Albin Kurti ist jetzt dort, wo er immer sein wollte. Hinter einer massiven Tür mit Messingschild, auf dem "Premierminister" steht. Es liegt am Ende eines langen Korridors, im dritten Stock eines spiegelverglasten Büroturms mitten im Zentrum von Pristina. Früher einmal war hier eine Bank untergebracht, jetzt ist es das Büro der Regierung von Europas jüngstem Staat.
Seit März 2021 ist der 47-Jährige im Amt. Sein Erdrutschsieg galt als Zäsur in der Nachkriegsgeschichte Kosovos. Mit Kurti zog auch eine neue Generation in das Regierungsgebäude ein: jung, viele davon Teil der Diaspora, ausgebildet im Ausland. Sie wechseln zwischen geschliffenem Englisch und Albanisch, an der Wand hängt ein Bild von Bernie Sanders, dem linken Amerikaner, neben Skanderbeg, dem mittelalterlichen Nationalhelden der Albaner.
Es ist der 9. September, und in Pristina regnet es. Der Sommer geht vorüber, was man daran merkt, dass die Dichte an Schweizer Autokennzeichen auf den Strassen abnimmt. Für Kurti waren es Krisenmonate: Inflation, Energieengpässe und dann, Ende Juli, Schüsse und Sirenengeheul an der Grenze zu Serbien. Die Situation zwischen Serbien und Kosovo war schon lange nicht mehr so angespannt wie in diesem Sommer.
Es eskalierte ein Streit um Einreisedokumente und Nummerntafeln, und die Rhetorik zwischen Belgrad und Pristina ist so giftig wie schon lange nicht mehr. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić behauptet ohne ersichtlichen Grund, die Albaner wollten die Serbinnen aus Kosovo vertreiben. Albin Kurti wiederum warnt seit dem Krieg in der Ukraine, Russlands Invasion könnte auf den Balkan überschwappen. Auf Vermittlung der EU konnte die jüngste Eskalation zwar beendet werden. Aber vom Hauptziel des Dialogs sind beide Seiten weit entfernt. Serbien erkennt die 2008 ausgerufene Unabhängigkeit Kosovos bis heute nicht an. Im Gegensatz zu über 100 Uno-Mitgliedsländern, darunter auch der Schweiz.