Franziska Horn

Autorin. Freie Journalistin, München

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Artikel

»Allein habe ich meinen eigenen Rhythmus«

Mehr als 60.000 km ist Christine Thürmer solo gewandert – und hat mehrere Bücher darüber geschrieben. Foto: Andrew Burns

Dass Frauen den Rucksack packen und wochenlang 

alleine losziehen, wirkt für manche Menschen ungewöhnlich.

Warum eigentlich? RAUSZEIT hat bewanderte Solistinnen gefragt,

worin Reiz und vielleicht auch Risiko von Alleingängen liegen.



Der Kocher faucht den kleinen Topf an. Nach einem

langen Solo-Wandertag freuen sich Körper und

Geist auf eine warme Mahlzeit. Zelt, Matte und

Schlafsack sind parat für eine Nacht unter Sternen. Alleine.

Als Frau. Hm, aber ist das wichtig? Wäre ein Text

über allein wandernde Männer an dieser Stelle ebenso

interessant? Kaum. Das bedeutet, Frauen, die solo auf

Outdoor-Abenteuer gehen, fallen auf, auch im Jahr 2023.

Warum ist das so? Und was spricht dafür, was dagegen?

Fragen wir bei denen nach, die es wissen müssen: Christine

Thürmer zum Beispiel – die nach eigener Aussage

.meistgewanderte Frau Deutschlands. Sie ist bekannt für monatelange Solo-Trips. In Zahlen: Mehr als 60.000 Kilometer hat Thürmer, Jahrgang 1967, zu Fuß zurückgelegt,

ist über 30.000 Kilometer geradelt, 6500 Kilometer

gepaddelt. Seit 2006 wandert sie .Vollzeit. Thürmer sagt:

.Vor meiner allerersten Tour 2004 auf dem Pacific Crest

Trail sprach ich mit einem Trail Angel, einem Berater. Er

sagte: ›Du hast die größte Chance, durchzukommen!‹ Denn

Frauen sind meist optimal vorbereitet, müssen nichts beweisen,

eignen sich besser für Ausdauersport. Denn ob

man's wirklich schafft, entscheidet sich zu 80 Prozent im

Kopf, zu 20 Prozent in den Füßen.


ES GEHT NICHT UM KRAFT

ODER MUSKELN


Thürmer erklärt: .Solo-Männer haben insgesamt mehr

Probleme. Frauen werden nicht als Bedrohung wahrgenommen,

auch wenn sie abgeranzt auf Privatgrund

campen, trampen oder im Wald nächtigen. Man begegne

Frauen freundlicher, wolle helfen, so ihre Beobachtung.

99 Prozent aller Männer sind Kavaliere. Klar gibt es auch

B.sewichte, doch die trifft man eher in der Großstadt,

wo mehr Frauen unterwegs sind. Die 1,84 Meter große

Frau erzählt: .Bei mir kommt bald noch der ›Oma-Bonus‹

hinzu: Man bekommt First-Class-Behandlung, ein

gutes Zimmer im Hotel. Je älter, desto angenehmer wird

es. Ganz generell möchte ich Frauen die Angst nehmen,

alleine loszuziehen.


DIE NACHT, MEIN FREUND


Und die biologischen Effekte? "Auf einer Fernstrecke

nimmt man rund 13 Kilo ab. Der Körper fragt sich: Warum

macht die Bürofrau plötzlich so viel Sport? Nach rund vier Wochen schaltet er in den Flucht-Modus, bei rund 80 Prozent der Frauen bleibt dann die Periode aus. Ansonsten

sind Menstruationstassen praktisch für unterwegs.

Wandern, das kann wirklich jede(r). Man muss einfach

nur Schritt nach Schritt setzen". Braucht es eine mentale

Vorbereitung? Eher nein, denn: .Zu glauben, dass Frauen

eine angeborene Angst haben, nachts allein im Wald, ist

idiotisch! Die Nacht ist mein Freund. Niemand erwartet

mich dort.


DEM EIGENEN RHYTHMUS FOLGEN


Schrittweise Erfahrungen sammeln, davon kann auch Ana Zirner

erz.hlen. Ana ist Jahrgang 1983, Bergsportlerin und Autorin aus dem

Chiemgau. In ihren Büchern erz.hlt sie über abgelegene Solo-Touren

in den Pyren.en oder den Rocky Mountains. Drei Wochen vor dem

Start in den Kaukasus 2021 bekam Ana eine überraschende Nachricht:

schwanger. Sie zog los, wie sie es immer tut: um unterwegs zu

sehen, wie sich alles fügt. Frei nach dem Motto: Wege entstehen beim

Gehen. .ber das Laufen und das Schreiben sagt Ana: .Beides ist bei

mir auf natürlichem Weg passiert.. Wohl auch, weil das Laufen die

Gedanken buchst.blich in Gang setzt? .Ich geh gern allein auf Tour,

denn so erlebe ich Dinge, die man zu zweit nicht erleben kann. Eine

Unterhaltung legt die Dinge fest. Man vergleicht sich mit anderen,

passt sich an. Allein habe ich meinen eigenen Rhythmus. Ist das

egoistisch? Vielleicht. Doch ich werde durch die Auseinandersetzung

mit mir selbst auch toleranter mit anderen.


"Frauen agieren meist defensiver

und sind daher weniger gefährdet,

leichtsinnig zu sein."


Als geprüfte Bergwanderführerin und aktive Bergretterin wei. Ana:

.Natürlich gibt es in den Bergen objektive Gefahren. Doch Frauen

agieren meist defensiver und sind daher weniger gef.hrdet, leichtsinnig

zu sein. Für mich ist das selbstverst.ndlich, ich will ja weiterleben. Es

ist kein Widerspruch, stark und gleichzeitig sensibel zu sein, das ist

nur in der Gesellschaft noch immer nicht angekommen.. Und überlegt

dann: .Allein ist es vielleicht sogar sicherer, weil gef.hrlich vage

Gruppenentscheidungen wegfallen. Wir nennen einen der wichtigsten

Sicherheitsaspekte den ›Faktor Mensch‹, denn es kommt immer darauf

an, wer unterwegs ist. Die F.higkeit zu einer realistischen Selbsteinsch.tzung

ist das Wichtigste. Anas Tochter ist heute ein Jahr alt. .Es gibt Studien, die belegen,

wie gesund es ist, sich schwanger zu bewegen. Man muss auf seinen

Körper hören. Physisch war ich beim Sport unsicherer, denn mein

Körperschwerpunkt veränderte sich. Was sie Frauen rät, in Sachen

Vorbereitung und Sicherheit? .Nichts anderes als Männern. Ich persönlich

habe abseits der Alpen einen Notfall-SOS-Sender von Garmin.

Grundsätzlich will ich andere für das Schönste der Welt begeistern:

die Berge. Und klar machen, dass das Geschlecht für die Sicherheit

am Berg keine Rolle spielt.

Denn am Ende ist es eigentlich nichts Besonderes – und zugleich

wunderschön. Und der Natur ist es egal, ob du Mann oder Frau bist. ○


Schwarm-Wissen für Solistinnen

Dass es bei Solo-Abenteuern nicht die höchsten Gipfel oder weitesten Wege

sein müssen, ist Kathrin Heckmann ein besonderes Anliegen. Seit 2013

betreibt die frühere Marketing-Managerin den Wander-Blog .Fräulein

Draußen. Das hohe Interesse mündete 2016 in die Gründung der privaten

Facebook-Gruppe .Club der AbenteurerINNEN. Vernetzen, inspirieren,

austauschen, darum geht es den heute rund 18.000 (!) Mitgliedern – ausschließlich

Frauen. Hier dreht sich alles um Outdoor-Themen mit Nutzen

und Mehrwert, echte Hilfe also. Um die richtige Wahl von Routen, Gaskartuschen

oder Übernachtungsplätzen, um durchgelaufene

Vibram-Sohlen oder um örtliche Einkaufsmöglichkeiten

für Tampons oder Müsliriegel. Und darum, mehr Frauen

zu motivieren, es einfach mal solo auszuprobieren.


TEXT FRANZISK A HORN

FOTOS ANDREW BURNS, ANNE K AISER, ANA ZIRNER





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