotz, Tränen und Sabber ab, ohne sich je zu beschweren. Besonders gerne mochte ich seine Zipfelmütze, an der ich ständig kaute und die deshalb dauernass war und ziemlich gemüffelt haben muss. Mit Werch konnte ich abends einschlafen, und ihm erzählte ich Geheimnisse. Für mich war er wie ein Familienmitglied und zugleich mein bester Freund.
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