Franziska Horn

Autorin. Freie Journalistin, München

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Designer Thierry Mugler: Meister des Maßlosen

Foto: Daniel Simon / Gamma-Rapho / Getty Images

Schöpfer, Showman, Superhero: Über die Metamorphosen von Thierry Mugler, einen Designer, der keiner sein wollte - und sich selbst immer wieder neu erfand.

24.01.2022 - von Franziska Horn

»I forgot my German«, sagte der Modekünstler Mugler im Sommer 2020 am Telefon, als unser Gespräch verspätet doch noch zustande kam. Gefragt, ob er noch Verwandte in Österreich habe, antwortete Mugler damals: »Ich bin nicht sehr familienorientiert. Meine Familie sind die Leute, mit denen ich arbeite.« Familie Mugler war einst aus Linz, Österreich, nach Straßburg gezogen, wo Manfred Thierry Mugler 1948 geboren wurde und aufwuchs, bevor er nach Paris ging und später in die Vereinigten Staaten zog.

»Ich fühle mich als Europäer«, erklärte er auf Englisch. Die letzten Jahre lebte Mugler in Berlin, er verehrte die Stadt: »Ich bin hierhergezogen, um meine Revue ›The Wyld‹ 2014 im Friedrichstadtpalast zu kreieren. Berlin ist die tollste Stadt von ganz Europa, ein Himmel für Künstler. Hier habe ich auch meine Liebe gefunden«, erklärte er. Gemeint war sein Lebenspartner Krzysztof Leon Dziemaszkiewicz.

Statt über seine Familie sprach Mugler lieber über den Start der geplanten Ausstellung »Couturissime« in der Kunsthalle München, der pandemiebedingt verschoben werden musste. Detailbewusst wie jeder große Gestalter überwachte Mugler die Arrangements der Figuren minutiös – in diesem Fall per Videokonferenz. Den Begriff »Designer« mochte er nicht. »Ich bin Regisseur«, sagte er. »Und ein Geschichtenerzähler, mit dem Stift oder mit der Kamera. Ich bin Pygmalion« – ein Schöpfer also. Nicht im Sinne von Mode im landläufigen Sinne: »Mode ist nur ein Werkzeug. Meine wahre Berufung ist die Bühne«, sagte er. Für diese schuf Mugler einen Kosmos, oder besser: ganze Galaxien irdischer und überirdischer Welten, bevölkert von futuristischen Robocops, Glamazons, Heroinen, Fabelwesen, Insekten, den Schönen der Nacht und des Tages.

Dazwischen entwarf er transparent schimmernde Silhouetten, weich und fließend, besetzt mit Pailletten. Mugler konnte zart. Und er konnte hart: Er steckte seine Heldinnen mit Vorliebe in Panzer-Bustiers, mal inspiriert von Fritz Langs Film »Metropolis«, mal vom Kühlergrill eines Motorrads. Das Überformen des weiblichen Körpers war typisch für ihn, gern mit metallenen Korsagen oder Bustiers, mit überzeichneten Wespentaillen oder Stundenglaslinien.

Eine Art Rüstung war es wohl auch, die er am Ende für sich selbst wählte – als er sich neu erfand, in einem Mix aus Hero und Herkules, aus Showman und Siegfried. Zeit seines Lebens huldigte Mugler dem Körperkult und betrieb später exzessiv Bodybuilding. Bereits 1962, als 14-Jähriger, tritt er als Tänzer dem Ballett der Operá national du Rhin in seiner Heimatstadt Straßburg bei und verlässt sein Elternhaus, das er als autoritär beschreibt. Mugler sucht nach eigener Identität und Ausdruck. Auf der Bühne lernt er: »Hier kannst du kannst sein, wer immer du sein willst!« Die Verwandlung und das Spiel mit Identitäten bleiben sein Leitmotiv.

1973 gründet er in Paris sein eigenes Label namens Thierry Mugler und legt eine der glänzendsten Fashion-Karrieren des 20. Jahrhunderts hin. Seine Parfüms »Angel«, »Amen« und »Alien« setzen später die Erfolgslinie fort. Doch als sich der Minimalismus in der Mode durchsetzt, sinkt der Stern der Marke Mugler, 1997 wird sie von Clarins übernommen; die Modesparte wird nach Verlusten 2002 aufgelöst, Mugler geht nach New York. Sein Name gerät langsam in Vergessenheit.

Große Museen dies- und jenseits des Atlantiks hatten über Jahre hinweg versucht, eine Mugler-Retrospektive zu lancieren. Doch der Meister wollte nicht. Er wollte keine Rückschau, keine chronologische Abhandlung seiner Arbeiten. Wenn, dann sollte es eine Inszenierung sphärischer Welten sein, ein bühnenreifer Traum, der seine Kostüme zum Leben erweckte. Der Zuschlag ging schließlich nach Montreal, wo das Musée des beaux-arts im März 2019 die Ausstellung »Thierry Mugler: Couturissime« eröffnete. Kurator Thierry-Maxime Loriot war also der Coup gelungen – wodurch? »Er ist wie ich, er hat eine klare Vision. Und er ist intellektuell-prätentiös«, sagte Thierry Manfred über die Zusammenarbeit mit Thierry-Maxime.

Nachdem die Schau in Rotterdam und München gastierte, läuft »Couturissime« aktuell im Musée des Arts décoratifs in Paris (noch bis zum 24. April). Gezeigt werden rund 150 Exponate aus den Jahren 1973 bis 2001, mit Haute-Couture- und Prêt-à-porter-Modellen, Accessoires, Fotografien, Videos und vielen Bühnenkostümen. Das Lieblingsstück des Meisters? »Vielleicht ist das der Botticelli-Venus-Dress, den Cardi B 2019 bei den Grammys trug. Ein laufendes Stück Architektur«, sagte Manfred Mugler über seine ausladend-auskragende Kreation »Birth of Venus« – wieder einmal sind hier Neugeburt und Verwandlung das Thema.

So wie auch bei ihm selbst: Aus Thierry Manfred wurde schließlich nur noch Manfred. »Manfred ist der Held, von dem Thierry geträumt hat. Manfred, der Deutsche, der von nun an an Thierrys Seite sein sollte«, schreibt Marie Colmant in dem opulenten Bildband, der zur Ausstellung »Couturissime« erschienen ist. Nach zwei Unfällen mit Auto und Motorrad mussten Teile von Muglers Gesicht rekonstruiert werden. Das nutzte der Künstler, um sich zugleich ein Stück Knochen aus der Hüfte ins Kinn einsetzen zu lassen. »Nach all den Jahren, in denen ich ein schmaler, charmanter Tänzer war, wollte ich endlich ein Krieger sein. Ich habe viel kämpfen müssen im Leben. Ich bin ein Superhero. Da ist es nur natürlich, das Gesicht eines Helden zu haben«, sagte Mugler 2019 in einem Interview, das die Hitchcock-Ikone Tippi Hedren mit ihm führte. Warum immer neue Kleider überstreifen – wenn man ebenso in eine andere Haut schlüpfen kann?

Lange habe er seine Visionen darauf verwendet, andere schöner zu machen, sagte er in unserem Gespräch am Telefon. Nun richte er den Fokus auf sich selbst. Seinen Körper betrachtete er zuletzt als reines Kunstprojekt. Grenzen sah er hierbei nicht, wie schon zuvor nicht beim Tanzen, beim Feilen an der richtigen Technik: »Du stirbst, bevor du das Ende der Perfektion erreichst«, sagte er. »Und dann werden wir zu etwas anderem. Es ist ein unendlicher Weg.«

Am 23. Januar 2022 starb Thierry Mugler überraschend im Alter von 73 Jahren.

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