In Liv Strömquists neuer Graphic Novel „Im Spiegelsaal" geht es um die Kulturgeschichte der Schönheit. Im Interview spricht sie über den Schönheitsdruck auf Frauen und Männer.
Interview von Franziska Koohestani
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Die feministischen Comics der schwedischen Autorin und Politikwissenschaftlerin Liv Strömquist, 43, sind mittlerweile Kult. Strömquist hat schon die Kulturgeschichte der Vulva illustriert, den Ursprung der Liebe und zuletzt, in „Ich fühl's nicht", die Liebe im Kapitalismus. Wenig überraschend, dass sie sich in ihrer neuen Graphic Novel „Im Spiegelsaal" mit Geschichten und Theorien rund um Schönheit beschäftigt. Ein Thema, das für die klassische Philosophie genauso wichtig ist wie für die Popkultur. Und eines, das uns alle betrifft. Strömquist erklärt ihre Analyse auch anhand von verschiedenen prominenten Figuren. In „Im Spiegelsaal" geht es mal um Schneewittchens schönheitsbesessene Mutter, um die schönheitsbesessene Kaiserin Sissi und, natürlich, um die - auf eine etwas andere Art - schönheitsbesessenen Kardashians. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie Schönheitsnormen uns heute beeinflussen - und was sich im Laufe der Zeit daran maßgeblich verändert hat.
Liv Strömquist (lacht): Hm ... ich denke Khloé ist mein favorite! An zweiter Stelle dann Kim und dann vielleicht noch Kourtney. Aber eigentlich mag ich sie ja alle.
In erster Linie wirkt Khloé einfach wie eine sehr liebe Person. Aber sie ist eben auch die verletzlichste von allen Kardashians. Und das hat durchaus etwas mit Schönheitsnormen zu tun. Denn Khloé musste in der Vergangenheit die Erfahrung machen, nicht so schön zu sein wie ihre Schwestern. Wie man bei deren Reality-Show Keeping up with the Kardashians gesehen hat, haderte sie früher vor allem mit ihrem Gewicht.
Das hat sie unglücklich und unsicher gemacht. Vor einigen Monaten gab es dieses eine Bikinifoto von ihr, das aus Versehen veröffentlicht wurde - und zwar unbearbeitet, ganz ohne Filter. Ihre Anwälte haben daraufhin wie verrückt versucht, das Bild komplett aus dem Internet zu verbannen. Das sagt viel über unsere Zeit aus. Dieser heftige Druck, auf einem Foto perfekt auszusehen. Den bekommt Khloe zu spüren. Aber sie kann es niemandem recht machen. Erst haben Menschen sie dafür runtergemacht, nicht schön genug zu sein. Dann dafür, zu schön sein zu wollen.
„Die Kardashians schlagen Profit daraus, dass Frauen Probleme mit ihren Körpern haben"
Bei beiden gibt es da Positives wie Negatives. Aber eine Sache vermitteln alle Kardashians: das Ideal, immer extrem aufs oberflächliche Perfekt-Aussehen fokussiert sein zu müssen. Und das kreiert Stress. Man sieht das übrigens auch an den Produkten, die sie verkaufen: Shape Wear zum Beispiel, diese wahnsinnig unkomfortable Unterwäsche. Oder ein fragwürdiges Collagen-Pulver, das angeblich eine glatte Haut machen soll, dessen Wirkung wissenschaftlich aber überhaupt nicht belegt ist. Die Kardashians schlagen Profit daraus, dass Frauen Probleme mit ihren Körpern haben. Das ist echt nicht empowering.
„Wenn sich eine Frau gerne schminkt, ist das nicht gleich ein Zeichen von Unterdrückung"
In der Geschichte war das Symbolisch-Weibliche immer mit Schönheit verbunden. Die Göttinnen der Schönheit, Liebe und Sexualität sind in jeder Kultur weibliche Figuren. Schon in der Kunst der Steinzeit findet man am häufigsten den nackten weiblichen Körper. Wahrscheinlich hatten die Menschen damals also schon eine Obsession mit weiblicher Schönheit, so wie wir heute. Aus feministischer Perspektive würde ich ergänzen: Dass man Schönheit oft eher mit Weiblichkeit verbindet, hat auch damit zu tun, dass Männer die Macht haben -und den sogenannten male gaze. Männer sind die Subjekte, die Frauen durch ihre Blicke objektifizieren.
Tatsächlich glaube ich, dass Männer verstärkt zum Ziel von Werbung der Beauty-Industrie geworden sind. Mein Vater und Großvater haben nicht so viele Kosmetikprodukte benutzt wie die Männer heutzutage, höchstens mal ein Aftershave. Und in einem Kapitel meiner Graphic Novel geht es auch darum, wie „der freie Markt der Liebe" deutlich mehr Druck auf das Aussehen von uns allen ausübt - natürlich auch auf Männer. Die fühlen sich schließlich auch zurückgewiesen, weil sie nicht aussehen wie vermeintlich echte Kerle. Diese Zurückweisung spielt letztlich auch in der INCEL-Kultur eine große Rolle. ( Anm. d. Red: Incel steht für „involuntary celibate men", also für unfreiwillig im Zölibat lebende Männer).
„Heutzutage gibt es viel mehr Vergleichbarkeit. Dann ist da immer die Frage: Wie ähnlich sehe ich Kylie Jenner?"
Heutzutage gibt es durch die Verbreitung von Fotos viel mehr Vergleichbarkeit. Dann ist da immer die Frage: Wie ähnlich sehe ich Kylie Jenner? Mithilfe von Schönheits-Ops kann man das auch umsetzen, sich so verändern, dass man sich tatsächlich immer ähnlicher sieht. Das merkt man ja bei Promis, wie sie alle die gleichen Hintern, Nasen und Brüste haben. Heute gibt es viel mehr schöne Frauen in der Öffentlichkeit, aber sie sehen sich auch immer ähnlicher.
Ich denke schon, dass das einen positiven Effekt haben kann. Vor allem das Body-Positivity-Movement kann beeinflussen, wie wohl sich Menschen in ihren eigenen Körpern fühlen. Aber wenn man sich solchen vermeintlich realen Content anschaut, muss man trotzdem bedenken: Auch der ist limitiert. Auf Instagram gibt es ein Skript der Gefühle, das sich an den möglichen Reaktionen orientiert, die man hervorrufen kann: etwa das Feuer-Emoji, ein Klatschen, einen lachenden Smiley und so weiter. Wenn du etwas postest, möchtest du Likes dafür bekommen. Etwas, das so richtig unlikeable ist, funktioniert nicht. In dieser Logik ist es fast besser, sich mal weinend und verletzlich zu zeigen. Denn dadurch bekommt man Likes. Du kannst aber nicht so einfach posten, dass du anderen gegenüber extrem neidisch, hasserfüllt oder verbittert bist. So ganz tiefe negative Gefühle kommen eben nicht gut an. Es gibt also ein ganz kleines Spektrum der Likeability. Und alles, was du postest, richtet sich danach.
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