Zwischen Pyrenäen und Alpen gelegen, bietet die siebtgrößte Stadt Frankreichs
eine Reihe architektonischer Überraschungen
Das Licht des Südens, die nahen Pyrenäen, das Meer: Zwölf Kilometer
sind es bis zum Mittelmeer-Strand, in den Badeort Palavas-les-Flots zum Beispiel.
Montpellier ist eine berühmte Universitätsstadt, doch Kultur gilt hier als ebenso
hohes Gut. Die Straßenbahn stammt von den Designern Garouste und Bonetti sowie von Modemacher Christian Lacroix, Chanson-Sängerin Juliette Greco wurde hier geboren, das Musée Fabre lockt mit hochkarätiger Kunst. „Montpellier ist immer ein Ort der Zugezogenen gewesen“, sagt Tourismusmanagerin Pia Penzo, die ursprünglich aus Deutschland stammt und wegen der hohen Lebensqualität nicht mehr weg will.
In Montpellier und direkt am Fluss Lez plante Architekt Ricardo Bofill in den 1970er- und 80er-Jahren das 36 Hektar umfassende Stadtviertel Antigone mit monumentalen, griechisch-römisch angehauchten Bauten entlang einer autofreien Mittelachse und inklusive Sozialwohnungsbau. Das 400.000 Quadratmeter umfassende Viertel bildete den Anfang innovativer Architekturprojekte – bis heute. Etwas gigantesk kommen sie schon daher, die neoklassizistischen Strukturen, Bögen und Portale, die der spanische Architekt
der Postmoderne hier hinterließ, mitsamt ihren Brunnen, Grünflächen, verkehrsberuhigten
Zonen. Ein städtebauliches Modellprojekt, inspiriert von antiken Tempeln und Palästen, das sich viele zum Vorbild nahmen.
An der Place du Nombre d‘Or entstanden 288 Apartments und Geschäfte.
Alles scheint jetzt ruhig während der Siesta zwischen zwei und vier Uhr, die Shops sind geöffnet, Vögel zwitschern zwischen den Platanen. Obwohl vor 40 Jahren entstanden, scheint das Viertel nicht zu altern. In direkter Nachbarschaft überrascht im Viertel Port Marianne der Neubau „L’arbre blanc“ („Weißer Baum“), ein Wohnturm, der 2019
zum schönsten Wohngebäude der Welt gekürt wurde. Entworfen von den Architekten
Sou Foujimoto, Nicolas Laisné und Manal Rachdi, bereichert er mit seinen 120 Wohnungen das Stadtbild.
Zahlreiche auskragende Balkone lassen den 56 Meter hohen, gleißend weißen Rundbau mit der Bar im obersten 17. Stockwerk wie einen verschneiten Tannenbaum wirken. Eben erst gewannen Sou Fujimoto Architects eine weitere Auszeichnung als „Architects of the Year“ im Rahmen des „Iconic Awards 2023“ für innovative Architektur. Nur ein paar Steinwürfe weiter schillert der Bau des „Koh-i-noor“ mit seinen 49 Wohneinheiten, den der deutsch-französische Architekt Bernard Bühler 2017 fertigstellte – mit farbig verglasten Balkonen, die im Tagesverlauf ihr vielfarbiges Licht auf die Umgebung werfen. Sein Name bedeutet „Diamant“. Bühler ist übrigens bekannt für den Einsatz von farbigem Glas. Das Stadtbild bereichern weitere „Folien“, so heißen hier die architektonischen Errungenschaften großer Gestalter: Die dunkel hingewürfelte Stadthalle stammt beispielweise von Jean Nouvel (von 2011), 2014 eröffnete Philippe Starck „Le Nuage“, einen Fitnessclub mit blasenartig-transparenter Außenhülle, ähnlich einer großen grauen Wolke. Am meisten aber berührt ein verstecktes Kleinod in der Rue de la Barralerie im ehemaligen jüdischen Viertel von Montpellier: 15 Stufen führen hinunter in eine der ältesten Mikwes Europas, ein jüdisches Bad also, das aus dem 13. Jahrhundert stammt. In den 1980er-Jahren wurde es wieder entdeckt – noch immer gefüllt mit klarem, hellgrün schimmerndem Wasser, da es eine unterirdische Quelle mit Ablauf besitzt. Bis heute verströmt der Ort eine mystische Aura. „Genutzt wird es nicht mehr“, sagt Pia Penzo. „Im Mittelalter wurden die Juden weniger oft
krank, offensichtlich wegen des religiösen Reinheitsgebots und der rituellen Reinigung, heißt es. Die jüdische Gemeinde war sehr wichtig für die Stadt, da sie als erste hier waren. Ohne die Juden würde es Montpellier so nicht geben.“ Grund genug, das Denkmal auch künftig als Erinnerung in Ehren zu halten.